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AIDS als Tabu
In Russland sind HIV-Infizierte oft auf sich allein gestellt
Hindernis Kirche, Vorbild Deutschland
Der Mediziner Pokrowski sieht Deutschland als beispielhaft für Aufklärung und Vorsorge. Dort werde in den Schulen über HIV und Aids informiert, Erfolge gebracht hätten zudem die Legalisierung von Prostitution sowie Programme für Drogenabhängige. „In Russland nimmt hingegen der Einfluss der orthodoxen Kirche immer mehr zu. Hier werden immer noch konservative Werte und ein konservatives Familienbild hochgehalten, obwohl die Wirklichkeit eine andere ist.“
Auch die Andrej-Rylkow-Stiftung in Moskau beklagt seit Langem, dass in Russland Risikogruppen stigmatisiert und kriminalisiert werden. Die Nichtregierungsorganisation hilft seit Jahren Drogenabhängigen in Moskau, verteilt Spritzen, Kondome und HIV-Tests. Staatlich gewürdigt wird dies nicht, im Gegenteil: Da die Stiftung Geld aus dem Westen erhält, wird sie einem umstrittenen Gesetz zufolge als „ausländischer Agent“ eingestuft. „Damit behindern die Behörden unsere Präventionsarbeit massiv“, sagt ein Mitarbeiter der Stiftung.
Im Mai 2016 weckte die landesweite Aktion „Stopp HIV/AIDS“ Hoffnung auf ein stärkeres Engagement des russischen Staates. Initiatorin war Swetlana Medwedewa, die Ehefrau von Regierungschef Dmitri Medwedew. „Jede Stunde gibt es elf Neuansteckungen“, warnte eine Broschüre der Aktion. Das Gesundheitsministerium in Moskau kündigte an, umgerechnet 600 Millionen US-Dollar für den Kampf gegen HIV ausgeben zu wollen.
Ehe statt Kondome
Die Hoffnungen vieler Experten auf eine moderne Aufklärung ohne Tabus wurden aber enttäuscht. „Liebe und Treue“ seien die besten Mittel zum Schutz gegen Aids, hieß es etwa in einer Broschüre: „Die sicherste Verhütung ist die Ehe zwischen Mann und Frau.“
Schon gegen Kondome gebe es erheblichen Widerstand in der Gesellschaft, etwa von der Kirche, sagt Pokrowski. Der Vorwurf sei, dass die Präservativ-Industrie Menschen ermutige, außerehelichen Geschlechtsverkehr zu haben. Ähnliches schildert die Rylkow-Stiftung. Ihr werde vorgeworfen, durch die Verteilung steriler Spritzen die Abhängigen erst zum Drogenkonsum zu animieren, sagt ein Sprecher.
Mittlerweile gebe es aber in Russland Anzeichen, dass sich das Problem auf andere Bevölkerungsteile ausweite, sagt Pokrowski. „Aids rückt von den Randgruppen in die Mitte der Gesellschaft“, meint der Arzt. Vize-Gesundheitsminister Krajewoj bestätigt dies: „Die Zahl der HIV-Infizierten hat in 22 Gebieten stark zugenommen. Und es betrifft immer weniger Problemregionen und immer mehr Gegenden mit einer entwickelten Industrie und einer entwickelten Infrastruktur.“
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