Nach dem EuGH-Urteil

Versandapotheker wollen keine „hyperkreativen Lösungen“

Stuttgart - 28.11.2016, 13:45 Uhr

Das EuGH-Urteil schadet dem Standort Deutschland: Der Bundesverband der Versandapotheker fordert Rx-Boni auch in Deutschland. (Foto: BVDVA)

Das EuGH-Urteil schadet dem Standort Deutschland: Der Bundesverband der Versandapotheker fordert Rx-Boni auch in Deutschland. (Foto: BVDVA)


Er fordert zukunftsorientierte Alternativen zu einer verbraucherfeindlichen Verbotspolitik – und das Ende der Inländerdiskriminierung bei Rx-Boni: BVDVA-Chef Christian Buse sieht den Ball in der Politik. Gleichzeitig erinnert er an die laufenden Gerichtsverfahren, bei denen es um Rabatte geht. „Da kann es sein, dass es schneller geht, als man denkt“, erklärt er gegenüber DAZ.online.

Anders als die meisten Vor-Ort-Apotheker werden Versandapotheker das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durchaus als Chance sehen: Mit der Entscheidung, europäischen Versandapotheken Rabatte für rezeptpflichtige Arzneimittel zu erlauben, entstand in Deutschland eine von praktisch allen Seiten als unfair kritisierte Wettbewerbssituation. Das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bislang favorisierte Rx-Versandverbot wäre eine Lösung im Sinne der ABDA, doch beim Koalitionspartner SPD, den Grünen und auch in den eigenen Reihen gibt es erhebliche Widerstände.

Die Alternative wäre die Aufhebung beziehungsweise Lockerung der festen Arzneimittelpreisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel auch für deutsche Apotheken. Daher setzt der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) derzeit möglichst viele Hebel in Bewegung, um die vom EuGH geschaffene „Inländerdiskriminierung“ zu beseitigen. „Es ist ja eine sehr eindeutige Lage – ich darf aktuell hier etwas nicht tun, was in dem gleichen Marktbereich ein anderer tun kann“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Christian Buse gegenüber DAZ.online, der auch Inhaber der Versandapotheke mycare.de ist. „Das geht alles eine Weile gut, aber zum Schluss schaden wir dem Standort hier“, kommentierte er die Freigabe von Rx-Boni für ausländische Versandapotheken. „Ich halte es nicht für sehr sinnvoll, das auszusitzen oder zu ignorieren.“

Keine Legitimation für feste Preise

Ohnehin hält er die Einführung von Rabatten für unumgänglich, seit der EuGH sein Urteil gesprochen hat. „Er hat ja grundsätzlich gesagt, dass es keine Legitimation für die Arzneimittelfestpreisverordnung in dieser Form gibt“, erklärte Buse. Die ABDA und Bundesregierung hatte vor Gericht vorgetragen, die festen Preise seien für die Gesundheitsversorgung in der Fläche in Deutschland unerlässlich – doch ohne Erfolg. Die Richter in Luxemburg vermissten Belege für diese Annahme. „Mir konnte auch niemand sagen, was die Legitimation ist, wenn es die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung nun höchstrichterlich entschieden ja gerade nicht ist“, sagte der Versandapotheker.  

Weder anachronistische Verbotspolitik noch hyperkreative Auswege

Für ihn liegt der Ball nun bei der Politik. „Es gibt zukunftsorientierte Optionen als Alternative zu einer anachronistischen und verbraucherfeindlichen Verbotspolitik“, sagte Buse gegenüber DAZ.online. Er wolle Situationen vermeiden, bei denen Marktteilnehmer die Grenzen mehr als ausreizen. „Es gab die Konstellation, wo eine bayerische Apotheke Waren im Zusammenspiel mit einer Apotheke aus Ungarn abgegeben hat“, erklärte er. Derartige „hyperkreative Lösungen“ würden am Ende nur die Gerichte beschäftigen: „Damit kann niemand zufrieden sein.“

Gleichzeitig erinnerte er an Prozesse um Rabatt-ähnliche Leistungen, die bis zur Verkündung des EuGH-Urteils geruht haben: Diese könnten dazu führen, dass die Arzneimittelpreisbindung auch in Deutschland bald fällt. „Es laufen ja eine Menge von Verfahren, bei denen es um Boni geht – da kann es sein, dass es schneller geht, als man denkt“, sagte Buse. „Diese Verfahren sind ja in der Regel erstinstanzlich entschieden, meistens wurde der Weg zum OLG gegangen. Es liegt ja auch beim OLG Düsseldorf ein ähnliches Verfahren – das wäre ja schon interessant zu schauen, wie das ausgeht.“

Als letzte Option bliebe deutschen Versandapothekern die „Auswanderung“. „Grundsätzlich ist das ja ein Gedanke, den sich jeder machen muss, wenn die Arzneimittelpreisverordnung nicht europarechtskonform ausgestaltet wird.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Eigentlich alles nur absurder Blödsinn; aber: Hilft uns das?

von Wolfgang Müller am 28.11.2016 um 15:59 Uhr

Was von Tag zu Tag in seiner himmelschreienden Absurdität immer mehr fasziniert, unter dem Dauerfeuer der geballten marktliberalen Argumentation dieser ganzen rein Eigeninteressen-getriebenen Groß-Verkäufer und dem ganzen heuchlerischen „Verbraucherschutz“-Getue (und seien diese Groß-Verkäufer manchmal sogar hochwohlmögende Wirtschafts-Professoren):
Der vollkommene Wahnsinn eines "EuGH" als Solchem.

