Gastbeitrag von Hilko J. Meyer

„Preisregeln ins Sozialrecht transplantieren“ 

Frankfurt - 20.10.2016, 14:30 Uhr

Hilko J. Meyer lenkt nach dem EuGH-Urteil das Augenmerk auf das Sozialrecht. (Foto: DAZ)

Hilko J. Meyer lenkt nach dem EuGH-Urteil das Augenmerk auf das Sozialrecht. (Foto: DAZ)


Professor Hilko J. Meyer findet das EuGH-Urteil zur Arzneimittelpreisbindung skandalös. Um die Situation für die deutschen Apotheken zu entschärfen, regt er an, die Preisregelungen für Medikamente aus dem Arzneimittelrecht in das Sozialrecht zu transplantieren. Damit würden sie weitgehend aus der Zuständigkeit der Union herausgenommen.

Mit diesem Urteil kehrt der EuGH zu seiner Linie vor den Urteilen Krankenhausversorgung (2008) und Fremdbesitzverbot (2009) zurück und setzt sich in skandalöser Weise über die substantiierten Argumente der Bundesregierung, der obersten deutschen Bundesgerichte und der ABDA hinweg. Stattdessen machen sich die europäischen Richter zum willigen Werkzeug des Deregulierungswahns der Europäischen Kommission, subsumieren das Gesundheitswesen ohne Umschweife den Marktfreiheiten des Binnenmarktes und öffnen es damit den globalen Internetgiganten und ihren unerschöpflichen Finanzquellen.

Im Mittelpunkt steht dabei juristisch die bereits seit einiger Zeit von der Kommission eingeforderte und nun vom EuGH vollstreckte Neudefinition des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, die verbunden mit einer Umkehrung der Darlegungslast unmittelbar in die unionsrechtlich verankerte Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihr Gesundheitswesen eingreift, das Subsidiaritätsprinzip verletzt und die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Vorsorgeprinzip und zur Einschätzungsprärogative der Mitgliedstaaten im Hinblick auf das Niveau ihrer Gesundheitsversorgung ins Gegenteil verkehrt.

Rx-Versandverbot: Keine leichte Lösung

Angesichts des Anwendungsvorrangs des Urteils und der kurzfristig drohenden Inländerdiskriminierung deutscher Apotheken ist nun ein schnelles Handeln des deutschen Gesetzgebers erforderlich. Es ist zu begrüßen, dass die von mir seit Langem geforderte Beschränkung des Versandhandels auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die der EuGH 2003 für unionsrechtskonform erklärt hatte, inzwischen auch von Mitgliedern der Regierungsfraktionen unterstützt wird. Zwölf Jahre nach Zulassung des Internethandels und angesichts der aktuellen Rechtsprechung ist diese Lösung allerdings nicht leichter geworden.

Zusätzlich sollte darüber nachgedacht werden, die Preisregelungen für Arzneimittel aus dem Arzneimittelrecht in das Sozialrecht zu transplantieren und damit weitgehend aus der Zuständigkeit der Union herauszunehmen. Die Grenze zwischen Preis- und Erstattungsregelungen – die in den meisten EU-Ländern nicht existiert – ist auch in Deutschland längst durchlöchert, wie die sozialrechtliche Wiederbelebung der alten Arzneimittelpreisverordnung für OTC Arzneimittel (§ 129 Abs. 5a SGB V) und die sozialrechtliche Festlegung des einheitlichen Herstellerabgabepreises unter dem Namen Erstattungsbetrag (§ 130b SGB V) zeigen. Sogar die Geltung sozialrechtlicher Preisregelungen für private Krankenversicherungen hat ein FDP-geführtes Bundesgesundheitsministerium bereits realisiert (§ 78 Abs. 3a AMG).

Natürlich würde eine solche Frontbegradigung nicht ohne Kollateralschäden abgehen. Aber wenn die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet würden, den einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel gemeinsam und einheitlich zu gewährleisten und die Arzneimittelpreisverordnung einzuhalten, würde die Konstruktion einer Unionsrechtswidrigkeit erheblich erschwert.

Hilko J. Meyer ist Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Der Jurist war in seiner Karriere unter anderem für die ABDA, den BPI und den Phagro tätig.


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