Reem, geflohen aus Aleppo

Ihr Traum vom Pharmaziestudium

Berlin - 18.10.2016, 08:00 Uhr

Der Wunsch, Pharmazie zu studieren, hat sich für Reem nicht erfüllt – noch nicht? (Foto: danr13 / Fotolia)

Der Wunsch, Pharmazie zu studieren, hat sich für Reem nicht erfüllt – noch nicht? (Foto: danr13 / Fotolia)


Reem tut alles für einen Pharmazie-Studienplatz in Deutschland – und scheitert. Aber die junge Syrerin gibt nicht auf.

Der Krieg in Syrien zerstört viele Gebäude und tötet viele Menschen. Er löscht ihre Träume und Ambitionen aus. Einige haben einen Weg gefunden, mit der Flucht ins Ausland, dem Tod zu entkommen. Sie suchen eine Chance, weiterzuleben, sich selbst und ihre Träume zu verwirklichen. Aber die Migration endet für einige vor verschlossenen Türen in den Aufnahmeländern. Ihre Träume platzen. Reem ist eine 22-Jährige aus Syrien. Auch sie dachte, dass sie in Deutschland ihren Traum verwirklichen kann. Doch die junge Frau, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, musste erfahren: Die Realität sieht anders aus.

Ende 2013 umarmt Reem ihren Vater zum letzten Mal für lange Zeit. Er hat sich entschieden, in Aleppo zu bleiben. Reem gibt er mit auf den Weg: „Geh und finde deine Zukunft jenseits des Sterbens hier.“ Die damals 19-Jährige flieht nach Beirut, mit ihrer Mutter, ihren beiden Schwestern und ihrem kleinen Bruder. Es soll nur eine Zwischenstation sein, denn ein Onkel, der schon seit 13 Jahren in Deutschland lebt, hat sie eingeladen, zu ihm zu kommen.

Als sie in Beirut das Visum zur Weiterreise erhält, war sie sehr erleichtert, sagt Reem. Nach dem Abflug fühlt sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit sicher. „Es wird keine militärischen Checkpoints geben, wenn ich in Deutschland unterwegs bin. So wie jedes Mal, wenn ich in Aleppo irgendwo hingehen muss. Ich muss keine Angst mehr haben. Niemand wird mich erschießen oder mich ausrauben. All das Furchtbare dieses verrückten Kriegs liegt nun hinter mir“, denkt Reem.

Sie hat gehört: Studienmöglichkeiten sind in Deutschland viel besser

Ihr Traum ist es, sich in Deutschland an einer Universität in Pharmazie einschreiben zu können. Sie hat oft gehört, dass die Studienmöglichkeiten in der Bundesrepublik viel besser sind als in Syrien.

Das Flugzeug landet in Düsseldorf. Reem fährt von dort nach Aachen, wo das Haus ihres Onkels liegt. Es ist groß und hat einen Garten. Seitdem der Krieg in Syrien begonnen hat, gibt es nur noch Bilder von Zerstörung um sie herum. Und Staub aus zerbombten Betonbauten, der den Atem nimmt. Jetzt ist alles um sie herum schön. Es wird alles gut werden, denkt sie.

Die Frau ihres Onkels ist eine Deutsche. Vom ersten Tag an unterrichtet sie Reem und die anderen in der deutschen Sprache. Sie kauft Bücher, Hefte und Stifte. Nicht nur das, ein Kollege der Frau gibt der Familie zusätzlich täglich eine Stunde einen Deutschkurs. „Ich war sehr glücklich. Ich denke, dass ein Flüchtling eher selten die Gelegenheit hat, vom ersten Tag an die neue Sprache zu lernen. Die Situation ist völlig anders, wenn du in einem Haus lebst, wo den ganzen Tag Deutsch gesprochen wird“, sagt Reem.

Einen Integrationskurs kann Reem nicht besuchen

Einen Integrationskurs kann Reem nicht besuchen. Denn der Staat zahlt nicht für Flüchtlinge, die mit dem Familiennachzug nach Deutschland gekommen sind. Sie versucht mehrmals, an einem Kurs teilnehmen zu dürfen. Aber die Behörden sagen Nein. Um sich das Geld für den Kurs selber zu verdienen, arbeiten Reem und ihre Schwester in einem Restaurant. „Ich wusste, dass der erste Schritt zum Studium ein Sprachzertifikat ist“, sagt Reem. Ihre Familie unterstützt ihren Traum, kann sie aber über den Lebensunterhalt hinaus nicht unterstützten.

