Neue Genschere Crispr

Großartige Chancen, immense Risiken

Berlin - 11.08.2016, 12:45 Uhr

Die Genschere CRISPR-CAS ist mit vielen Hoffnungen verbunden – doch Experten sehen auch Gefahren. (Foto: molekuul.be / Fotolia)

Die Genschere CRISPR-CAS ist mit vielen Hoffnungen verbunden – doch Experten sehen auch Gefahren. (Foto: molekuul.be / Fotolia)


Es gibt Momente in der Forschungsgeschichte, die alles verändern – etwa die Entdeckung der Antibiotika oder die des Erbmoleküls DNA. Mit der Genschere Crispr-Cas ist Forschern wieder ein solcher Coup gelungen. Doch Experten sehen eine Büchse der Pandora geöffnet.

Noch nie war ein Eingriff ins Erbgut so einfach wie heute. Mit dem Wunderwerkzeug für Gene namens Crispr-Cas lässt sich Erbmaterial auf viele Arten verändern. Seit vier Jahren erobert es die Labors. Und das atemberaubend schnell. „Der Menschheit steht wahrscheinlich eine dramatische Wende bevor“, sagt Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. „Wir werden in einer Crispr-Welt leben.“ Joghurtbakterien und Ackerpflanzen werden damit widerstandsfähiger gemacht, gefährliche Insekten könnten kostengünstig bekämpft werden. „Crispr birgt großartige Chancen, aber auch immense Risiken.“

Auch wenn sein Siegeszug in den Labors weltweit erst 2012 begann: Das Crispr-Cas-System ist ein uralter Mechanismus, den viele Bakterien nutzen. Lange galten die Crispr-Regionen im Erbgut als nutzloser Schrott. Erst 2007 erkannten Forscher, dass es sich um ein Abwehrsystem handelt: Steckbrief, Spürhund und Skalpell in einem. Die Crispr-Sequenzen sind Abschnitte im Bakterien-Erbgut, in die Bruchstücke des Genoms von Angreifern – etwa Viren – eingebaut werden. Mit deren Hilfe erkennen Zellen, wenn der gleiche Eindringling nochmals auftaucht. Dann kann er mithilfe des an Crispr gekoppelten Enzyms Cas herausgeschnitten werden.

Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die inzwischen am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin forscht, und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna waren es, denen der Jahrhundertcoup gelang: Sie verwendeten Crispr-Cas9 gezielt zum sogenannten Genome Editing, also zum Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien am 17. August 2012 im Magazin „Science. Kurz darauf stellte der Bioingenieur Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im gleichen Magazin eine Arbeit zur universellen Einsetzbarkeit der Methode vor. Beide Teams liefern sich bis heute einen erbitterten Patentstreit.

Sind Crispr-Cas-Pflanzen genmodifiziert oder nicht?

Vielen Forschern seien nun Dinge möglich, von denen sie seit Jahrzehnten nur träumen konnten, sagt der Ethikrat-Vorsitzende und Theologe Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg. Holger Puchta, Leiter des botanischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), nennt eine entscheidende Neuerung: Ältere Methoden riefen im Erbgut auch viele ungewollte Mutationen hervor. Mit Crispr-Cas sei deren Zahl weit geringer. Von der Ursprungspflanze sei ein solches Produkt anders als bei den bisher genutzten Methoden nicht mehr unterscheidbar. Mehrere so entstandene Sorten wurden bereits erprobt – etwa gegen Mehltau resistenter Weizen oder besonders stärkehaltiger Mais.

Das führt zu der viel diskutierten Frage: Sind mit Crispr-Cas geschaffene Pflanzen als genmodifizierte Organismen (GMO) oder als Züchtung einzustufen? „Darum gibt es einen riesigen Streit, hinter dem immense finanzielle Interessen stehen – der Unternehmen, aber auch der gegen Gentechnik engagierten Organisationen“, erklärt Dabrock. In den USA und Kanada werden solche Pflanzen nicht als GMO eingestuft. Die rechtliche Situation in der Europäischen Union sei derzeit „extrem unklar“, kritisiert Puchta.

