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Wenn Frauen auf Sozialleistungen angewiesen sind, wird die Finanzierung der Verhütung zur „Postleitzahlen-Lotterie“: Denn bei den Regelungen zur Kostenübernahme für Pille und Co. gibt es große regionale Unterschiede.
Berlin, Saarbrücken, München oder Dresden – je nach Wohnort sind nicht nur die Mieten sehr unterschiedlich, sondern auch die Möglichkeit, bei Bedürftigkeit einen Zuschuss für Verhütungskosten zu bekommen. Darauf machte eine Beratung im Niedersächsischen Landtag Ende November 2016 aufmerksam. Ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen forderte die Landesregierung auf, sich für eine bundeseinheitliche Regelung einzusetzen.
Verhütung im Grundbedarf
Das Problem ist seit Langem bekannt: Bis 2004 war es nach der damaligen Sozialgesetzgebung möglich, dass Frauen bei Bedürftigkeit eine finanzielle „Hilfe zur Familienplanung“ erhielten. Dieser Zuschuss fiel mit der Hartz-IV-Reform weg. Seitdem müssen Frauen über 20 Jahren Verhütungskosten mithilfe der rund 17 Euro tragen, die der Regelsatz für den Bereich „Gesundheitspflege“ vorsieht. Daraus müssen die betroffenen Frauen allerdings auch Arzneimittel der Selbstmedikation, etwa bei Kopfschmerzen, Erkältung oder Heuschnupfen finanzieren. Gerade längerfristige Verhütungsmethoden wie eine Kupfer- oder Hormonspirale, die langfristig kostengünstig sind, erfordern hohe Einmalinvestitionen von mehreren Hundert Euro, die viele Frauen aus dem Regelsatz nicht bezahlen können. Der Verband Pro Familia hatte 2015 eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht, dass Bedürftige von den Kosten für Verhütungsmittel vollständig befreit werden sollen. Bislang steht eine bundeseinheitliche Regelung aber noch aus.
Hilfen nur regional
In einzelnen Bundesländern oder Kommunen bestehen zwar zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten, doch sind diese häufig den Bedürftigen nicht bekannt und werden in der Regel auch nicht öffentlich beworben. Wie eine Untersuchung von Pro Familia aus dem Jahr 2015 belegt, variiert das Angebot regional sehr stark: Während Berlin oder Bremen flächendeckend Hilfsangebote zur Kostenübernahme bereitstellen, sind es in Nordrhein-Westfalen nur rund 50 Prozent der Kommunen. In den östlichen Bundesländern existieren gar keine entsprechenden staatlichen Hilfen. Auch unterscheiden sich die Angebote gravierend darin, wer anspruchsberechtigt ist und welche Verhütungsmittel finanziert werden. Kosten für die „Pille danach“ oder Kondome werden nur in seltenen Fällen übernommen. Außerdem besteht kein Rechtsanspruch, sondern Mittel können nur so lange in Anspruch genommen werden, wie das jeweilige Budget des Geldgebers ausreicht.
Verhütung oder Essen?
Fehlende finanzielle Unterstützung bei Verhütungsmitteln kann für die Betroffenen weitreichende Folgen haben. Das zeigt eine Studie, für die ein Freiburger Hochschulinstitut im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den Jahren 2011 bis 2014 rund 4000 Frauen in vier Bundesländern befragte hatte. Danach gaben mehr als 20 Prozent der Frauen, die Sozialleistungen erhielten, an, aus finanziellen Gründen schon mindestens einmal auf Verhütung verzichtet zu haben. Fast die Hälfte der Frauen mit Leistungsbezug war bereits mindestens einmal ungewollt schwanger geworden. Die Werte unterschieden sich deutlich von Frauen, die finanziell besser gestellt waren. Auch verwendeten jüngere Frauen unter 35 Jahre seltener die Pille, wenn sie Sozialleistungen bezogen, und griffen für die Verhütung eher auf Kondome zurück, die preiswerter sind, aber eine deutlich niedrigere Verhütungssicherheit bieten.
Pille nein, Abbruch ja
Die Situation ist auch deshalb unzureichend, da die zuständigen Stellen bei Empfängerinnen von Sozialleistungen im Bedarfsfall die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch tragen. „Das ist nicht nur zynisch, das ist eine Einschränkung des Rechtes auf sexuelle Selbstbestimmung“, kommentierte der Abgeordnete Thomas Schremmer (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Beratung im Niedersächsischen Landtag. Seine Kollegin Thela Wernstedt (SPD) wies darauf hin, dass die UN-Weltbevölkerungskonferenz bereits 1994 ein Recht auf reproduktive Gesundheit und Zugang zu Familienplanung formulierte. „Das ist insbesondere auch eine Stärkung der Frauenrechte; denn Frauen sollen über die Anzahl ihrer Kinder selbst entscheiden“, betonte Wernstedt.
Kostenlose Verhütung
Ein weiterer Vorstoß für eine bundesweite Regelung kommt aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Das geförderte Modellprojekt BIKO prüft, wie sich Beratung, Information und Kostenübernahme für Verhütungsmittel flächendeckend umsetzen lassen. Das Modellprojekt soll die gesetzlichen Rahmenbedingung ausloten und auch Daten über den tatsächlichen Bedarf liefern. In Kooperation mit Pro Familia startete das dreijährige Projekt im Oktober 2016 an sieben Standorten im gesamten Bundesgebiet. Es ermöglicht Frauen den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln – nicht nur bei Hartz-IV-Bezug, sondern auch wenn sie andere Sozialleistungen wie BAföG oder Wohngeld erhalten oder ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze nachweisen können. Frauen, die an dem Projekt teilnehmen wollen, benötigen ein ärztliches Rezept über das jeweilige Verhütungsmittel. Bei einem Gespräch in einer Pro Familia-Beratungsstelle bekommen sie eine schriftliche Zusage für die Kostenübernahme, mit der sie in einer Apotheke das Verhütungsmittel erhalten. Da die Apotheke direkt mit Pro Familia abrechnet, entstehen für die Frau keine Kosten.
Reicht kostenlos?
Ob die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln allein reicht, um unerwünschte Schwangerschaften zu verhindern und damit auch die Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen zu reduzieren, ist nach den Ergebnissen eines zweijährigen Modellprojektes in Mecklenburg-Vorpommern allerdings fraglich: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche insgesamt ging trotz kostenlosem Zugang zu Verhütungsmitteln nicht signifikant zurück. Die Auswertung zeigte, dass es ausgefeilte Strategien braucht, um solche Angebote bekannt zu machen, und auch die Motivation zur kontinuierlichen Anwendung der Verhütungsmittel möglicherweise eine wichtige Rolle spielt.
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