Tod eines Neugeborenen in Frankreich

Wie sicher ist Vitamin D zur Rachitisprophylaxe bei Säuglingen?

Frankreich / Stuttgart - 05.01.2017, 17:30 Uhr

Ein Säugling verstarb nach der Gabe von Uvestérol D. (Foto: dpa)

Ein Säugling verstarb nach der Gabe von Uvestérol D. (Foto: dpa)


Ein Neugeborenes stirbt unmittelbar nach Gabe von Vitamin D-Tropfen. War es eine Überdosierung, gibt es überhaupt einen Zusammenhang? Und geht von Vitamin D-Präparaten in Deutschland eine Gefahr für Säuglinge aus? DAZ.online hat in der Abteilung für Arzneimittelsicherheit bei InfectoPharm nachgefragt. Das pharmazeutische Unternehmen vermarktet ebenfalls ein Vitamin D-Arzneimittel in Tropfenform.

Millionen Eltern geben ihren Säuglingen und Kleinkindern täglich Vitamin D – mit besten Absichten zur Rachitisprophylaxe. Nun steht eventuell der Tod eines Babys in Frankreich im Zusammenhang mit der Verabreichung eines Vitamin D-Präparats in Tropfenform: Uvestérol D. Der Säugling verstarb am 21. Dezember des vergangenen Jahres an Herz-Kreislauf-Versagen und hatte kurz zuvor das Arzneimittel erhalten. Die französische Arzneimittelbehörde ANSM reagierte rasch: Die Zulassung des Arzneimittels ruht bereits.

Auch wenn eine Kausalität zwischen dem Tod des Neugeborenen und Uvestérol D bislang nicht bestätigt ist, verunsichert der enge zeitliche Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen, Verabreichung und Tod, dennoch Eltern und Fachwelt – und führt zu vielen offenen Fragen und Spekulationen. War es eine Überdosierung mit Vitamin D? Besteht überhaupt ein Zusammenhang zwischen der Gabe von Ergocalciferol und dem Tod des Säuglings, und welche anderen Gründe müssen in Betracht gezogen werden? Wie schätzen Fachkreise den Fall ein? DAZ.online sprach mit Martin Dornseiff – er ist Leiter der Abteilung Medizinische Wissenschaft und Stufenplanbeauftragter bei InfectoPharm. Als „Qualified Person“ ist er dort zuständig für Pharmakovigilanzfragen und Ansprechpartner für ein Vitamin D-Präparat in flüssiger Darreichungsform: DeVit® Tropfen sind seit Januar 2016 als apothekenpflichtiges Arzneimittel in Deutschland zugelassen. DeVit® wird von der Pädia GmbH vermarktet, einer Tochterfirma der InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH. 

„Wir sind geschockt und erschüttert gewesen über die Nachricht“, sagt Martin Dornseiff. InfectoPharm habe unverzüglich recherchiert, um das mögliche Risiko durch flüssige Vitamin D-Präparate sorgfältig zu bewerten. Dornseiff betont allerdings wiederholt im Gespräch – und beruft sich hier auf den Wortlaut der französischen Behörde – dass ausschließlich das französische Arzneimittel Uvestérol D unter Überprüfung stehe, nicht pauschal Vitamin D. „Uvestérol D hat als spezielle Applikationsform eine Pipette, die den Wirkstoff direkt als Tropfen im Mund freisetzt“, erläutert Dornseiff. Die Hypothese sei, dass das Medikament dabei in die Luftröhre gelangen könne und dadurch zu Atemnot und Erstickungsanfällen führen. 

Keine Gefahr für Säuglinge in Deutschland

Der zeitliche Abstand zwischen der Gabe der Uvesérol D-Tropfen und dem Auftreten der ersten Symptome war relativ eng, wobei die französische Behörde bislang keine genauen Informationen zu einem exakten Zeitfenster gibt. Waren es Minuten oder Stunden? Unbekannt ist bislang auch, ob es sich bei der Verabreichung der Tropfen um die erste Gabe oder eine bereits wiederholte Applikation des Arzneimittels bei dem Säugling handelte.

Ob eine Kausalität zwischen den beiden Ereignissen bestehe oder es sich lediglich um eine Koinzidenz handele, müsse zunächst noch festgestellt werden. Natürlich müsse man auch andere Ursachen für das unerwartete Versterben des Kindes in Betracht ziehen, sagt Dornseiff. Andere Erkrankungen, die vielleicht bei einem zehn Tage alten Säugling noch nicht erkannt gewesen seien oder auch der plötzliche Kindstod könnten unter Umständen Ursache für den Tod des Babys sein.

Die Übertragbarkeit auf andere flüssige Vitamin D-haltige Arzneimittel, insbesondere auch DeVit® aus dem Hause InfectoPharm, sieht Martin Dornseiff nicht. In Deutschland seien keine vergleichbaren Darreichungsformen im Handel. InfectoPharm ist überwiegend im Bereich der Kinderheilkunde aktiv und legt besonderen Wert auf kindgerechte und sichere Darreichungsformen. Das hat man bei DeVit® durch einen Tropfeinsatz verwirklicht. Außerdem empfiehlt das Unternehmen – so steht es auch in der Gebrauchsinformation für Patienten in – die Tropfen in etwas Wasser, Muttermilch oder Säuglingsnahrung zu suspendieren und nicht direkt in den Mund des Säuglings zu geben. 