Lesen Sie mehr zum Thema CRISPR in der DAZ

Genom-Editierung mit CRISPR-Cas9 von Thomas Winckler, Institut für Pharmazie, Universität Jena (DAZ 2016, Nr. 11, S. 48, 17.03.2016)

CRISPR/Cas9 - Kaum auszusprechen, aber eine Methode mit gewaltigem Potenzial! von Theo Dingermann und Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt  (DAZ 2015, Nr. 19, S. 46, 07.05.2015)

Missbräuchlich oder auch aus Unachtsamkeit könnten sich einige wenige genveränderte Lebewesen rasant ausbreiten, etwa auch Insekten, befürchten Experten. Auch die Gefahr, mit einer neuen Crispr-Sequenz zufällig eine ganz ähnliche Sequenz im Erbgut anderer Organismen zu erwischen – mit fatalen Konsequenzen – ist durchaus real. Ein US-Forscher stellte 2014 ein Viruskonstrukt vor, mit dem nach Inhalation über eine Crispr-Sequenz Mäuse mit Lungenkrebs geschaffen wurden. Nicht nur der Crispr-Pionierin Doudna soll es eiskalt den Rücken heruntergelaufen sein: Beim kleinsten Fehler könnte ein solches Crispr-Molekül auch in der menschlichen Lunge wirken.

Auf jeden Fall einen Nobelpreis wert

Immer wieder warnten Doudna und Charpentier vor einem blauäugigen Vorpreschen, mahnten an, das System erst einmal grundlegend zu erforschen – mit mäßigem Erfolg. Und Dabrock bemerkt: Potenziell gefährliche Manipulationen von Erregern seien bisher nur in bestens ausgestatteten Labors möglich gewesen. „Dort bleibt ein Supervirus auch wirklich im Hochsicherheitstrakt.“ Mit Crispr werde das anders, weil die Technik keiner komplexen Ausstattung bedürfe. „Der Schutz vor missbräuchlicher Anwendung scheint mir derzeit der ethisch relevanteste Bereich und die wichtigste Sicherheitsfrage zu sein.“

Statt um die akuten Fragen bei Pflanzenzüchtung und die Verbreitung gentechnisch veränderter Lebewesen drehten sich die aktuellen Debatten jedoch vor allem um eher symbolische Aspekte etwa bei Gentherapien, sagt Dabrock. „Das sind abstrakte Fragestellungen, die absehbar für Jahre noch gar keine bedeutende klinische Rolle spielen.“ Eine auf Körperzellen bezogene Gentherapie sei mit Crispr ohnehin nicht zwingend dramatisch anders als bisher.

Doch die Technik geht noch weiter: Im vergangenen Jahr verlautbarte ein Team aus Guangzhou (China), Dutzende in einer Fruchtbarkeitsklinik aussortierte Embryonen manipuliert zu haben. Der Genaustausch per Crispr war nur bei einigen Zellhäufchen erfolgreich – aber das weltweite Entsetzen gigantisch. Die Schreckensvision eines im Labor gezüchteten Menschen wirkte näher denn je. „Solche Versuche halte ich für extrem problematisch“, sagt Puchta.

Goldgräberstimmung auf der einen Seite, die Angst vor einer geöffneten Büchse der Pandora auf der anderen: Welchen Weg Crispr-Cas nimmt, wird sich erst in Jahren zeigen. Selten jedenfalls sei so rasch eines klar gewesen, sagt Stefan Endres, Forschungsdekan der Medizinischen Fakultät der Universität München: „Das hat so grundsätzliche Bedeutung, dafür gibt es auf jeden Fall den Nobelpreis.“



Annett Stein, dpa Wissenschaftsredaktion
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Großartige Chancen, immense Risiken, erstaunlich dumme Menschheit

von Linus am 12.03.2017 um 13:43 Uhr

Die Menschheit glaubt immer noch, dass sie in jedes Fettnäpfchen treten darf, um aus Erfahrung zu lernen. Wenn sie diese Haltung nicht korrigiert, wird es irgendwann heißen: 'Ups, wir haben da einen kleinen Fehler im Gen-Tech-Labor gemacht: 5 Milliarden Menschen tot. Tut uns wirklich leid!'

Gefährliche Technologie muss verboten werden um das Leben zu schützen. Aber das wird die Menschheit erst nach dem ersten oder zweiten GAU im Bio-Tech-Bereich verstehen.

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