Schwere Vorwürfe

Gericht verlängert U-Haft von Zyto-Apotheker

Hamm - 22.06.2017, 10:00 Uhr


Ein Apotheker aus Bottrop soll in über 50.000 Fällen Zytostatika gestreckt und so Patienten in Gefahr gebracht sowie Kassen betrogen haben. Die Ermittlungen zu den Vorwürfen sind aufwendig und dauern noch an. Wegen dringenden Tatverdachts und aufgrund von Fluchtgefahr hat nun das Oberlandesgericht Hamm die seit sechs Monaten andauernde Untersuchungshaft verlängert.

Wie das Oberlandesgericht (OLG) Hamm am gestrigen Mittwoch bekannt gab, wurde mit Beschluss vom 13. Juni 2017 die bislang sechsmonatige Untersuchungshaft eines Apothekers aus Bottrop verlängert (Az. 5 Ws 213/17). Die Staatsanwaltschaft Essen warf dem Apotheker ursprünglich vor, in mehr als 40.000 Fällen Zytostatika-Rezepturen gestreckt zu haben. Nun wird ihm in über 50.000 Fällen zur Last gelegt, gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und gewerbsmäßig Wirkstoffe hergestellt und in den Verkehr gebracht zu haben, deren Qualität „nicht unerheblich“ gemindert gewesen sein soll. Dabei soll er teilweise auch gegen Hygieneregeln verstoßen haben.  

In 59 Fällen wirft ihm die Staatsanwaltschaft zudem „Betrugstaten zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen“ durch falsche Abrechnungen vor. Er soll die minderwertigen Präparate so abgerechnet haben, als habe ihr Wirkstoffgehalt dem Rezept entsprochen.

Nach Ansicht des Senats des OLG Hamm ist der Beschuldigte dringend tatverdächtig – und die Verlängerung der Untersuchungshaft gerechtfertigt. Die Analysen der bei dem Bottroper Apotheker sichergestellten Präparate hätten zum Teil massive Mindergehalte der vorgeschriebenen Wirkstoffe bestätigt, erklärt das Gericht in einer Pressemitteilung. Zeugen hätten zudem bestätigt, dass der Beschuldigte für das Anmischen der fehlerhaften Präparate verantwortlich war.

Aufgrund der Vielzahl der Taten und der Schwere der Vorwürfe muss der Beschuldigte laut der Pressemitteilung mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Zudem sei er bereits zivilrechtlich von Krankenkassen und auch Patienten in Anspruch genommen worden. Beides begründet nach Ansicht der Richter „einen deutlichen Fluchtanreiz“. 

Auch sind die Ermittlungen ihrer Einschätzung nach zügig durchgeführt worden – „sie hätten nicht schneller betrieben werden können“, heißt es in der Pressemitteilung: Aufzeichnungen des Beschuldigten hätten ausgewertet und dokumentiert, Hersteller der Wirkstoffe befragt und sichergestellte Präparate begutachtet werden müssen.

Die Untersuchungen dauern aktuell noch an – und sind sehr aufwendig. Schwierig sind Analysen, inwiefern möglicherweise zu geringe Konzentrationen der monoklonalen Antikörper Nivolumab, Denosumab, Ramucirumab und Bevacizumab sowie des Zytostatikums Nab-Paclitaxel zu Schäden an Patienten geführt haben. Daher konzentriert sich die Staatsanwaltschaft derzeit neben dem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und Delikten „gegen Leib und Leben“ offenbar auf den leichter zu prüfenden Vorwurf des Abrechnungsbetrugs: Der Apotheker soll Schäden in Höhe von 2,5 Millionen Euro verursacht haben.

Dies hatte die Anwältin Sabrina Diehl, die aktuell Klagen von Patienten vorbereitet, gegenüber DAZ.online stark kritisiert. „Ich finde es sportlich, dass die Staatsanwaltschaft die Flinte ins Korn wirft“, hatte Diehl gesagt. „Es geht um Menschenleben.“

Der Apotheker nahm zu den Tatvorwürfen bislang nicht öffentlich Stellung. Verwandte, die die Apotheke in Bottrop derzeit führen, antworteten auf Anfragen von DAZ.online nicht. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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