Interview Dr. Ulrich Schleicher (Mannschaftsarzt Hertha BSC)

Nehmen Profifußballer exzessiv Schmerzmittel ein?

Berlin - 20.03.2017, 11:45 Uhr

Schmerzmittel sind Ultima Ratio: Dr. Ulrich Schleicher, Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC meint, dass in den meisten Vereinen so viele Kontrollmechanismen installiert sind, dass ein Schmerzmittel-Missbrauch bei Spielern schnell bemerkt werden könnte. (Foto: dpa)

Schmerzmittel sind Ultima Ratio: Dr. Ulrich Schleicher, Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC meint, dass in den meisten Vereinen so viele Kontrollmechanismen installiert sind, dass ein Schmerzmittel-Missbrauch bei Spielern schnell bemerkt werden könnte. (Foto: dpa)


„Schmerzmittel sind die Ultima Ratio“

DAZ.online: Warum sind Analgetika im Fußball denn überhaupt ein Thema? Hat Niko Kovac wirklich Recht, wenn er sagt, dass Spieler ständig unter Schmerzen spielen müssten, wenn sie nicht regelmäßig Arzneimittel einnähmen?

Schleicher: Ich kann das natürlich nur für meinen Verein beantworten. Aber die körperliche Belastung der Spieler durch die Summe der Spiele ist schon hoch. Insbesondere in englischen Wochen kommt es dazu, dass die Spieler beispielsweise eine Prellung bis zum nächsten Spiel gar nicht auskurieren können. Da hat der Fußball aber kein Alleinstellungsmerkmal. Denken Sie an Sportarten wie Eishockey oder Handball, da ist die Spielfrequenz noch viel höher.

DAZ.online: Und wenn ein Spieler nach einem Samstagsspiel mit Schmerzen zu Ihnen kommt, bekommt er dann grundsätzlich Schmerzmittel, damit er am Mittwoch wieder spielbereit ist?

Schleicher: Nein, grundsätzlich ist es unser Ziel, die Spieler ohne Schmerzmittel zu kurieren. Es hat sich in den vergangenen Jahren auch unheimlich viel getan im Profifußball. Es wird viel mehr Wert auf Regeneration gelegt, die Medikation ist Ultima Ratio.

Hertha-Mannschaftsarzt Ulrich Schleicher hier bei der Behandlung von Salomon Kalout. (Foto: dpa)

DAZ.online: Welche Maßnahmen kommen denn vor der Medikation?

Schleicher: Wir haben bei Hertha BSC mehrere Mitarbeiter, die sich intensiv mit der Regeneration der Spieler beschäftigen. Dazu gehören drei Physiotherapeuten und zwei Sporttherapeuten. Die Spieler erhalten Massagen, sie erhalten regelmäßige Entmüdungsbäder. Außerdem werden zur muskulären Regeneration Fahrradfahren und leichtes Laufen angeboten. Dazu nehmen wir regelmäßig Blut bei den Spielern ab, um beispielsweise anhand der Kreatinkinase zu messen, ob zum Beispiel eine Überbelastung vorliegt. Die Vereine stecken einfach mehr Geld in die Vor- und Nachsorge von Verletzungen. Grundsätzlich wird bei jeder Verletzung eine gründliche Untersuchung einschließlich Röntgen und Kernspintomografie durchgeführt, um wesentliche Verletzungen festzustellen, die sonst durch die einfache Gabe von Schmerzmitteln verdeckt werden könnten.

Diagnostik - Reha - Schmerzmittel

DAZ.online: Das heißt: Erst dem Problem der Schmerzen auf den Grund gehen, dann gibt es ein Rezept?

Schleicher: Ganz genau. Erst setzt die Diagnostik ein. Liegen keine schwerwiegenden Verletzungen vor, gehen die Spieler in die Rehabilitation. Wenn keine größeren Verletzungen vorliegen, folgen beispielsweise physiotherapeutische oder ergotherapeutische Verfahren. Unser Ziel ist es, den Einsatz von Arzneimitteln zurückzuschrauben. Wir wollen unsere Spieler nicht betäuben. Das heißt aber nicht, dass es bei uns gar keine Schmerzmittel gibt.

DAZ.online: Hört sich aber ganz so an, als ob bei Hertha BSC niemand „fitgespritzt“ wird.

Schleicher: Natürlich kommt das auch bei uns vor. Ich wäre unehrlich, wenn ich das ausschließen würde. Wenn sich die Situation ergibt, dass ein wichtiger Spieler vor einem wichtigen Spiel durch eine Schmerzspritze spielen könnte, wiege ich gemeinsam mit unserem Trainer Pal Dardai ab, ob das Sinn macht oder nicht. Der Verein übt dabei aber keinerlei Druck auf mich aus.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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