Dass dieses dreist anmaßende Urteil dieses wie auch immer konstituierten Irgendwo-Gerichts TATSÄCHLICH überhaupt normativ ordnungspolitisch grundlegende, weitreichende Fakten schaffen KANN. Die logischerweise - fair enough - von den wie auch immer Begünstigten begeistert aufgegriffen werden (und sei es indirekt "begünstigt" im Sinne von: "In ihrer professoral-sozialdarwinistischen Ideologie unterstützt, oder in ihrer Missgunst gegen kleine, einigermaßen prosperierende Freiberufler"; wie z. B. auch bei Glaeske und Lauterbach).

Ist eigentlich JEDEM klar, dass wir es hier gerade mit einer sehr weitreichenden Gesundheits-politischen Entscheidung zur vergewaltigenden Neuerfindung eines funktionierenden Medikamenten-Preisbildungs- und Versorgungs-Systems zu tun haben? Welches bisher demokratisch sowie höchstrichterlich GEWOLLT bzw. legitimiert ist, in einem Land mit mehr als 80 Mio. Einwohnern? Und hunderttausenden Beschäftigten im betroffenen Bereich?

Ein dreist anmaßendes, hämisch grinsendes Urteil, das seinerseits ÜBERHAUPT NICHT in irgend einer Weise demokratisch legitimiert ist? Wer weiß denn, wie ein gut informiertes, "Echtes" Europäisches Parlament diese Frage entscheiden würde, mit Abgeordneten-Mehrheiten entsprechend den Bevölkerungszahlen der vertretenen Länder? INTERESSIERT das überhaupt jemanden? Oder stört das nur die begünstigten (ich sage als Ordo-Liberaler: notorisch illiberalen) "Wirtschafts-Großstrukturen"-Kungel-Kreise?

Wer sagt eigentlich, dass TTIP-Schiedsgerichte schlimmer, unwürdiger, Politik-erwürgender und blind Konzern-freundlicher als "Der EuGH" wären"?

Wer sagt eigentlich, dass die "europäische Verfassung" eine ausschließlich Markt-liberale, zombiehaft sozialdarwinistische sein muss? Hallo auch, SPD, hallo, Grüne?

Dexit now, wenn eine Abstimmung möglich wäre. Die Begeisterung für "Europa", die doch die meisten von uns mit der Schulzeit beginnend über die ganzen Erweiterungs-Runden und "kleinen EU-Blödsinnigkeiten" hinweg noch sehr lange in sich trugen: Zerschossen von seelenlosen Wirtschaftsliberalismus-Bürokraten, die den Marschallstab längst schon vor dem "Rx-Boni-Urteil" aufs Einseitigste übernommen hatten.

Felix Britannia, wie sagte doch Theresa May: "Niemals mehr wird uns der EuGH in unsere Gesetzgebung hineinregieren!"

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Unter jedem Dach ein Ach....

von Peter Lahr am 28.11.2016 um 15:55 Uhr

Wie ist denn der Stand der Dinge?
Versender:
Möchten gerne Boni an ihren Patienten weitergeben. Ihr Argument dabei ist, dass sie diese Marge nicht benötigen um auskömmlich zu verdienen da sie ja per Gesetz von kostenintensiven, gesetzlich geforderten Leistungen die ausschliesslich an die Präsenzapotheken gestellt werden befreit sind. Von dieser Seite her ist der Standpunkt der Versender verständlich etwas abgeben zu KÖNNEN. Alleine vor diesem Hintergrund ist es aber auch schon vor dem Urteil ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, dass Versender bei RX dasselbe Honorar wie den Präsenzapotheken zugestanden wurde. Gleiche Arbeit, gleiche Leistung? War nie so und wird nie so sein.
Abseits der gesetzlichen Verpflichtungen kommt den Versendern noch der Faktor Personalkosten zugute. Wenn man unseren Robin Hood nimmt, der in seiner Personalstruktur gerade einmal 2-4% pharmazeutisches Fachpersonal beschäftigt sieht man, dass ein Honorar welches eine pharmazeutische Leistung widerspiegelt und welches auf teueres Fachpersonal ausgelegt ist auch hier ungerechtfertigt ist. Trotzdem erwirtschaftet aber jeder Robin Hood Mitarbeiter einen jährlichen Umsatz von über einer Millionen Euro. Weniger Kosten und trotz fehlender Ausbildung deutlich mehr Umsatz als unser Fachpersonal. Hätte der Versender die gleiche Kostenstruktur wie wir, so könnte man davon ausgehen dass bei gemittelten 10-11% Personalkosten der Versandmitarbeiter 100-110 000€ im Jahr verdienen müsste. Tut er das? Nein, sicher nicht. Vor diesen genannten Hintergründen aber fordern jetzt die Versender eine Anpassung bzw. Freigabe der Honorar-basierten Preise.
Könnte das funktionieren? Nein.

