Notifizierungsverfahren

Welche EU-Hürden drohen dem Rx-Versandverbot?

Berlin - 20.12.2016, 07:00 Uhr

Stehen Beschwerden an? Schon in den ersten Wochen des Jahres 2017 könnte das Rx-Versandverbot zur Abstimmung an die EU-Kommission und alle anderen EU-Staaten gehen. (Foto: dpa)

Stehen Beschwerden an? Schon in den ersten Wochen des Jahres 2017 könnte das Rx-Versandverbot zur Abstimmung an die EU-Kommission und alle anderen EU-Staaten gehen. (Foto: dpa)


In den kommenden Wochen entscheidet sich, ob das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Rx-Versandverbot politische Überlebenschancen hat. Dabei wird oft vergessen, dass ein solches Verbot auch auf EU-Ebene noch einige Hürden zu nehmen hätte, bevor es hierzulande in Kraft treten kann. DAZ.online hat analysiert, welche Szenarien dem Gesetz während des sogenannten EU-Notifizierungsverfahrens drohen könnten.

Laut einer EU-Richtlinie sind alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, der Europäischen Kommission und allen anderen EU-Mitgliedern mitzuteilen, wenn sie bestimmte binnenmarktrelevante Gesetzesvorhaben in Angriff nehmen wollen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht laut einem Sprecher davon aus, dass der vorgelegte Gesetzentwurf zum Versandhandelsverbot für Rx-Arzneimittel zu diesen anzeigepflichtigen Gesetzesvorhaben gehört. Kurz gesagt: Weil die Bundesregierung eine nationale Regelung ändern möchte, die den EU-Binnenmarkt und andere Mitgliedstaaten beeinflussen könnte, müssen die Länder und die Kommission die Möglichkeit bekommen, sich dazu zu äußern.

In den vergangenen Wochen war in der Branche bereits darüber spekuliert worden, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung der EU das Rx-Versandverbot vorlegen müsste. Müssen das Bundeskabinett und der Bundestag den Gesetzentwurf erst beschließen, bevor er an die EU verschickt wird? Oder schickt das Ministerium von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Entwurf schon früh nach Brüssel, um herauszufinden, welche Überlebenschancen das Versandhandelsverbot in Europa hätte. Ein BMG-Sprecher stellte nun klar, dass der Entwurf nach der Frühabstimmung mit den anderen Ressorts aber VOR dem Kabinettsbeschluss in das Notifizierungsverfahren eintritt.

Erst EU-Abstimmung, dann Kabinettsbeschluss

Schon in den ersten Wochen des Jahres 2017 könnte das Verbot also zur Abstimmung an die EU gehen. Was bedeutet das aber für den weiteren Zeitplan? In dem Moment, in dem ein Gesetz im Rahmen des Notifizierungsverfahrens angezeigt wird, tritt eine dreimonatige „Stillhaltefrist“ in Kraft. Das heißt: Die Bundesregierung verpflichtet sich während dieser drei Monate, das Versandverbot nicht in Kraft zu setzen. Und genau in diesen drei Monaten können die anderen EU-Länder und die EU-Kommission das deutsche Vorhaben prüfen.

Das EU-Notifizierungsverfahren hat streng festgelegte Abläufe. Insofern lässt sich auch jetzt schon sagen, welche Szenarien für das Rx-Versandverbot auf EU-Ebene infrage kommen:

Wie reagieren die anderen EU-Staaten?

