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Forschungsfreiheit in Mainz
Streit um Boehringer-Verträge erreicht den Landtag
Beschränken Millionen-Abkommen mit der Boehringer-Stiftung die Forschungsfreiheit an der Uni Mainz? Ihr Präsident will Fehler korrigieren, die Experten als verfassungswidrig bezeichnen. Im Wissenschaftsausschuss des Landtags kritisierten Politiker fast aller Faktionen Uni und Ministerium. Grünen-Politikerin Eveline Lemke will die Angelegenheit zum Präzedenzfall machen.
Natürlich spreche vieles für Zweifel an der
Freiheit der Forschung, sagte der rheinland-pfälzische Staatssekretär Salvatore
Barbaro (SPD) am Mittwochnachmittag bei der Sitzung des Wissenschaftsausschusses
im Landtag. „Es ist wichtig, dass wir als Forschungsausschuss ein Signal setzen“,
ergänzte Grünen-Politikerin Eveline Lemke. Noch ging es nicht um die Situation
im eigenen Lande: Der Ausschuss beriet über die Lage nach dem Putsch in der
Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdoğans hartes Durchgreifen auch gegen
Wissenschaftler.
Doch dann ging es zu Tagesordnungspunkt vier. Auch wenn am Rhein weder Reiseverbote noch Verhaftungen drohen, glauben Kritiker, dass dort einiges im Argen liegt: Nicht die Politik, sondern private Institutionen hätten unzulässigen Einfluss. „Presseberichten zufolge hält die vertragliche Gestaltung der Kooperation zwischen der Böhringer Ingelheim Stiftung und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einer rechtlichen Prüfung nicht stand“, erklärte die oppositionelle CDU.
Staatssekretär bedauert Kritik
Stellungnahmen und Presseveröffentlichungen, die das großzügige 150-Millionen-Sponsoring der Boehringer-Stiftung für die Uni Mainz in ein schlechtes Licht rücken, seien „sehr bedauerlich“, sagte Barbaro. Sie würden dem Vertrag nicht gerecht. Auch hätten sich bisher keine Wissenschaftler gemeldet, die sich eingeschränkt gefühlt hätten. „Es ist sehr fragwürdig, wenn das andere tun, die nicht vom Recht betroffen sind“, erklärte der Staatssekretär.
Er räumte jedoch ein, dass man den Vertrag „anders auslegen kann“, als es Uni und Stiftung seiner Einschätzung nach vor hatten. Vom Deutschen Hochschulverband, der knapp 30.000 Professoren vertritt, war insbesondere eine Regel als unzulässiger Eingriff angesehen worden: Wenn mit dem Stiftungs-Geld Professoren berufen werden, hat sie laut Vertrag ein Vetorecht beim Abschluss der Berufungsvereinbarungen. Laut Ministerium wäre ein Vetorecht bei der Berufung rechtswidrig, doch zähle die Klausel zur Berufungsvereinbarung nicht mehr hierzu.
„Es gibt an keiner Stelle Einfluss auf das Auswahlverfahren“, erklärte Barbaro, der selber Honorarprofessor an der Uni Mainz ist. „Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass derjenige, der sich über Jahre bindet, zumindest am Ende nochmal gefragt wird“, sagte der SPD-Politiker. Anders sehen dies neben dem Hochschulverband auch mehrere Experten.
Sind nur Bleistifte betroffen, nicht die Forschungsfreiheit?
Bei der Vertragsklausel, nach der Pressemitteilungen oder Veröffentlichungen mit der Stiftung abgestimmt werden müssen, ist laut Barbaro aus dem Kontext klar, dass es nicht um wissenschaftliche Artikel ginge. Es seien Broschüren gemeint, die das Institut betreffen, oder Bleistifte mit Logoaufdruck. Doch laut Uni-Präsident Georg Krausch kann dies auch als Einflussnahme bei wissenschaftlichen Artikeln interpretiert werden, weshalb er diesen „Fehler“ korrigieren will.