Die erste Kursstufe absolviert Reem erfolgreich. Dann erhält sie von der Caritas ein Stipendium, um einen Intensivkurs zu besuchen. Nach zwölf Monaten erreicht sie das Niveau C1. Doch für die Studienbewerbung reicht auch das an den meisten Unis nicht, sie verlangen die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH). Zum Wintersemester 2015/16 verschickt Reem erste Studienbewerbungen an einige Universitäten. Gleichzeitig bewirbt sie sich für einen DSH-Kurs in Aachen.

Ein Praktikum in der Apotheke – doch viele Absagen von Unis

Während sie auf die Antworten wartet, sucht Reem sich einen Praktikumsplatz in einer Apotheke. Mithilfe von Freunden der Familie gelingt es ihr, der Verwirklichung ihres Traums wieder einen Schritt näher zu kommen. Sie kann zwei Mal in der Woche für je vier Stunden mitarbeiten. Mit jedem Arbeitstag fühlt sie sich mehr als richtige Apothekerin.

Während ihres Praktikums in der Apotheke erhält Reem die Antworten der Unis, bei denen sie sich beworben hat. Wenn sie einen solchen Brief erhält, fühlt sie Freude und Angst. Die Antworten sind dann aber immer enttäuschend. „Wir bedauern, dass wir Ihre Bewerbung nicht akzeptieren können“, heißt es wieder und wieder. Die Begründung: Die umgerechnete Durchschnittsnote auf ihrem Abiturzeugnis aus Aleppo reicht nicht aus für einen Pharmazie-Studienplatz.

Nach einigen Monaten beendet Reem den DSH-Kurs. Mit dem Zertifikat und mit einer Praktikumsbescheinigung aus der Apotheke hofft sie, bessere Chancen zu haben. „Ich dachte, dass es die Sache ändern könnte, wenn sie sehen, wie beharrlich ich mich auf das Studium vorbereite.“

Doch auch zum Sommersemester 2016 erhält sie nur Absagen. Es gibt nach wie vor keinen Studienplatz für Reem. „Ich dachte, dass das Bildungssystem in Deutschland anders ist. Meine Noten sind gut, und in medizinischen Berufen haben die Deutschen doch sehr viel Bedarf. Ich verstehe nicht, warum die Universitäten mich ablehnen“, sagt Reem. Eine Studienberatung hat sie bis heute nicht besucht. Erfahrene Freunde der Familie würden sie gut beraten, sagt sie.

Sie fragt den Vater, ob sie nach Aleppo zurückkommen soll

Sie weint am Telefon viel, wenn sie mit ihrem Vater in Aleppo spricht. Sie hat ihn gefragt, ob sie nach Aleppo zurückkommen soll, weil sie ihren Traum nicht verwirklichen kann. Aber ihr Vater sagt ihr, sie soll bleiben und nicht aufgeben.

Heute arbeitet Reem immer noch in der Apotheke. Sie hat inzwischen einen Minijob. Zum Wintersemester hat sie sich für Informatik beworben – mit Erfolg. Informatik statt Pharmazie: Reem muss sich noch daran gewöhnen, dass sich ihr Traum vom Studium nun anders als geplant und ersehnt erfüllen soll.

Der Autor BILAL ALDUMANI ist Journalist und kommt aus Syrien. Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe #jetztschreibenwir des Tagesspiegels – mit Berichten und Geschichten von geflüchteten Journalisten, die am Sonnabend, den 15. Oktober erschienen ist und im Abo, am Kiosk und als E-Paper erhältlich ist. Der Autor hat den Text selbst auf Deutsch verfasst und diesen DAZ.online zur Verfügung gestellt. Vielleicht hat ein Leser eine Idee, wie Reem doch noch zu ihrem Wunsch-Studium kommen kann?



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2 Kommentare

Tipp zum Pharmazie Studienplatz

von Luzia Schaaf am 19.10.2016 um 12:43 Uhr

Fall es mit dem NC Probleme gibt: 3 Semester Chemie studieren, sich die bestandenen Praktika (Quali/ Quanti/ Physik)für das Pharmazie Studium anerkennen lassen und sich dann als Quereinsteiger bewerben. Dann hat man die Chance auf einen Studienplatz der von einem Studienabbrecher frei wurde!

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NC

von Hamburger am 18.10.2016 um 20:27 Uhr

Es wäre wünschenswert, wenn die Flüchtlinge akademische Berufe ergreifen können. Jedoch müssen die gleichen Voraussetzungen wie für andere Bewerber geschaffen werden und wenn der NC nicht ausreicht, dann kann sie leider nicht studieren. Alles andere wäre wohl ungerecht den anderen Bewerbern gegenüber.

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