War eine Überdosierung mit Vitamin D die Todesursache?

Uvesterol D ist – nach Angaben der europäischen Zulassungsbehörde EMA – nur in Frankreich auf dem Markt. In Deutschland ist das Präparat nicht zugelassen. Ohnehin bevorzugen Eltern oder Kinderärzte in der Bundesrepublik Vitamin D-Präparate zur Rachitispophylaxe meist in Form von Zerfalltabletten. „Zerfalltabletten sind ein hauptsächlich deutsches Phänomen“, sagt Martin Dornseiff. In anderen europäischen Ländern sei die Tropfenform bei Vitamin D-Präparaten gängiger.

Uvestérol D ist seit 1990 im Markt. Bislang gab es keine Todesfälle, die in Zusammenhang mit der Gabe oder Einnahme von Uvesterol D gestanden hatten. Allerdings war das Arzneimittel bereits 2006 im Visier der französischen Behörde und damals Maßnahmen ergriffen worden, die eine sicherere Verabreichung des Arzneimittels gewähren sollten. Nach Informationen von DAZ.online änderte der Hersteller die Art der Pipette, da sich Säuglinge wiederholt schwer verschluckten. Uvestérol D unterliegt seit 2006 einer verstärkten Überwachung durch die französische Behörde.

War also vielleicht eine Überdosierung mit Vitamin D ursächlich für den Tod des Neugeborenen? Was natürlich in der Konsequenz die Frage aufwirft: Welche Daseinsberechtigung haben Vitamin D-Tropfen – und die mit ihnen verbundene Gefahr einer toxischen Fehldosierung – im Arzneimittelmarkt, wenn sich doch mit anderen Darreichungsformen eine zuverlässige Dosierung erreichen lässt?

Sind Tropfen sinnvoll bei Vitamin D?

Das Problem der Überdosierung ist bei Tabletten deutlich geringer ausgeprägt, da sie eine bereits vordosierte, abgeteilte Darreichungsform darstellen. Auch lässt sich mit den im Markt zugelassenen Vitamin D-Präparaten eine hinreichend genaue Dosierung erreichen: Die empfohlenen Dosis zur Rachitisprophylaxe liegt bei 400 bis 500 I.E. täglich, die Zerfalltablette von Merck beispielsweise, Vigantoletten, enthält 500 I.E.

Dornseiff erklärt: „Auch Tabletten beinhalten eine gewisse Gefahr der Fehlanwendung.“ Suspendierten die Eltern die Zerfalltabletten nicht wie vorgesehen in etwas Flüssigkeit, sondern legten sie dem Säugling fälschlicherweise direkt in den Mund, ginge auch hiervon eine Gefahr für den Säugling aus. Keine Gefahr sieht der Leiter der Medzinischen Wissenschaft auch beim InfectoPharm-Arzneimittel DeVit®: Die empfohlene Dosis von DeVit® liegt bei sechs Tropfen pro Tag, was 400 I.E. Vitamin D entspricht.

Die empfohlenen Dosis zur Rachitisprophylaxe von 400 bis 500 I.E. täglich gelten auch explizit  für Kinder, die nicht gestillt werden, sondern Säuglingsnahrung erhalten, die teilweise zusätzlich mit Vitamin D angereichert ist.

InfectoPharm hält außerdem eine Überdosierung im aktuellen Fall für unwahrscheinlich. Man habe intern ausführlich recherchiert und vor wissenschaftlichem Hintergrund ist der Tod des Säuglings aus Frankreich „mit einer Intoxikation nicht vereinbar“, lautet die Einschätzung von Martin Dornseiff. Intoxikationen mit Colecalciferol liege eine längerfristige Gabe hoher Dosen zugrunde, was bei einem zehn Tage alten Säugling nahezu ausgeschlossen werden könne. „Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist eine Vitamin D-Intoxikation selbst bei mehrfacher Überschreitung der angegebenen Dosis von 400-500 I.E. pro Tag nicht zu erreichen“, sagt Dornseiff.

Wert der Rachitisprophylaxe steht nicht in Frage

Die französische Zulassungsbehörde hat rasch und auch relativ drastisch reagiert. Die ANSI betont aber auch, dass die Notwendigkeit und die Bedeutung der Rachtitisprophylaxe bei Säuglingen nicht in Frage stehe.

Martin Dornseiff von InfectoPharm teilt diese Einschätzung. In aller Deutlichkeit weist er auf den Wert der Vitamin D-Gabe bei Säuglingen hin. Er befürchtet, dass insbesondere Eltern durch die aktuellen Meldungen verunsichert sind und aus Angst vor Nebenwirkungen die Vitamin-D-Tabletten bei ihren Kindern absetzen. „Doch gerade in der dunklen Jahreszeit ist die Rachitisprophylaxe unverzichtbar“, erklärt der Leiter der Medizinischen Wissenschaft. „Es ist wichtig, in der Beratung jetzt den richtigen Fokus zu setzen, und zwar den Fokus, wie ihn auch die französische Behörde setzt – auf die spezielle Applikationsform und nicht auf den Wirkstoff Ergocalciferol.“

InfectoPharm will erst einmal „reaktiv vorgehen“. Man habe sich bereits auf verstärkte Anfragen seitens Kinderärzten, Apothekern aber auch besorgter Eltern eingestellt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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