Und wir, die Präsenzapotheker? Könnte man sich selbst, aber was noch wichtiger ist: könnte die Öffentlichkeit UNS, noch ernst nehmen, wenn man jahrelang auf regelmäßige Honoraranpassungen pocht, ähnlich denen der Ärzte, um dann mit Boni um sich zu schmeissen?
Nein, denn der Großteil der deutschen Apotheken benötigt eine Honoraranpassung nach oben und kann rein wirtschaftlich keine Boni vergeben. Das bedeutet in der momentanen Situation, dass eine Preisfreigabe nur dann in Frage käme wenn sich trotz geringerem Verkaufspreis UND geldwertem Vorteil für den Patienten der monetäre Ertrag erhöhen würde. Um das zu erreichen müssten aber Rabatte im Einkauf wieder in der Apotheke landen und nicht an die Krankenkassen durchgereicht werden. Bei Einsparungen, bzw. Rabatten an die Krankenkassen durch die Hersteller von 3-4 Mrd durch die Rabattverträge wären das 150 000-200 000€ Einkaufsvorteile pro Apotheke. Das würden jedoch nichts am Kostenverhältnis Versender vs. Präsenzapotheke ändern und die Kassen mit einem Mal ihre Ausgaben drastisch erhöhen. DENN: verdienen wir mehr verdient auch der Versender mehr und er kann aufgrund seiner Kostenstruktur WIEDER höhere Rabatte im Vergleich zur Präsenzapotheke anbieten. Und die Krankenkassen müssten ihrer versicherten Solidargemeinschaft verklickern, dass die monatlichenBeiträge zwar steigen, dafür aber ihre Zuzahlung sinkt. Für zahlende Mitglied ohne Notwendigkeit für Medikamente sicher ein tolles Argument :)

Man kann diese zwei unterschiedlichen Modelle also niemals unter einen gerecht bezahlten Hut bringen. Preisfreigabe zu Gunsten weniger zu Lasten vieler scheidet also aus.
Wie könnte man also eine Waffengleichheit herstellen?
Eine Option wäre es, den Versendern das Honorar zu kürzen bzw. ganz zu streichen (da theoretisch sowieso kein Anspruch darauf) und ihnen nur noch die 3% Marge zu lassen. Das Honorar könnte bezahlt werden, allerdings als eine Art Soli wieder zurückfliessen. Nicht an die Krankenkassen sondern beispielsweise in den Gesundheistfond. In diesem Fall könnten die kostenintensiven Bereiche der Präsenzapotheke aufrecht erhalten werden, Bonikämpfe wären auf die 3% beschränkt. Bei Hochpreisern für den Patienten vielleicht lohnend, beim Tagesgeschäft mit eventuell dynamisiertem Honorar (irgendwann) aber vernachlässigbar.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Preise freizugeben, aber auf der Personalseite Änderungen vorzunehmen. Das könnte einerseits bedeuten, von den Versendern, wie ja von den Präsenzapotheken Pflicht, selbst für den Lagerarbeitsplatz bis zum Päckchen packen pharmazeutisches Personal zu fordern (schwierig ausserhalb Deutschlands). Oder aber den Präsenzapotheken zu gestatten ihre Personalstruktur auf konkurrenzfähige 2-4% pharmazeutisches Personal zu reduzieren und die Beratungspflicht in eine Beratungsmöglichtkeit (mit längerer Wartezeit) umzutetxten. Bei beiden Varianten müssten aber die von uns gesetzlich geforderten, kostenintensiven Bereiche auf wirtschaftlich gewinnbringende Füße gestellt werden (nicht nur kostendeckend) da es wieder eine Benachteiligung von Präsenzapotheken bedeutet, da es ein Bereich ist den man anders als die Versender abdecken MUSS.
Und es bleibt noch die letzte Variante, das RX Versandverbot. Mein Favorit wäre mittlerweile die Marge der Versender zu stutzen. Gleiche Leistung, gleiches Geld, ungleiche Leistung, ungleiches Geld. Die Versender brauchen dieses Honorar nicht, das werden sie nicht müde zu betonen, und es steht ihnen auch nicht zu da sie viele Ansprüche die durch das Honorar eigentlich erhoben werden per Gesetz nicht erfüllen müssen.

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