OTC in Supermärkten und Drogerien

Schweiz entlässt 600 Arzneimittel aus der Apothekenpflicht

Berlin - 19.04.2017, 12:30 Uhr

Bald auch in der Drogerie: Die Schweizer Arzneimittelbehörde will rund 600 OTC-Präparate aus der Apotheke in die Drogerien entlassen. Weitere OTC-Arzneimittel sollen auch in Supermärkten erhältlich sein. (Foto: dpa)

Bald auch in der Drogerie: Die Schweizer Arzneimittelbehörde will rund 600 OTC-Präparate aus der Apotheke in die Drogerien entlassen. Weitere OTC-Arzneimittel sollen auch in Supermärkten erhältlich sein. (Foto: dpa)


In der Schweiz wird es die meisten OTC-Arzneimittel bald auch außerhalb der Apotheken zu kaufen geben. Nach einer Revision des Heilmittelgesetzes hat die Schweizer Arzneimittelbehörde nun einen Plan veröffentlicht, nach dem etwa 90 Prozent einer OTC-Wirkstoffliste aus der Apothekenpflicht entlassen werden sollen. Gleichzeitig sollen die Apotheker aber bestimmte Rx-Präparate ohne Rezept abgeben dürfen.

Jahrelang hat der Schweizer Gesetzgeber an einer Revision des Heilmittelgesetzes gearbeitet. Es regelt unter anderem, unter welchen Bedingungen welche Arzneimittel in Apotheken abgegeben werden müssen. Im vergangenen Jahr verabschiedete das Schweizer Parlament (National- und Ständerat) die Neuregelung des Heilmittelgesetzes. Das Gesetz enthält zahlreiche Neuregelungen, die den Schweizer Apothekenmarkt aufwirbeln dürften. Unter anderem sollen Rx-Boni und Rabatte neu geregelt, Phytopharmaka schneller zugelassen und die Verordnung von Antibiotika besser dokumentiert werden.

Bei den Apothekern dürfte jedoch eine weitere Änderung für den meisten Gesprächsstoff sorgen. Im Gesetz heißt es, dass die Selbstmedikation vereinfacht werden soll. Die Schweizer Arzneimittelbehörde wurde beauftragt, dazu einen Plan zu erarbeiten. Vor wenigen Tagen hat die Behörde nun alle beteiligten Fachverbände über das genaue Vorgehen informiert: Konkret soll bei unseren Nachbarn im Südwesten eine ganze Wirkstoffliste aufgehoben werden.

Hydrocortison, Doxylamin und Erkältungs-Kombis künftig in der Drogerie ?

Dabei geht es um die sogenannte Liste „C“: Sie enthält rund 650 OTC-Präparate, die zwar nicht rezeptpflichtig sind, aber ausschließlich nach Fachberatung durch einen Apotheker abgegeben werden dürfen. Zur Liste C gehören mehrere Schmerzmittel, wie etwa Ibuprofen in verschiedenen Dosierungen, Hydrocortison als Salbe, Doxylamin, Dihydrocodein-Tropfen in verschiedenen Dosierungen und Levonorgestrel („Pille danach“). Enthalten sind auch mehrere Erkältungs-Kombinationen, die beispielsweise Ephedrin und Codein enthalten.

Laut der Arzneimittelbehörde soll eine externe Fachkommission, an der auch Apotheker beteiligt sein sollen, jeden einzelnen Wirkstoff überprüfen: Bestehen Bedenken hinsichtlich der Entlassung aus der Apothekenpflicht, beispielsweise weil der Beratungsbedarf zu hoch ist (als Beispiel wird hier Levonorgestrel genannt), soll das Medikament in der Apotheke verbleiben. Auch bei etwaigen Wechselwirkungen mit Rx-Medikamenten soll eine Entlassung ausgeschlossen werden. Ziel sei es aber, 90 Prozent der 650 Medikamente aus der Apothekenpflicht zu entlassen, teilte die Behörde mit. Diese rund 600 Wirkstoffe könnten dann in Drogerien nach Fachberatung durch einen Drogisten verkauft werden. Die restlichen 10 Prozent der C-Medikamente sollen künftig eine Kategorie „höher“ gelistet werden und somit rezeptpflichtig sein.

Paracetamol im Supermarkt?

Zur Erklärung: In der Schweiz ist die Apotheken- und Rezeptpflicht über Wirkstofflisten geregelt. Kategorie A enthält ausschließlich Rx-Präparate, die aus Sicherheitsgründen nur über einen begrenzten Zeitraum verordnet werden dürfen. Kategorie B enthält ebenfalls nur Rx-Medikamente, darunter aber die meisten häufig verordneten Arzneimittel. Mehr als 90 Prozent aller in der Schweiz zugelassenen Wirkstoffe stammen aus diesen beiden Rx-Kategorien. Die nun aufzulösende Kategorie C darf nur nach Fachberatung durch einen Apotheker abgegeben werden. Kategorie D enthält OTC-Präparate, die auch nach Fachberatung eines Drogisten in der Drogerie verkauft werden können. Die Kategorie E enthält schließlich komplett freigegebene Präparate, die überall frei verkäuflich sind.

Neben der oben beschriebenen Aufhebung der Apothekenpflicht für die meisten OTC-Präparate soll außerdem die Beratungspflicht für viele Medikamente der Wirkstoffklasse D überprüft werden. Die Liste D enthält unter anderem Schmerzmittel wie Paracetamol in geringen Dosierungen oder das Nasenspray Xylometazolin. Der Übergang dieser beratungspflichtigen Medikamente in den kompletten Freiverkauf, beispielsweise in Supermärkten, soll ebenfalls wissenschaftlich evaluiert werden. Die Fachverbände wurden zur Stellungnahme aufgerufen. Ziel beider Maßnahmen (Auflösung der C-Liste und Umverteilung der D-Liste) ist unter anderem die Kostenreduktion im OTC-Bereich.

Die einzig gute Nachricht für die Apotheker ist, dass sie einige Arzneimittel künftig auch ohne ärztliche Verordnung abgeben sollen. Der Gesetzgeber will die heilberuflichen Kompetenzen der Apotheker stärken. Das Bundesamt für Gesundheit soll in den kommenden Monaten eine sogenannte „Apothekerliste“ erarbeiten, auf der die Medikamente stehen, die Apotheker ohne Rezept dispensieren können. Darunter dürften insbesondere die Arzneimittel sein, die aus der ehemaligen OTC-Kategorie (C) in den verschreibungspflichtigen Bereich überführt wurden.

Die neuen Abgaberegeln werden erst 2018 und 2019 in Kraft treten. Fest steht allerdings, dass in der Schweiz große Supermarktkonzerne wie beispielsweise Migros bereitstehen, um einen Teil des Apothekengeschäftes zu übernehmen. Migros hatte kürzlich auch eine Kooperation mit der Schweizer Versandapotheke Zur Rose bekanntgegeben. Zur Rose will in Bern eine erste Apotheke im Supermarkt eröffnen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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