  • 1] Weder ein EU-Mitgliedstaat noch die EU-Kommission reagieren auf das Papier. In diesem Fall kann die Bundesregierung ihr Vorhaben nach Ablauf der Stillhaltefrist (3 Monate) weiterverfolgen. Auf nationaler Ebene würde dann ein ganz „normaler“ Gesetzgebungsprozess folgen. Das Bundeskabinett könnte den Entwurf beschließen, danach würde das Gesetz zur Beratung in den Bundestag und in den Bundesrat wandern. In beiden Kammern könnte das Gesetz natürlich noch Änderungen erfahren, wobei das BMG derzeit davon ausgeht, dass der Bundesrat nicht zustimmen muss.
  • 2] Ein oder mehrere Mitgliedstaaten oder die Kommission haben Bemerkungen. Solche Bemerkungen könnten fällig werden, wenn ein anderes Land das Rx-Versandhandelsverbot nicht grundsätzlich infrage stellt, aber eine Klarstellung zu seiner Auslegung einfordert. Laut EU-Kommission müsste die Bundesregierung diese Bemerkungen „so weit wie möglich“ umsetzen, um das Gesetz dann nach der oben genannten Stillhaltefrist in den weiteren nationalen Gesetzgebungsprozess zu bringen.

Diese Szenarien drohen dem Rx-Versandverbot während des EU-Notifizierungsverfahrens. (Grafik: DAZ.online)
  • 3] Während der Prüfung könnte ein anderes EU-Land oder die Kommission feststellen, dass das Verbot Hemmnisse für den freien Warenverkehr auf EU-Ebene hätte. In diesem Fall könnte das andere Land eine „ausführliche Stellungnahme“ zu dem deutschen Gesetzesvorhaben abgeben. Diese würde den nationalen Beschluss im Falle des Versandhandelsverbotes um einen weiteren Monat hinauszögern. Die Bundesregierung ist dann verpflichtet, mit dem beschwerdeführenden Land oder mit der Kommission in Dialog zu treten, um ihre Maßnahmen zu erläutern.
  • 4] Das langwierigste und für die Apotheker negativste Szenario wäre ein kompletter Aufschub der Annahme. Ein solcher Aufschub (im Falle des Rx-Versandhandels würden weitere 12 Monate drohen) kann nur durch die EU-Kommission verhängt werden. Die Kommission hat das Recht, diesen Aufschub von der Bundesregierung zu verlangen, wenn sie nachweisen kann, dass im gleichen Gesetzgebungsbereich sogenannte harmonisierende Maßnahmen anstehen oder geplant sind. Am Beispiel des Versandhandelsverbotes würde das heißen: Sollte die EU-Kommission planen, die Regeln zum Versandhandel oder zur Rx-Preisbindung in Europa zu harmonisieren, müsste Deutschland das Verbot zurückstellen. Dies wäre sicherlich das ungünstigste Szenario, ist aber auch relativ unwahrscheinlich.

Deutschland droht Vertragsverletzungsverfahren

Grundsätzlich muss die Bundesregierung die EU benachrichtigen, wenn das Rx-Versandverbot nach einem Notifizierungsverfahren in Kraft tritt. Die EU-Kommission und die Länder haben dann noch einmal das Recht zu prüfen, ob die eventuell eingegangenen Beschwerden auch in das Gesetz eingeflossen sind. Hält sich die Bundesregierung nicht an das oben beschriebene Verfahren, droht ein Vertragsverletzungsverfahren.

Grundsätzlich gibt es auch ein sogenanntes Dringlichkeitsverfahren, wobei der oben beschriebene Prozess schneller durchlaufen werden kann. Dass das für das Rx-Versandverbot gilt, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Schließlich müsste Deutschland in diesem Fall „dringende, unvorhergesehen Gründe“ oder eine Gesundheitsgefährdung nachweisen können.

Des Weiteren gibt es EuGH-Urteile zum Notifizierungsverfahren, die verdeutlichen, warum sich Deutschland unbedingt an die strengen Vorgaben halten sollte. In einem der Fälle hatte ein Mitgliedstaat eine eigentlich anzeigepflichtige Regelung nicht der EU gemeldet. Der EuGH urteilte in diesem bestimmten Fall, dass das entsprechende Gesetz aufgrund des ausgebliebenen Abstimmungsverfahrens nicht anwendbar für den Einzelen sei (Urteil vom 30. April 1996, Az.: C-194/94). 

