Tote durch multiresistente Keime

Forscher und Politiker operieren mit falschen Zahlen

Berlin - 16.12.2016, 17:30 Uhr

Antibiotika-Resistenzen sind ein großes Problem – doch Vorhersagen sind teils deutlich übertrieben. (Foto jarun011 / Fotolia)

Antibiotika-Resistenzen sind ein großes Problem – doch Vorhersagen sind teils deutlich übertrieben. (Foto jarun011 / Fotolia)


Fazit: Hochgradig unseriös

So wissenschaftlich die Studie daherkommt, so unwissenschaftlich ist sie in Wirklichkeit. Sowohl was die Methodik angeht, also auch, was ihre Entstehung betrifft. Hinter der Prognose stehen die beiden kommerziellen Beratungsfirmen Rand und KPMG. Sie haben die Szenarien entwickelt und sie dem Expertengremium unter der Leitung des britischen Ökonomen Lord Jim O’Neill präsentiert. Veröffentlicht ein Wissenschaftler eine Studie, wird sie ihn auf Jahre hinaus begleiten. Werden deren Ergebnisse kritisiert, muss er sich rechtfertigen. Die Autoren der alarmistischen britischen Studie jedoch nicht Teil des Wissenschaftsbetriebs und beschäftigen sich längst mit anderen Themen. Lord Jim O'Neill war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Mit anderen Worten: Es ist wenig wahrscheinlich, dass vom Jahr 2050 jährlich rund 10 Millionen Menschen an resistenten Keimen sterben. Die Zahl gehört eingemottet. Das bedeutet freilich nicht, dass multiresistente Keime harmlos wären. Sie sind tatsächlich eine große Bedrohung – auch ohne Übertreibungen.

Warum wird übertrieben?

Marlieke de Kraker, die Forscherin aus Genf, berichtet, wie gut ihr Paper in der wissenschaftlichen Community ankomme. „Wir kriegen nur positive Rückmeldungen“, sagt sie. Viele Forscher hatten ob der britischen Studie Bauchschmerzen – und sind dankbar, dass nun jemand den Unsinn widerlegt.

Auch Petra Gastmeier, Hygienikerin an der Charité, begrüßt die Arbeit. „Die Autoren haben die Fehler der Briten Schritt für Schritt aufgezeigt“, sagt sie. Wobei sie und ihre Kollegen die Zahl von 10 Millionen Toten ohnehin nie ernst genommen hätten. „Die Zahl ist aus der Luft gegriffen“, sagt die Charité-Medizinerin.

Doch warum ist sie dann so anhaltend populär, nicht nur bei Journalisten, Politikern und Aktivisten, sondern auch in unzähligen wissenschaftlichen Papers, in Förderanträgen und auf Konferenzen? Warum haben sich die Forscher nicht eher gegen die monströse Schätzung gewehrt? Warum hat es mehr als zwei Jahre gedauert, ehe die Hochrechnung jetzt auseinander genommen wurde?

Weil auch ernsthafte Forscher von der Übertreibung profitiert haben. „Wenn ich einen Förderantrag über Antibiotikaforschung bewilligt bekommen will, will ich eine höhere Anzahl von Toten“, sagt Petra Gastmeier von der Charité. Wobei sie betont, die Zahl nie selbst in einen Antrag geschrieben zu haben.



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