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Serie: Die Besonderen — Heinrich Rothdauscher
Dr. Heinrich Rothdauscher: Apotheker & Abenteurer im 19. Jahrhundert
Auf den Philippinen des ausklingenden 19. Jahrhunderts mörserte, titrierte, destillierte und präparierte der deutsche Apotheker Heinrich Rothdauscher. Seine Memoiren berichten von abenteuerlichen zehn Jahren in den Tropen und zeigen das Apothekerhandwerk, wie es vor 150 Jahren betrieben wurde.
„Lebenserinnerungen eines deutschen Apothekers“
„Die Abenteuer meines Urgroßvaters waren immer ein ganz großes Thema in meiner Familie“, erinnert sich der Rosenheimer Maler Gerhard Prokop, „doch ich wollte es genauer wissen.“
Im Winter 2006 entzifferte Prokop mühsam die handschriftlichen Lebenserinnerungen des Urgroßvaters und entriss sie dem Vergessen. Als pdf publiziert Prokop auf über 200 Seiten die „Lebenserinnerungen eines deutschen Apothekers“. Gespickt mit Aphorismen von Wilhelm Busch bis Cicero, Volksliedern, Arzneimittelrezepten, Beschreibungen des Münchner Studentenlebens, Gastauftritten von Justus von Liebig und bekannten Apothekern gibt Heinrich Rothdauscher – Weltreisender, Apotheker, Forscher, Sammler und Tausendsassa – Einblick in das Apothekerhandwerk im 19. Jahrhundert und ein bewegtes Jahrzehnt auf den Philippinen.
Lehrjahre
„Im stolzen Bewusstsein, in diesem Augenblick meinen Lebensberuf zu beginnen“, so trat der 15-jährige Heinrich Rothdauscher im August 1866 seine erste Lehrstelle in einer bayerischen Apotheke an.
Nach herben Enttäuschungen, einem Apothekenwechsel, der ersten Verliebtheit, der ersten Trunkenheit und dem ersten Examen zieht Rothdauscher „hinaus in die Welt“. Hinaus – das ist zunächst hinaus aus Bayern. 1870, als Napoleon Preußen den Krieg erklärte, arbeitet Rothdauscher in der Schweiz, und bald in Schwäbisch Gmünd. Insbesondere die Dialekt schwätzenden Frauen, das gesellige Kneipenleben und das Feuerwerk, welches der 19-Jährige zur Feier der täglich eintrudelnden Siegesnachrichten herstellt, bleiben ihm im Gedächtnis. Doch auch in Gmünd hält ihn nichts. Mit „Ranzen, Hut und Wanderstab“ zieht er 1871 nach München, um zu studieren.
Vom Münchner Studentenleben
An der Universität zu München lernt er von Justus von Liebig („Vater Liebig! Welch genialer Kopf!“) Chemie und in den Kneipen das müßige Leben. „Ich galt als brauchbares Kneipengenie“, schreibt Rothdauscher, „stets bereit zu lustigen Streichen.“
Hier hört er von Paul Sartorius, einem deutschen Apotheker in Manila, der zwei examinierte Pharmazeuten für seine Apotheken in Übersee sucht. Der Gedanke an Manila lässt ihm fortan keine Ruhe mehr: Voller Fernweh schreibt er Sartorius. Und dann geht alles ganz schnell: Man trifft sich, findet Gefallen aneinander und kommt überein: „Fünf Jahre Kontrakt, freie Hin- und Rückreise, vollständige Verpflegung, $ 500 Anfangsgehalt, jedes Jahr $ 100 mehr.“
Die Jahre in Manila: Mit Weißzeug und Klistiers gegen das Tropenklima
Am 14. September 1873 sticht der Abenteurer, 22 Jahre jung, mit dem Dampfer „Meï-Kong“ von Marseille aus in See. Vierzig Tage und 6600 Seemeilen später betritt Rothdauscher zum ersten Mal Manila.
Der erste große Bericht über die Fremde dreht sich um... das Wetter.
Wie jeder tropenreisende Europäer hat Rothdauscher mit dem Klima zu kämpfen. Drei Dutzend weiße Anzüge, „Weißzeug“, lässt er wenige Tage nach seiner Ankunft anfertigen: In Sartorius Apotheke in Manila ist jeden Nachmittag um vier Uhr „Bade- und Umkleidezeit, das verknüllte Weißzeug und die feuchte Unterwäsche musste durch frische Wäsche und scharf gebügelte weiße Hose und Jacke ersetzt werden, in der Apotheke hatte man sich in den Abend-[...]Stunden besonders proper zu präsentieren.“
Auch andere der Hitze geschuldeten Gepflogenheiten verwirrten Rothdauscher zunächst: „Sehr viele Leute gebrauchten ein Klistier mit frischem Wasser bei großer Hitze, es erfrischt den Körper viel mehr als vieles Wassertrinken.“
Vigan und Cebú: Kampf gegen Getier in der Provinz
Obwohl Rothdauscher unter den Europäern in Manila schnell Freunde findet und das rege gesellschaftliche Leben genießt, verlässt er die philippinische Hauptstadt im Sommer 1876.
