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Tag 1 nach dem EuGH-Urteil: Die holländischen Versandapos überbieten sich mit Boni und Rabatten. Die ABDA will aus allen Rohren schießen und klebt Plakate mit Karabinerhaken. Und klammert sich an die letzte Chance: ein Rx-Versandverbot.
Die Woche des 19. Oktobers
Mein liebes Tagebuch, kennst du das Gefühl, wenn man nach einem schlechten Traum aufwacht, sich kneift und heilfroh ist, dass alles nicht wahr ist? Als ich am Tag nach dem 19. Oktober aufgewacht bin, hab ich mich auch gekniffen – aber das Unheil war noch da! Ein Urteil, das viele nicht für möglich gehalten hatten. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Das deutsche Arzneimittelpreisrecht gilt nicht mehr für ausländische Versandapotheken, sie dürfen Preisnachlässe gewähren, wenn sie verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Deutschland versenden.
Am Morgen danach fiel mir die „Welt kompakt“ in die Hände: Ein riesengroßes Apotheken-A auf der Titelseite und die Unterzeile: „A wie Auslaufmodell – die deutschen Apotheken verlieren ihre Privilegien.“ Das war’s dann also mit unserer schönen Apothekenwelt? Nichts ist mehr so wie zuvor?
Halt, mein liebes Tagebuch, mal langsam, was ist da eigentlich genau passiert? Fürs deutsche Arzneimittelpreisrecht bleibt alles so wie es ist. Alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel kosten in jeder deutschen Apotheke, auch in deutschen Versandapotheken dasselbe, Preisnachlässe in Form von Rabatten und Boni auf Rx sind verboten. Genau das aber dürfen ab sofort die ausländischen Versand-Apos – und sie haben noch am gleichen Tag damit begonnen. DocMorris gibt Boni bis zu 12 Euro pro Rezept. Super, oder? Und die Europa Apotheek gleich hinterher: Bis zu zehn Euro Bonus pro Arzneimittel. Jetzt geht’s los! Kann man dem klammen Rentner Max und dem cleveren Mittvierziger Moritz verdenken, wenn sie ihre zuzahlungspflichtigen Rx-Packungen in Holland bestellen – und sparen wollen? Wer kauft nicht gern mit satten Rabatten ein? An vorderster Front wir Apothekers.
Wer eins und eins zusammenrechnen kann, der sieht die Folgen: Wenn unsere Patienten ihren (planbaren) Rx-Arzneibedarf bei ausländischen Versandapotheken bestellen, bleibt für die Vor-Ort-Apotheken in erster Linie nur die Akutversorgung. OTC-Arzneimittel ziehen die Versender bereits kräftig von unserem Apothekenumsatz ab. Aber nur von der Akutversorgung können die wenigsten Apotheken leben, da bleiben jede Menge auf der Strecke. Der Weg des Patienten zur nächsten Apotheke wird weiter werden, vor allem auf dem Land.
Die Wirtschaftsblätter denken nicht so weit. Dort gibt’s nur Jubel übers Urteil und Häme gegen die Apotheken. Die wenigsten Ökonomen haben verstanden, dass das Urteil auch weniger Apotheken, vor allem auf dem Land, und damit längere Wege zur Apotheke nach sich ziehen wird. Die meisten Blätter hüpften vor Freude: Endlich mehr Wettbewerb bei den privilegierten und abgeschirmten Apotheken, „Kampf den Mondpreisen“, „Konkurrenz belebt den Apotheker“, „Weg mit dem Apothekerprivileg!“ „Das Ende der Apothekerpreise.“ Unisono Freude, dass die „Apothekerpreise“ geknackt wurden. Ja, mein liebes Tagebuch, zum Teil unglaublich, wie schräg und falsch das Urteil bejubelt wurde. Und die User-Kommentare in den Online-Medien der Nachrichtenportale (zum Beispiel auf Spiegel online) zum EuGH-Urteil wollen wir nicht lesen – macht depressiv. Da scheinen sich die Apothekenhasser und -neider der Republik versammelt zu haben. Mein liebes Tagebuch, was ich als leicht schizophren empfinde, ist die gespaltene Betrachtungsweise dieser Medien. Einerseits die Freude darüber, dass die Apotheken sich jetzt endlich dem Wettbewerb stellen müssen, andererseits jammern und klagen sie und sprechen von Abzocke (z. B. NDR-Sendung „Markt“), wenn die Apotheken mit dem Wettbewerb Ernst machen und den Kunden z. B. beim Wunsch nach Erkältungspräparaten „mehr als 20 Euro abnehmen“. Den Apotheken ginge es primär ums Verkaufen, hieß es. Mein liebes Tagebuch, wie verrückt ist das denn?