Übrigens hat sich auch das Bundesverfassungsgericht schon mit derartigen Fragen befasst – sogar im Zusammenhang mit DocMorris. Die niederländische Versandapotheke hatte in einer Verfassungsbescherde gerügt, dass die Regelung im Arzneimittelgesetz, nach der sich die Arzneimittelpreisverordnung auf ausländische Versender erstreckt, hätte notifziert werden müssen. Die Verfassungsrichter nahmen die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Zur etwaigen Verletzung der Notifizierungspflicht führten sie aus, dass eine solche keine Frage des Verfassungsrechts sei und auch nicht die Nichtigkeit der Norm zur Folge habe.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

EU Notifizierungsverfahren Rx Versandhandelsverbot

von Sylvia Trautmann am 21.12.2016 um 10:09 Uhr

Die Notwendigkeit eines Notifizierungsverfahrens für ein Gesetzgebungsverfahren zum Rx Versandhandelsverbot ziehe ich in Zweifel. Ich sehe in den EU Verträgen eindeutig, dass die gesetzlichen Regelungen zum Gesundheitswesen, wozu auch die Arzneimittelversorgung gehört, Ländersache ist. Hier gibt es kein Mitspracherecht anderer EU-Länder. Die Richter des EuGH weichen übrigens mit Ihrem Urteil von ihrer eigenen Rechtsprechung ab und negieren damit deutsche Grundsatzurteile! Es ist daher dringend geboten, dass sich der deutsche Bundestag und unsere Regierung ihre Entscheidungshoheit über die Ausgestaltung des deutschen Gesundheitswesens zurückholen, und zwar ohne "Notifizierung" innerhalb der EU. Ich erkenne darin die Feigheit unserer uneinigen Regierungsparteien, die Verantwortung für die schwerwiegenden Folgen des Fortbestandes vom Rx Versandhandel mit Boni und Preisverfall nicht übernehmen zu wollen. "Die EU ist Schuld" ist doch eine schöne, oberflächliche Behauptung, die naive Apotheker als dummes Wahlvolk sichert.Schließlich ist nächstes Jahr Bundestagswahlkampf. Die Linke sind übrigens die einzigste Partei derzeit, die sich klar und eindeutig zum Verbot des Rx Versandhandels positioniert haben. In der CDU gibt es darüber Uneinigkeit und viel Unwissenheit zum "Prinzip Apotheke". Mein Tipp: Gehen Sie zu Ihren SPD und CDU MdB-Abgeordneten, machen Gespräche und schenken Sie das gleichnamige Buch von Dr. Müller-Bohn. Es ist par excellence kurzbündig geschrieben und macht Schluss mit Reichtumsmärchen über Apotheker. Es stellt Ihre enormen Leistungen in öffentlichen Apotheken und ihre Unverzichtbarkeit im Gesundheitssystem heraus. Denken Sie an den Frosch aus der Parabel, der in der Milch nicht ertrinken wollte und daher ständig gestrampelt und n i c h t aufgeben hat. Dann stand er auf einem Butterberg und war seines Lebens wieder froh!

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Wir sind wieder mal zu inkompetent !

von Ratatosk am 20.12.2016 um 18:49 Uhr

War ja so klar ! Fast jeder hat ein Versandhandelsverbot, aber wenn in Deutschland so was geplant wird, tut jeder so. als wäre das Quantenphysil. Was kann eigentlich unsere Politik und Verwaltung noch - außer die kleinen Unternehmen zu schickanieren und die großen zu hoffieren ?

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Wissen ist Macht., na ja früher mal.

von Christian Timme am 20.12.2016 um 13:45 Uhr

Danke für Frage & Antwort, bitte weiterführen. Lieber gut informiert als nicht. Eine derartige Themenreihe könnte auch so manchen resistenten Politiker von falschen Aussagen abhalten etc. Hoffnung ist ja noch erlaubt.

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Was ist eigentlich...

von Thorsten Dunckel am 20.12.2016 um 10:13 Uhr

... mit dem Gebot dass das Gesundheitssystem eines Landes auch Landessache und nicht Sache der EU ist. Wer Versand will muss auch den Einkauf harmonisieren! Aber dann akzeptiert auch, dass die 2,9 Milliarden Euro Einsparung durch Umsetzung der Rabattverträge futsch sind!

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