Gastbeitrag

Der Ausschreibungsfehler

Erding - 01.08.2016, 14:20 Uhr

Die Zubereitung von parenteralen Lösungen für ambulante Krebspatienten liegt in den Händen weniger Apotheken. Krankenkassen wollen die Kosten mit Ausschreibungen senken – doch wie hoch ist der Preis hierfür tatsächlich? (Foto: benicoma / Fotolia)

Die Zubereitung von parenteralen Lösungen für ambulante Krebspatienten liegt in den Händen weniger Apotheken. Krankenkassen wollen die Kosten mit Ausschreibungen senken – doch wie hoch ist der Preis hierfür tatsächlich? (Foto: benicoma / Fotolia)


Bei den gegenwärtigen Ausschreibungen von parenteralen Zubereitungen läuft derzeit einiges verquer. Dr. Franz Stadler, Apotheker aus Erding, setzt jetzt auf Erkenntnis und die aus seiner Sicht einzig logische Konsequenz: die Ausschreibungen aufzugeben.

Einen Fehler einzugestehen fällt schwer. Oft versuchen wir, so lange als möglich zu vermeiden, die einzig richtige Konsequenz zu ziehen: den Fehler zu korrigieren. Im Fall der Ausschreibung von parenteralen Zubereitungen bedeutet dies, diese Ausschreibungen aufzugeben und die angestrebten Einsparungen auf andere Weise zu erzielen.

Was ist der Sinn der ambulanten Zytostatikabehandlung? Der meist schwerkranke Patient soll wohnortnah, in seinem gewohnten Umfeld und ohne teuren Krankenhausaufenthalt qualitativ hochwertig behandelt werden. Psychologisch, aber auch medizinisch ist das für die betroffenen Menschen die beste Variante. Wichtig dabei aber ist, dass die Behandlungsqualität nicht schlechter als im Krankenhaus ist und das Zusammenspiel der beteiligten Leistungserbringer vor Ort reibungslos funktioniert.

Fehleranfällige Vergabelogik

Allein dieses Argument würde schon stark gegen Ausschreibungen sprechen, die gewachsene Strukturen mutwillig aufs Spiel setzen. Wie das Beispiel der AOK-Ausschreibungen zeigt, erhält zwar in einigen Fällen die ortsansässige Apotheke den Zuschlag. Zum Teil kann es aber auch zu Lieferungen über 200 km kommen – oder zwei Apotheken fahren aneinander vorbei und beliefern die Praxis nahe am Standort der jeweils anderen Apotheke. Diese Vergabelogik erhöht nicht nur das Verkehrsaufkommen, sondern kompliziert unnötigerweise das Praxismanagement. In nicht allzu ferner Ausschreibungszukunft wird jede Praxis je nach Krankenkasse des Patienten bei einem anderen Lieferanten bestellen müssen, ein fehleranfälliges Verfahren. Auch die unterschiedlichen Lieferzeiten, die zudem bei längeren Strecken stark verkehrsabhängig sind, werden die Verweildauern der Patienten in den Praxen deutlich erhöhen. 

Hauptproblem: Lieferzeiten

Bei den Lieferzeiten ergibt sich aber das Hauptproblem. Nicht alle Wirkstoffe sind nach ihrer Zubereitung beliebig lange haltbar. Leider ist es auch nicht damit getan, wie bei der DAK/GWQ-Ausschreibung unlängst erfolgt, die von den Krankenkassen akzeptierten Lieferzeiten für Ad-hoc-Lieferungen von 60 auf 90 Minuten zu verlängern. Zwar wird mit dieser Verlängerung möglicherweise das postulierte Ziel der Krankenkassen erreicht, keine potenziellen „Bieter von der Angebotsabgabe abzuhalten oder ihr Angebot aufgrund erschwerter Umstände kalkulieren zu müssen“. Aber einige Wirkstoffe (u.a. Dacarbazin) sind eine Stunde nach Zubereitung bereits verfallen. Ihr späteres Inverkehrbringen und ebenso ihre Anwendung am Patienten sind unzulässig. Auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sagt, dass die Versorgung entsprechend der arzneimittelrechtlichen Regelungen erfolgen muss und die Angaben zur Haltbarkeit für jeden Apotheker gleichermaßen verbindlich sind.