Zum Urteil selbst. Christian Rotta hat es hier auf DAZ.online so ausgedrückt: Krude, selektiv, zynisch – ein hanebüchenes Urteil. Krude in seiner Begründung, selektiv in der Wahrnehmung und verworren in seinen Schlussfolgerungen. Mein liebes Tagebuch, damit ist alles gesagt. Der EuGH sieht nur den Wettbewerb. Und schießt den Vogel ab mit seinen super-zynischen Anmerkungen, die man so auf den Punkt bringen kann: Weil die Versandapotheken nicht so gut vor Ort beraten könnten wie „traditionelle Apotheken“ und weil sie auch nicht in der Lage seien, eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen, müsse man ihnen den Preiswettbewerb einräumen – das sei die einzige Möglichkeit für die Versandapos, den unmittelbaren Zugang zum Markt zu finden. Cool, oder? Auf so eine Begründung muss man erstmal kommen. Und dann setzen die EuGH-Roben noch ein Krönchen drauf: Für traditionelle Apotheken könnte es doch reizvoll sein, sich im Wettbewerb mit den Versandapotheken durch mehr Herstellung von Rezepturarzneimitteln und die Bereitstellung eines gewissen Vorrats und Sortiments an Arzneimitteln zu profilieren. Das ist einmal Apotheken abwatschen. Und es zeigt, wie wenig Mühe sich diese Juristen mit den Eigenheiten des Apothekenmarkts und Gesundheitswesens gemacht haben. Mein liebes Tagebuch, auf welchem Stern leben diese Zyniker? Da können wir nur froh sein, dass diese Richter 2009 nicht über Fremd- und Mehrbesitzverbot entschieden haben.
Der deutsche Rechtsprofessor Hilko Meyer nennt das Urteil „skandalös“, für den Apothekenrechtsexperten Elmar Mand ist es „ein einmaliger Affront“. Für Rechtsanwalt Morton Douglas ist das Urteil aber auch „eine schallende Ohrfeige für diejenigen, die die Interessen der Apotheker in Deutschland vertreten haben“: Es fehlte den Richtern an Beweisen und Belegen dafür, dass die Preisbindung geeignet sei, die Gesundheit der Bürger zu schützen. Mein liebes Tagebuch, wie wahr!
Die deutschen Gesundheitspolitiker zeigten sich überrascht vom Urteil. Gut, dass die Vorwahlkampfzeit beginnt, mein liebes Tagebuch, da stellen sich alle schützend vor die deutsche Apotheke. Gesundheitsminister Gröhe ist „fest entschlossen, das Notwendige und das uns Mögliche zu tun“. Da sind wir gespannt! Und alle gesundheitspolitischen Sprecherinnen der Parteien sehen nur eine Möglichkeit: Plan B, sprich ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Bayern hat dazu gleich eine Bundesratsinitiative angekündigt. Recht so, mein liebes Tagebuch, jetzt muss es schnell gehen! Sehr schnell sogar. Die Zeit könnte günstiger nicht sein: Ein Verbot könnte, so es die Koalition und das Parlament wollen, noch mit dem laufenden Gesetzgebungsverfahren, z. B dem Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz umgesetzt werden. Oh ja, mein liebes Tagebuch, für Apotheker wäre dieses Gesetz dann eine runde Sache: Mehr Geld für Rezeptur und Dokumentation plus ein Rx-Versandverbot – das hat Charme. Ein Traum! Und unsere lieben holländischen Versender dürfen sich dann auf den Versand von OTCs konzentrieren.
