Hepatitis-C-Arzneimittel

Experten befürchten schwere Nebenwirkungen

Stuttgart - 30.01.2017, 06:50 Uhr

Nach ersten Meldungen: Bevor die Behandlung mit mit einem der neuen Hepatitis-C-Arzneimittel begonnen wird, muss der Patient auf eine inaktive Hepatitis B untersucht werden. ( Foto: jarun011 / Fotolia)

Nach ersten Meldungen: Bevor die Behandlung mit mit einem der neuen Hepatitis-C-Arzneimittel begonnen wird, muss der Patient auf eine inaktive Hepatitis B untersucht werden. ( Foto: jarun011 / Fotolia)


Moderne Hepatitis C-Medikamente, die erst in den letzten Jahren zugelassen wurden, könnten schwere Nebenwirkungen, einschließlich Leberversagen haben. Ein neuer Bericht aus den USA liefert hierzu weitere Daten.

Nach einem aktuellen Bericht in der New York Times hatte die FDA im Oktober 2016 über 24 Fälle von Patienten berichtet, bei denen die neuen, direkt wirkenden Hepatitis C-Arzneimittel die Virusinfektion zwar beseitigten, jedoch inaktive Hepatitis B-Infektionen reaktiviert hatten. Zwei Patienten starben, einer brauchte eine Lebertransplantation. Als Reaktion darauf hatte die FDA für die neueren antiviralen Medikamente eine Warnbox in der Kennzeichnung verlangt, in der die Ärzte dazu aufgefordert wurden, alle Hepatitis C-Patienten, die diese bekommen sollen, auf Hepatitis B zu screenen und zu überwachen.  

Anfang Dezember 2016 hatte der europäische Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) mit einer entsprechenden Maßnahme nachgezogen. In einem Risikobewertungsverfahren war der PRAC zu dem Schluss gekommen, dass die neuen Hepatitis C-Arzneimittel tatsächlich das Risiko bergen, eine latente Hepatitis B-Infektion zu reaktivieren.

Noch mal genauer gesucht

Nun gibt ein neuer Bericht der Befürchtung schlimmer Nebenwirkungen neue Nahrung. Er wurde vom Institute for Safe Medication Practices (ISMP)  veröffentlicht, einer gemeinnützigen Institution in Horsham, Philadelphia, die sich mit der Erforschung der Arzneimitteltherapiesicherheit beschäftigt. Ende Juni 2016 hatte das ISMP eine Recherche durchgeführt, die sich auf die zurückliegenden zwölf Monate erstreckte. In einer Gruppenanalyse durchforsteten die Wissenschaftler die Pharmakovigilanz-Datenbank der US Food and Drug Administration (FDAs Adverse Event Reporting System, FAERS).

524 Fälle von Leberversagen unter neuen Hepatitis C-Arzneimitteln

Sie fanden 524 gemeldete Fälle von Leberversagen im Zusammenhang mit den Arzneimitteln sowie weitere 1.058 Berichte über schwere Leberschäden. 761 Fälle betrafen zudem ein Versagen der antiviralen Therapie gegen das Zielvirus. Die 524 Fälle von Leberversagen beziehen sich auf alle zugelassenen direkt wirkenden antiviralen Substanzen, entweder als mögliche primäre oder sekundäre Ursache, oft in Kombination miteinander oder mit Ribavirin. Fast die Hälfte der Betroffenen zeigte das markante Symptom eines Leberversagens, die Enzephalopathie. Zum Zeitpunkt des Berichts waren insgesamt 165 (31,5 Prozent) der Betroffenen gestorben. Die verdächtigen Medikamente sind in der Tabelle dargestellt.

Tab. 1: Primary (PS), Secondary (SS) suspect drugs in liver cases
WirkstoffHandelsnamePSSSTotalProzent*
DaclatasvirDaklinza74259918,9%
Elbasvir-GrazobrevirZepatier1010,2%
Ledipasvir-SofosbuvirHarvoni116512123,1%
Paritaprevir KombinationenViekira Pak**1206118134,5%
SimeprevirOlysio1621377,1%
SofosbuvirSovaldi918017132,6%
*Einzelfälle in Prozent (n=524) **beinhaltet Technivie, Viekira XR Quelle: ismp.org

Blockbuster Sovaldi und Harvoni mit dabei

Zu den in dem Bericht erfassten Hepatitis C-Arzneimitteln gehören auch die beiden Blockbuster Sovaldi und Harvoni von Gilead sowie andere direkt wirkende antivirale Mittel von AbbVie, Merck & Co., Bristol-Myers Squibb und Johnson & Johnson.

In den USA wurde Sovaldi (Sofosbuvir) im Dezember 2013 und Harvoni (fixe Kombination aus Ledipasvir und Sofosbuvir) im Oktober 2014 zugelassen. In Europa wurde die EU-weit gültige Zulassung für Sovaldi Mitte Januar 2014 erteilt. Harvoni wurde Mitte November 2014 für die gesamte EU zugelassen.

Zusammenhang unklar

Ob die Arzneimittel wirklich für die unerwünschten Effekte verantwortlich sind, muss noch geklärt werden. Die Autoren des Berichts fordern weitere Untersuchungen. Es könnte schwierig sein, meinen sie, diejenigen Fälle auszusondern, in denen Komplikationen der Hepatitis C zu der Entwicklung beigetragen haben. Andererseits seien 90 Prozent der Fälle von Angehörigen der Gesundheitsberufe gemeldet worden. Bei diesen sollte nach Auffassung der Autoren des Berichts davon ausgegangen werden, dass sie den natürlichen Verlauf der Erkrankung genau kennen.

Hepatitis B-Aktivierung vermeidbar

„Wir wollen nicht, dass das ignoriert wird und zu Risiken für die Patienten führt“, sagte Robert S. Brown, Direktor des Center for Liver Disease and Transplantation am NewYork-Presbyterian Hospital gegenüber der New York Times. „Wir wollen aber auch keine Überreaktion und dass Patienten nicht behandelt werden, die behandelt werden sollten.“ Brown, der nicht an der ISMP-Erhebung beteiligt war, zieht in Erwägung, dass die Probleme durch Ärzte entstehen könnten, die die Arzneimittel nicht ordnungsgemäß verschreiben. Außerdem glaubt er, dass die Hepatitis B-Reaktivierung mit Tests und der richtigen Behandlung komplett vermeidbar sein müsste.

Gilead wiegelt ab, FDA äußert sich nicht

Ein Sprecher von Gilead, Mark Snyder, soll in einer E-Mail mitgeteilt haben, dass sein Unternehmen sämtliche Sicherheitsberichte nach dem Inverkehrbringen sowie Sicherheitsdaten aus klinischen Studien laufend evaluiere und dass man bislang keine Anhaltspunkte für einen kausalen Zusammenhang zwischen Sovaldi oder Harvoni und dem Leberversagen gefunden habe.

Die FDA habe eine Kopie des Berichts erhalten, schreibt die New York Times weiter, habe es aber abgelehnt, ihn zu diskutieren. Die FDA-Sprecherin Theresa Eisenman habe in einer E-Mail wissen lassen, dass die FDA in der Regel keine spezifische Studien kommentiere, sondern diese als Teil der gesamten Evidenz zu einem bestimmten Thema bewerte.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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