Mangelnde Kontrolle

Fakt ist, dass die Krankenkassen bei ihren Einsparbemühungen nach wie vor kaum kontrolliert werden. So stellt die DAK zwar in Richtung der Apotheker fest, dass nur die Haltbarkeiten der Fachinformationen, beziehungsweise der Hilfstaxe gelten („Es gelten die Stabilitätsangaben der Fachinformationen bzw. der Hilfstaxe.“), handelt aber selbst nicht danach. Wie kann das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde der DAK akzeptieren, dass Ad-hoc-Lieferzeiten über die Haltbarkeitsdauer betroffener Wirkstoffe hinaus verlängert werden?

Aber nicht nur die DAK verlängert trotz ihrer eigenen Aussage zu den Haltbarkeiten die Lieferzeiten und kontrolliert die Fahrstrecken der gegebenenfalls zuliefernden Herstellbetriebe nicht. Auch die AOK Bayern hat, trotz der jüngsten BMG-Äußerungen, gegen ein Urteil des Sozialgerichts Würzburg, in dem sie, nach Jahren, zur Zahlung korrekt abgerechneter Verwürfe verurteilt wurde, Berufung eingelegt. Wer überprüft dieses Verhalten? Gilt das Gesetz nur für die Apotheker, aber nicht für die Kassen? An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Einsparungen auch anders erzielt werden können. Sollte es im Gesundheitswesen tatsächlich um den Patienten gehen, wäre das Eingeständnis, dass Ausschreibungen im Fall parenteraler Zubereitungen nicht zielführend sind, ein erster Schritt zu einer möglichen Einigung der Sozialpartner.  


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Gefährliche Verwürfe

4 Kommentare

Auf den Punkt gebracht . . .

von Uwe Hansmann am 01.08.2016 um 20:55 Uhr

. . . hat dieser Beitrag die Gesamtproblematik.

Mit stellt sich nur noch die eine Frage: Was in Gottes Namen treibt die in den Diensten der Krankenkassen stehenden Kolleginnen und Kollegen "Beratungsapotheker" dazu, entgegen dieser pharmazeutisch, wissenschaftlich und sachlogisch richtigen Darstellung von Dr.Stadler, anscheinend völlig nach "Kassenlage" zu entscheiden? Mit pharmazeutischem know how hat das Ausschreibungsgebahren der Krankenkassen jedenfalls nichts mehr zu tun. Es ist schlicht epresserische Geldschneiderei!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Richtig...

von Bernd Jas am 02.08.2016 um 9:36 Uhr

Richtig...
...es gibt immer einen der zuerst hinläuft und die Klinke putzt.
Siehe Rabattverträge; die Firmen sind auch nicht besser.
Alles ist vorher schon ausgehandelt; sein es Festbeträge oder Hilfstaxe,...nein, es muss noch mehr drin sein. Der erste Steinewerfer kommt bestimmt.
Für mich wäre das ein Grund zum Ausschluss aus Vereinen und Verbänden.

AW: Apotheken-/Mittelstandsvernichtungsprogramm

von Josef Werner am 02.08.2016 um 11:18 Uhr

Ein wichtiger Aspekt als Ergänzung zu der Faktensammlung von Dr. Stadler: Wenn die "ortsansässige Apotheke den Zuschlag bekommt", dann ist sie doch in den allermeisten Fällen nur der Platzhalter für die wenigen Nachunternehmer (= Großhersteller), die den Markt auf diesem Weg übernehmen wollen, um ihn künftig mit ihren Konditionen zu bestimmen. Warum sagt (weiß?) das eigentlich keiner?!

Was Bleibt?

von Bernd Jas am 01.08.2016 um 15:20 Uhr

Schwere Vorwürfe gegen Zyto-Apotheker sind schnell aus dem Hut gezaubert und als Rausschmiss umgesetzt.
Geht es jedoch um wenigstens genauso schwerwiegende Verfahrensfehler, wie sie reihenweise in diesen Ausschreibungen vorkommen, müssten erst hunderttausende Euros aufgebracht werden, um sich effektiv per Klage dagegen zur Wehr zu setzen.
Wer klagt?
David gegen Goliath.

Die dadurch betroffene kleine Zyto-Apotheke, kann diese Summen nicht vorstrecken.
Hat der VZA die Möglichkeit? Wohl eher auch nicht.
Und beim DAV und der ABDA besteht wohl eher kein Interesse.

Was Bleibt?
Hoffnung und Glaube; obwohl wir es wissen.

Ich bin sehr auf die Entwicklungen (besser Verwicklungen) in den nächsten Wochen gespannt, die die Praxen betreffen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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