Colchizin, NSAR oder Cortison

Was hilft beim akuten Gichtanfall?

Berlin - 14.09.2016, 16:30 Uhr

Fleisch und Alkohol, vor allem Bier, können Gichtanfälle auslösen. (Foto: id-art / Fotolia)

Fleisch und Alkohol, vor allem Bier, können Gichtanfälle auslösen. (Foto: id-art / Fotolia)


Rötung, Schwellung, starke Schmerzen, oft im großen Zeh – so äußert sich meist ein Gichtanfall. Wie behandelt man diesen am besten? NSAR, Corticosteroide und Colchizin stehen zur Verfügung. Über den Stellenwert von Letzterem sind sich Experten allerdings uneins: „Gute Pillen,  schlechte Pillen“ rät ab, in den USA ist es das Mittel der ersten Wahl.  

Normalerweise liegt die Harnsäure im Blut gelöst vor. Ist die Konzentration zu hoch, kristallisiert sie aus. Die Urat-Kristalle lagern sich im Gewebe an. In Gelenken führt dies zu schmerzhaften Entzündungen. Bei einem ersten Gichtanfall ist meist nur ein Gelenk betroffen, in vielen Fällen das Großzehengrundgelenk. Unbehandelt können die Beschwerden zwei bis drei Wochen anhalten.

Für die Behandlung des akuten Gichtanfalls stehen drei Wirkstoffgruppen beziehungsweise Wirkstoffe zur Verfügung – nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Glucocorticoide und Colchizin. NSAR zählen zu den Mitteln der ersten Wahl. Darin sind sich die Experten von „Gute Pillen, schlechte Pillen" (GPSP) und die Autoren verschiedener Leitlinien weitestgehend einig.

NSAR wirken schmerzlindernd und entzündungshemmend. Empfohlen werden – je nach Quelle – Indometacin, Naproxen, Diclofenac oder Ibuprofen. Acetylsalicylsäure sollte vermieden werden, da sie die Ausscheidung von Harnsäure verlangsamt und unter Umständen sogar Gichtanfälle auslösen kann. Oft können die Schmerzen mit NSAR allein geregelt werden, insbesondere wenn die Behandlung schnell beginnt, schreibt GPSP.

Colchizin oder Cortison?

Über den Stellenwert der anderen Behandlungsoptionen sind die Experten allerdings unterschiedlicher Ansicht. So erachtet GPSP orale Glucocorticoide als gleichwertige Alternative zu den NSAR. Bei Nichtansprechen oder in schweren Fällen kann auch kombiniert werden – dann allerdings mit Magenschutz.

Von Colchizin hingegen hält das pharmakritische Magazin wenig. Es rät – trotz guter Wirksamkeit – ab. Das Alkaloid aus Herbstzeitlosen sei schlecht verträglich. Sogar bei üblicher Dosierung komme es häufig zu Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen.

Die hausärztliche Leitlinie hingegen rät – wenn keine Kontraindikation vorliegt – primär mit NSAR plus oralen Glucocorticoiden zu beginnen. Prednisolon und Naproxen werden genannt. Allerdings findet sich auch der Hinweis, dass die jeweiligen Monosubstanzen beim akuten Gichtanfall genauso gut wirken und daher auch allein eine Option sind. Können weder NSAR noch Cortison gegeben werden, soll auf Colchizin zurückgegriffen werden, heißt es in der Leitlinie. 

In den USA ist Colchizin Mittel der ersten WAhl

Die Leitlinie des National Health Service hingegen sieht Colchizin als Mittel der zweiten Wahl, wenn eine NSAR-Monotherapie nicht möglich ist. Glucocorticoide sollen in Großbritannien erst zum Einsatz kommen, wenn auch Colchizin nicht geht. Die Anwendung der Steroide kann dann oral oder intraartikulär erfolgen. Die Kombinationstherapie findet sich in der „Gout Management Summary Guideline“ nicht. Diese Einschätzung teilen auch die Experten von Up-to-date. NSAR, alternativ Colchizin, dann Glucocorticoide und zwar erst intraartikulär, dann oral – in dieser Reihenfolge soll die Auswahl erfolgen.

Einen noch größeren Stellenwert hat Colchizin in den USA. Für die Experten des American College of Rheumatology steht das Alkaloid auf einer Stufe mit NSAR oder systemischen Glucocorticoiden – jeweils als Monotherapie – und gilt somit sogar als erste Wahl. Eine Kombination wird erst bei Therapieversagen empfohlen, alternativ ein Wechsel auf eine der anderen beiden Wirkstoffklassen beziehungsweise auf Colchizin. 

Kein Allopurinol im Anfall

Die europäische Leitlinie sieht Colchizin ebenfalls ganz vorne, gemeinsam mit den NSAR. Die European League Against Rheumatism (EULAR) verweist dabei auf die bessere Akzeptanz der NSAR aufgrund der guten Verträglichkeit. Dass NSAR häufig bevorzugt würden, beruhe allerdings allein auf Erfahrung, schreiben die Experten. Ein direkter Vergleich der beiden Substanzen existiere nicht. Kommen weder NSAR noch Colchizin infrage, ist nach Ansicht der EULAR intraartikuläres Cortison das Mittel der Wahl.

Die Behandlung eines akuten Anfalls ist immer eine Kurzzeittherapie über etwa drei bis fünf Tage. Mit dem Einsatz eines NSAR in der Erstlinientherapie macht man zumindest nach den zitierten Leitlinien nichts falsch. Kommen die nicht infrage, wird es allerdings bereits schwierig. 

Eine Harnsäure-senkende Therapie soll während einer Gichtattacke nicht initiiert werden, sondern – bei bestehender Hyperurikämie – nach dem Abklingen der Symptome. Mittel der Wahl ist dabei der Xanthinoxidasehemmer Allopurinol – ist dieser kontraindiziert, ist es Febuxostat. Eine laufende Behandlung wird allerdings auch während eines Anfalls fortgeführt.

Da Gicht meistens eine Folge des Lebensstils ist, ist die Änderung der Ess- und Trinkgewohnheiten ebenso wichtig wie die medikamentöse Therapie. Mehr zur Ernährung bei Gicht finden sie hier. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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