Sprengkraft besitzt auch ein neuer Aspekt zum Vertrag über Gelder in Höhe von 100 Millionen Euro, mit denen die Stiftung ein „Exzellenzzentrum für Lebenswissenschaften“ in Mainz gegründet und finanziert hat. Die ehemalige Forschungsministerin Doris Ahnen (SPD) äußerte bei einem Pressegespräch im Jahr 2009, dass ihr angesichts der Großzügigkeit des Spenders „das Herz überläuft“ – und auch der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck zeigte sich am Tag nach seinem 60. Geburtstag über das Präsent für die Uni sehr erfreut.
Weisung nur im Konsens?
Doch Artikel 9 des Vertrages ist heikel: Er sagt aus, dass die Uni von ihrem Weisungsrecht nur nach Zustimmung der Stiftung Gebrauch machen darf. „Nur wenn es einen Konsens gibt, kann es eine Weisung geben“, erklärte Staatssekretär Barbaro nun. Diese Möglichkeit sei geplant für schwerwiegende Fälle von Fehlverhalten am Exzellenzzentrum. „Indem man auf das Weisungsrecht bewusst verzichtet, stärkt man die Freiheit und Autonomie der Beteiligten“, betonte er.
Anders sieht dies Grünen-Politikerin Lemke, die befürchtet, dass die Universität sich damit eines Mittels beraubt hat, die Wissenschaftsfreiheit sicherzustellen. „Wenn ein Präsident einer Uni darauf verzichtet, verzichtet er auf seine Freiheit“, erklärte sie.
Ärger über die Antworten der Landesregierung
Inwiefern kannte das Ministerium die umstrittenen Verträge, und hat es sie geprüft? Die teils sehr ausweichenden Antworten des Staatssekretärs ärgerten die CDU-Abgeordnete Dorothea Schäfer, wie sie DAZ.online sagte. Doch insgesamt sei sie – wie alle anderen Abgeordneten, die sich äußerten – froh über das finanzielle Engagement der Stiftung. „Das Ministerium hat immer gesagt, es ist in Ordnung“, sagte Schäfer. „Wenn das das Ergebnis ist, freut es mich.“
Für Helga Lerch (FDP) begannen die Irritationen in der Angelegenheit damit, dass die Uni nur ausgewählte Journalisten in die Verträge gucken ließ – der SWR-Reporter Thomas Leif musste sich das Recht auf dem Klageweg erstreiten. „Das geht gar nicht“, sagte sie auf Nachfrage. „Das war eine ungünstige Geschichte, da war Geschmäckle dabei“, erklärte Lerch gegenüber DAZ.online. Es sollte nichts dagegen sprechen, Verträge öffentlich zu machen, wenn es nichts zu verbergen gibt.
Irritation über Verstoß gegen Standards
Die Grünen-Politikerin Lemke will den Fall nutzen, um Fragen um Forschungsfreiheit und Transparenz neu im Landtag zu diskutieren. Sie sehe es als sehr ernstzunehmendes Anliegen, die Frage im Parlament zu stellen, ob die Forschungsfreiheit so gelebt wird, wie es sich in der Demokratie passe, sagte sie. Von Uni-Präsident Krausch erwarte sie nach wie vor die angekündigte Änderung der Verträge. Außerdem will sie Richtlinien des Deutschen Stifterverbandes zukünftig zum Standard machen: In dieser Vereinigung, der Ex-Boehringer-Chef Andreas Barner vorsteht, haben sich verschiedenste Stiftungen zusammengeschlossen und einen „Code of Conduct“ erarbeitet.
„Irritierend finde ich, wenn es ‚Codes of Conduct‘ gibt und Herr Barner sie rausgibt – und die Verträge sie nicht einhalten“, sagte Lemke. Barner ist auch Vorsitzender des Hochschulrats der Uni Mainz und könnte angesichts der anhaltenden Diskussionen dort demnächst auch wieder mit dem Thema zu tun haben.
Nicht zur Sprache kamen bei der Ausschusssitzung im Mainzer Landtag ein neuer Fall: Für eine große Gesundheitsstudie hatte die Unimedizin Mainz dem Boehringer-Konzern Mitspracherechte bei Publikationen eingeräumt. Die Forschungsfreiheit dürfte die Parlamentarier daher noch eine Weile begleiten.
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