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Reise-Apotheke
Essen entfernt umstrittene Homöopathie-Empfehlungen
Die Stadt Essen hatte Ratschläge für die homöopathische Reiseapotheke der Homöopathie-nahen Carstens-Stiftung übernommen. Daraufhin hagelte es Kritik. Der Fall ging bis zum Landtag, die Stadt löschte die Hinweise wieder. Noch schneller reagierte die Stiftung.
Arsenicum album D12 bei wässrigem Durchfall und Erbrechen, Arnica montana C30 bei Sportverletzungen und Belladonna D12 bei Mittelohrentzündungen und Sonnenbrand? Eine Mitteilung zu den zehn besten Mitteln für die homöopathische Reiseapotheke verursachte große Aufregung, nachdem die Stadt Essen sie auf ihrer Homepage veröffentlichte und per Twitter bewarb. Im akuten Krankheitsfall sollten sofort „5 Globuli oder Tropfen“ direkt genommen und eine Minute im Mund hi-n und herbewegt werden. Kritiker bezweifelten, dass dies die richtigen Ratschläge für medizinische Notfälle sind. „Die dümmste Stadt Deutschlands?“, fragte der Journalisten-Blog „Ruhrbarone“.
Der Leiter des örtlichen Gesundheitsamtes Rainer Kundt stellte schnell klar, dass trotz der Veröffentlichung auf der städtischen Homepage die Ratschläge nicht offiziell sind. „Das sind keine Empfehlungen des Amtsarztes“, sagte er der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Er selber würde Aspirin oder Paracetamol mit in den Urlaub nehmen, ein erprobtes Mittel gegen Übelkeit sowie ein leicht cortisonhaltiges Gel zur Behandlung von Sonnenbrand und Insektenstichen. Ansonsten rate er Reisenden, mit ihrem Hausarzt oder Apotheker zu sprechen.
Doch die umstrittene Mitteilung beschäftigte sogar den nordrhein-westfälischen Landtag. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Susanne Schneider, fragte die Landesregierung um eine Bewertung. Ihr liegt das Thema so sehr am Herzen, dass sie sich sogar aus dem Urlaub schnell zurückmeldet. „Es ist ja keine Aufgabe einer Stadt im Ruhrgebiet, diese Empfehlungen auf die Homepage zu stellen“, erklärt Schneider. Sie verweist gleichfalls an Ärzte oder Apotheker als Ansprechpartner für die Reiseapotheke.
Brandgefährliche Ratschläge?
Die Empfehlungen seien ihrer Einschätzung nach brandgefährlich und sehr kritisch. „Ich finde es nicht gut, das eine oder andere Homöopathikum bei schweren Erkrankungen wie Entzündungen oder Fieber zu empfehlen“, erklärt die Gesundheitspolitikerin.
In ihrer Landtags-Anfrage weist sie daraufhin, dass die „Mehrzahl der Wissenschaftler“ die Homöopathie als widerlegt ansähe, während laut Gesundheitsministerin Barbara Steffens die Homöopathie einen „festen Platz in unserem Gesundheitssystem“ haben müsse. Die Landesregierung wollte sich jedoch nicht in die kommunalen Angelegenheiten einmischen und erwähnte in ihrer Antwort nur, dass bei anhaltenden Symptomen ein Arzt aufgesucht werden solle. Auf die Frage, wie sich der fast ausschließende Bestandteil Rohrzucker auf die Zahngesundheit auswirke, antwortete das Gesundheitsministerium, dass durch die Registrierung homöopathischer Arzneimittel sichergestellt sei, dass sie keine unvertretbaren schädlichen Wirkungen hätten – und verwies zuständigkeitshalber an das BfArM.
Fehler in der Kommunikation
Die Pressesprecherin der Stadt Essen, Silke Lenz, verwies gegenüber DAZ.online darauf, dass die Mitteilung gar kein Text der Stadt war – sondern der Carstens-Stiftung, die vom ehemaligen Bundespräsidenten Karl Carstens sowie seiner naturheilkundlich tätige Frau gegründet wurde. „Wir haben über unser Stadtmarketing einen Kooperationsvertrag mit unterschiedlichsten Akteuren des Standorts Essen“, sagte die Sprecherin. So würden im Rahmen eines Vertrags auch Pressemitteilungen der Homöopathie-nahen Stiftung regelmäßig von der Stadt übernommen – doch unter der Mitteilung werde auf den Herausgeber hingewiesen.
Ein Fehler sei gewesen, dass die Stadt die Nachricht über ihren Twitter-Kanal verbreitet hat. Auf dem werden normalerweise nur eigene Inhalte bekannt gegeben. Doch auch mit dem Inhalt der Mitteilung sei die Stadt nicht zufrieden: Die Angaben, bei welchen Erkrankungen einzelne Arzneimittel jeweils indiziert sind, seien nicht optimal formuliert. Sie könnten nach Ansicht der Stadt offenbar rechtlich unzulässig sein.
Telefonat mit der Stiftung
„Wir müssen uns auch auf unsere Kooperationspartner verlassen können“, ergänzte Lenz. In einem freundlichen Telefonat habe die Stadt gegenüber der Carstens-Stiftung deutlich gemacht, dass sie nur Pressemitteilungen einstellen dürfe, die den geltenden Gesetzen entsprechen. Zukünftig werde die Stadt die Inhalte genauer prüfen, die umstrittene Mitteilung wurde inzwischen von der Homepage genommen.
Die Carstens-Stiftung verweist wiederum auf die Stadt: Sie böten die Pressemitteilungen dieser nur an. „Was genau aufgegriffen wird, obliegt der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt“, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Die Empfehlungen beruhten auf dem Buch „Homöopathische Hausapotheke“ des Arztes Michael Teut, welches die Stiftung herausgegeben hat.
Bürger zeigen Interesse
Offenbar sieht die Stiftung jedoch ihre Mitteilung selber deutlich kritischer: Schon nachdem die Anfrage beim Landtag eingegangen war, nahm sie die Ratschläge auf der eigenen Homepage offline. Trotz des Wirbels will die Stadt weiterhin Homöopathie-News veröffentlichen, wie die Sprecherin gegenüber DAZ.online sagte. „Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die sich dafür interessieren“, erklärte sie. Dabei sei es jedoch wichtig, dass alle geltenden Vorschriften eingehalten würden.
3 Kommentare
Na dann...
von Udo Endruscheit am 09.08.2016 um 16:30 Uhr
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AW: Einsicht in die Grundproblematik
von Dr. E. Berndt am 09.08.2016 um 18:52 Uhr
Endlich!
von Bettina Frank am 09.08.2016 um 16:13 Uhr
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