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Fehlende Wirksamkeits-Belege
Ethiker fordern strengere Kontrollen bei Phase-I-Studien
Wie bei der vor einem Jahr tödlich verlaufenden Studie im französischen Rennes fehlen oft Belege für eine Wirksamkeit neuer Arzneimittel, kritisieren Medizinethiker im Fachblatt „Nature“. Dabei schadeten „Blindgänger“-Therapien nicht nur Probanden und Patienten, sondern der gesamten Gesellschaft.
Bei der Phase-I-Studie zum Prüfarzneimittel BIA 10-2474 der portugiesischen Arzneimittelfirma Bial verstarb vor einem Jahr ein Proband, fünf weitere mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden – und leiden teils bis heute unter erheblichen neurologischen Symptomen. Die Liste der nachträglich aufgedeckten Probleme beim Design und der Durchführung der Studie ist lang – dennoch stellten zwei Untersuchungskommissionen kein rechtswidriges Verhalten fest. Dabei hätte die Studie laut Experten nicht einmal gestartet werden dürfen – denn es habe keine ausreichenden Daten für eine mögliche Wirksamkeit von BIA 10-2474 gegeben.
Die „Investigators Brochure“ zum Arzneimittel habe weniger als zwei Seiten zur möglichen Evidenz dafür enthalten, dass es wirken könne, kritisieren nun die Bioethiker Jonathan Kimmelman und Carole Federico von der McGill-Universität im kanadischen Montreal. Laut den Unterlagen von Bial seien die positiven Effekte nach Tierstudien nur „moderat“ gewesen – und die in Mäusen getestete Dosis habe es nicht erlaubt, die Wirksamkeit beim Menschen abzuschätzen, bemängeln die Ethiker in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature“. Auch fünf andere Studien zu so genannten FAAH-Hemmern, die auf das Endocannabinoid-System wirken, seien zuvor aufgrund fehlender Wirksamkeit abgebrochen worden.
Wie gut sind präklinische Studien?
Kimmelman und Federico argumentieren, dass in frühen klinischen Studien „äußerst oft nicht ausreichend Wert auf Evidenz für die Wirksamkeit von Arzneimittelkandidaten“ gelegt wird. „Wir glauben, dass viele Studien mit einem ersten Einsatz eines Arzneimittels am Menschen auf Basis von nicht haltbarer und ungenügend belegter Evidenz gestartet werden“, erklären die Ethiker.
So habe beispielsweise das „ALS Therapy Development Institute“, das sich der Erforschung der Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose verschrieben hat, durch eigene Tierversuche festgestellt, dass mehreren gescheiterten Arzneimitteln schlecht durchgeführte präklinische Experimente zugrunde lagen. „Um sicherzustellen, dass Studien am Menschen nur bei robusten Daten für ein klinisches Potenzial gestartet werden, kann kommerziellen Interessen nicht getraut werden“, schreiben die kanadischen Wissenschaftler.
Arzneimittelagenturen seien nicht kritisch genug
Doch auch die Arzneimittelbehörden kommen ihren Aufgaben bislang nicht ausreichend nach, argumentieren sie. So habe der Vizedirektor des an der US-amerikanischen FDA angesiedelten „Center for Drug Evaluation & Research“, Robert Temple, im September erklärt, dass die Behörden die Argumentation für eine mögliche Wirksamkeit von Arzneimitteln weitgehend den Sponsoren von Studien überlassen. Er könne sich an „keinen Fall“ erinnern, wo die FDA eine Phase-I-Studie verhindert habe, weil sie von den Daten nicht überzeugt war, zitieren sie ihn. Die europäische Arzneimittelagentur EMA sei „bei der Evaluierung der klinischen Aussichten ähnlich schweigsam“ – auch bei der Änderung einer Richtlinie, die als Reaktion auf den Skandal in Rennes die Standards verbessern sollte.
Doch die Autoren des „Nature“-Artikels fürchten, dass die Lage noch schwieriger wird: Der Finanzinvestor Jim O’Neill, den US-Präsidenten Donald Trump als zukünftigen FDA-Chef favorisiert, hatte vorgeschlagen, die Wirksamkeit von Arzneimitteln zukünftig nicht mehr vor der Zulassung zu testen. Dabei seien Studien zu nicht-wirksamen Arzneimitteln nicht nur in den relativ wenigen Fällen gefährlich, wo Probanden umkommen.
Tests an „Blindgänger“-Therapien schaden
„Patienten, gesunde Probanden und Experten, die an Tests von ‚Blindgänger‘-Therapien teilnehmen, stehen aussichtsreicheren nicht zur Verfügung“, kritisieren Kimmelmann und Federico. Darüber hinaus seien aussichtslose Studien ethisch ohnehin nicht vertretbar – doch sähen Ethikkommissionen ein positives Votum der Arzneimittelbehörde oft als Signal eines möglichen klinischen Nutzens an, schreiben die Autoren.
Um für Verbesserung zu sorgen, fordern sie für die Zukunft mehr Transparenz bei der Publikation von Tierstudien – bislang fallen negative Ergebnisse oft unter den Tisch. Auch müssten die Gremien, die erste Studien am Menschen zulassen, optimal qualifiziert sein. Um dies – auch mit den nötigen Ressourcen – zu gewährleisten, fordern Kimmelman und Federico die Einführung zentralisierter Beratungsgremien, die dafür sorgen, dass die nötigen Standards aufrechterhalten werden. Diese könnten bei den Arzneimittelbehörden FDA sowie der EMA angesiedelt sein, schlagen sie vor.
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