Nach dem Erlangen des „Titulo“, der zum Führen einer Apotheke bemächtigt, zieht er in das provinzielle Vigan, wo er eine Filialapotheke der Firma Sartorius leitet. Später, nach Auslaufen des Vertrages mit Sartorius, übernimmt er eine Apotheke in Cebú auf der gleichnamigen Insel.
In der Provinz prägt allerlei Getier Rothdauschers Alltag. „Wenn ich am Mikroskop saß und zoologische Präparate machte, erkletterten die Ameisen, die nie müde zu sein schienen, den Tisch und schleppten mir die Präparate weg.“ Für ein Präparat hat er sogar beinahe das Leben gelassen – allerdings nicht an die Ameisen. Die Einheimischen brachten Rothdauscher eine sechs Meter lange Python, auf dass er Arznei aus ihr mache. Die Klinge schon am Schlangenhals, entwindet sich das Tier und stülpt die Kiefer über Rothdauschers Kopf. Doch flink dekapitiert der Apotheker die Schlange, die hernach kopflos im Hof herumkriecht. Forscher durch und durch, lässt sich Rothdauscher „in die Mitte des Platzes einen Tisch stellen mit der Lampe, setzte mich daran mit Lektüre und wollte beobachten, wie lange die Bewegungen des Kadavers anhielten.
Ich trank mein Glas Bier, rauchte meine Pfeife und las und wartete geduldig.“ Nach sechs Stunden wird er des Wartens müde. Die Galle der am nächsten Morgen endlich reglosen Schlange führt Rothdauscher seiner „materia medica“ zu, aus dem Darm entnimmt er Parasiten, die er in Weingeist einlegt (und die er später der Zoologischen Staatssammlung München vermacht) und aus dem Leib schneidet er sich zwei dicke Schnitzel, die er mit englischer Soße verzehrt – und die nicht schmecken.
Choleraepidemie in Manila
Nach einem ärztlich angeordneten Erholungsjahr in Europa (über das Rothdauscher kein Wort verliert) kommt der Apotheker 1882 wieder in Manila an.
Eine Choleraepidemie hindert ihn an der Weiterreise nach Cebú. „Die Zahl der Opfer stieg rapid, so dass nach zehn Tagen täglich mehrere Hundert Personen weggerafft wurden.“ Ärzte und Apotheker sind hilflos. Es bleibt ihnen nichts übrig, als die Leichen karrenweise auf den Feldern zu verscharren: „Es wurde weiter nicht gefragt, wer der Eigentümer der Grundstücke, der Reisfelder sei. Die ursprünglich lose Verscharrten kamen bei der Arbeit glücklicherweise zum Vorschein und wurden nun mit den anderen tiefer gebettet.“
Nachdem der Gipfel der Epidemie überstanden ist, kehrt Rothdauscher nach Cebú zurück.
Rückkehr nach Deutschland
In Cebú muss sich Rothdauscher eingestehen, dass der nun zehn Jahre währende Tropenaufenthalt an seiner Gesundheit zehrt. Trotz seiner Absicht, „noch ein paar Jahre auf den Inseln zu bleiben“ kehrte er am 31. Dezember 1883 ins heimische Bayern zurück. Hier endet in Rothdauschers Augen der berichtenswerte Teil seines Lebens: „Damit war der Lebensabschnitt meiner Wanderjahre zu Ende und ich bin auch am Ende meiner Erzählung. Es begann für mich ein anderes, neues Leben voll freudigen Schaffens und Aufbauens des eigenen Herdes.“
Ruhelos in Bayern
„Mein Urgroßvater kam als reicher Mann zurück“, sagt Rothdauschers Urenkel Gerhard Prokop. Doch mit seiner Rückkehr verliert sich die Spur von Heinrich Rothdauscher. Bis er 1887 die Marienapotheke in Rosenheim erwirbt und 1889, mit 38 Jahren die nur 21-jährige Kaufmannstochter Rosa Woernle heiratet.
1893 zieht sich Rothdauscher aus dem Apothekergeschäft zurück, verkauft die Marienapotheke und zieht mit seiner Familie nach München („Mein Urgroßvater war immer etwas unstet“, so Prokop). 1896 promoviert Rothdauscher mit einer botanischen Arbeit. Nach gut zehn Jahren in der bayerischen Hauptstadt zieht er ein letztes Mal um: zurück nach Rosenheim. Hier lässt sich der nun 60-jährige Privatier im Jahr 1910/1911 eine luxuriöse Jugendstilvilla bauen. „Zum Glück“, sagt sein Urenkel, der heute diese Villa bewohnt, „denn mit dem Krieg und der Inflation war das ganze Geld dann weg.“
In seiner Villa verfasst Rothdauscher 1932 – im Alter von 81 Jahren und nur fünf Jahre vor seinem Tod – mithilfe seiner Tagebücher und unzähliger Briefe, die er aus der Fremde an seine Mutter geschrieben hatte, seine Memoiren. Die dann, ein Dreivierteljahrhundert später, sein Urenkel Gerhard Prokop für die Nachwelt aufbereitete.
Interessierten stellt Gerhard Prokop die Memoiren gerne als pdf-Datei zur Verfügung. E-Mail an: webmaster@gerhard-prokop.de.
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