Doch so weit sind wir leider noch lange nicht. Schon haben unsere Apothekerkammern die Peitsche ausgepackt und drohen ihren Mitgliedern: Wehe, ihr Apothekers, wenn ihr jetzt anfangt, Rabatte und Boni zu geben! Dann werdet ihr uns mit aller Härte kennenlernen! Die deutschen Apotheker müssen sich rechtstreu verhalten und vorübergehend hinnehmen, so heißt es in den Kammerrundschreiben, dass die ausländischen Versandapotheken jetzt Boni geben und ein bisschen absahnen. Und noch eins: Wer Verstöße von Kollegen bemerkt, der sollte das bitte an seine Kammer melden! Ob so ein Aufruf zum Denunzieren fruchtet? Mein liebes Tagebuch, wir sind gespannt, wie lange die deutschen Versender stillhalten.
Und unsere ABDA? Hätte sie sich nur im Vorfeld besser angestrengt. ABDAs Vortrag beim EuGH soll saft- und kraftlos gewesen sein, wenig überzeugend, der Gerichtshof habe sich in seiner Urteilsbegründung beklagt, dass die Apothekerseite ihre Argumente „unzureichend untermauert“ habe. Hätte, hätte....
Jetzt ist sie entsetzt über das Urteil, sie ruft nach der Politik, die wieder Ordnung ins System bringen muss. Schmidt soll bereits bei Gröhe vorgesprochen haben. In einem Interview mit der FAZ nannte der ABDA-Präsident das Urteil „eine maximale Provokation“, eine Geringschätzung der pharmazeutischen Arbeit, Apotheker würden zu Arzneimittelhändlern degradiert. Als Lösung aus der Urteilsmisere sieht auch die ABDA nur den einen Weg: das Versandverbot von Rx. Um dies zu erreichen, will sie nun „aus allen Rohren schießen“. Wumm! Ich zucke zusammen. Hoffentlich geht kein Schuss nach hinten los. Einer der ABDA-Schüsse soll eine Öffentlichkeitskampagne sein: Anzeigen, Plakate, Poster und mehr. Motiv „Karabinerhaken“, Aussage „Sichern“. Wenn das mal richtig verstanden wird! Es soll Druck auf die Politik aufgebaut werden, die politische Kommunikation soll auf allen Kanälen verstärkt werden. Mein liebes Tagebuch, die ABDA sagt von sich selbst, sie sei im Krisenmanagement schon immer gut gewesen. Wirklich?
Nach dem Tiefschlag vom 19. Oktober – mein liebes Tagebuch, wie geht’s weiter? Bei allem Frust, bei aller Enttäuschung: Es geht weiter. Lass die Versender mit Boni und Rabatten sich selbst übertrumpfen. Sie werden das eine oder andere Rezept über diese Masche bekommen. Aber ich bin mir sicher: Die meisten Patienten brauchen uns vor Ort und schätzen uns. Das sollten wir ausbauen mit Beratung und Service. Und währenddessen kämpfen wir fürs Rx-Versandverbot. Die Chance gibt es. Allerdings: es sollte rasch kommen, sehr rasch...
14 Kommentare
Die Apotheker sind selbst schuld, die inhabergeführte Apotheke wird in 20 Jahren vermutlich Geschichte sein.
von Thomas Püschel am 26.10.2016 um 14:04 Uhr
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Handlungsempfehlung
von Thomas Luft am 25.10.2016 um 2:17 Uhr
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Freie Fahrt für E-Bay, Amazon und co
von Bernd Jas am 23.10.2016 um 18:13 Uhr
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Hätte...Hätte.. Benjamin Müller
von Reinhard Rodiger am 23.10.2016 um 14:34 Uhr
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AW: Hätte...Hätte..
von Benjamin Müller am 24.10.2016 um 19:55 Uhr
Wer fragt nach den Gründen?
von Reinhard Rodiger am 23.10.2016 um 13:39 Uhr
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AW: Wer fragt nach den Gründen
von Benjamin Müller am 23.10.2016 um 13:47 Uhr
"Tritt fest auf ......"
von Gunnar Müller, Detmold am 23.10.2016 um 12:32 Uhr
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Rohrkrepierer
von Christian Giese am 23.10.2016 um 11:34 Uhr
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urteil
von Frank Ebert am 23.10.2016 um 10:22 Uhr
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Tagebuch
von Michael Zeimke am 23.10.2016 um 9:49 Uhr
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Wunden lecken...
von Veit Eck am 23.10.2016 um 9:47 Uhr
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saft- und kraftlos für alle!
von Ulrich Ströh am 23.10.2016 um 9:11 Uhr
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Ist es nicht erschreckend?
von Christiane Patzelt am 23.10.2016 um 8:34 Uhr
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