Niedersachsen

Ortsrat entwirft eigenes Apotheken-Versorgungsmodell

Berlin - 21.06.2017, 13:45 Uhr

Im Meller Stadtteil Gesmold (hier das Schloss Gesmold) gibt es seit Kurzem keine Apotheke mehr. Der Ortsrat hat daraufhin ein eigenes Versorgungsmodell entworfen, das bei der Apothekerkammer nicht gut ankommt. (Foto: dpa)

Im Meller Stadtteil Gesmold (hier das Schloss Gesmold) gibt es seit Kurzem keine Apotheke mehr. Der Ortsrat hat daraufhin ein eigenes Versorgungsmodell entworfen, das bei der Apothekerkammer nicht gut ankommt. (Foto: dpa)


Die niedersächsische Kleinstadt Melle macht gerade leidliche Erfahrungen mit der rückgängigen Apothekenzahl. Innerhalb kürzester Zeit schlossen zwei der elf Apotheken. Insbesondere der abseits gelegene Stadtteil Gesmold ist betroffen. Weil die Apothekerkammer nun die Öffnung einer Rezeptsammelstelle untersagt hat, hat der Ortsrat eingegriffen und mit den Apothekern ein eigenes „Modell“ entwickelt.

Die niedersächsische Stadt Melle hat etwa 46.000 Einwohner und liegt an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen. Bis vor Kurzem hatte Melle noch elf Apotheken – sechs davon in den ländlichen Außenbezirken der Stadt und fünf Apotheken im Zentrum von Melle. In den vergangenen Monaten musste allerdings eine dieser Apotheken in Melle schließen. Betroffen ist der Stadtteil Gesmold, der etwa 4 Kilometer westlich außerhalb des Stadtzentrums liegt. Dort musste die Linden-Apotheke nach 34 Jahren schließen. Der Apotheker hatte monatelang versucht einen Nachfolger zu finden, was ihm aber nicht gelang.

Die Gesmolder sind von der entstandenen Versorgungslücke überhaupt nicht begeistert und wurden aktiv. Der Ortsrat des Stadtteils kontaktierte zunächst die Apothekerkammer Niedersachsen in der Hoffnung, dass man eine Rezeptsammelstelle in Gesmold aufbauen könnte. Doch von der Kammer kam eine Absage, weil die Entfernung von 3,4 Kilometern von der nächsten Apotheke bis Gesmold laut Kammer-Richtlinien nicht ausreicht, um eine Rezeptsammelstelle zu errichten.

Doch auch damit gab sich der Ortsrat aus Gesmold nicht zufrieden und setzte sich mit den umliegenden Apotheken in Verbindung, um eine Lösung zu finden. Einem Bericht des „Meller Kreisblattes“ zufolge haben die Gesmolder nun eine Absprache getroffen: „Dazu müssen die Patienten ihren Arzt lediglich bitten, das Rezept an ihre Wunsch-Apotheke zu faxen oder zu mailen“, heißt es in dem Zeitungsbericht. Konkret bedeutet das: Die Patienten weisen die Mediziner auf ihre Wunschapotheke im Umkreis hin, der Arzt faxt oder mailt das Rezept in die Apotheke, der Pharmazeut liefert das Arzneimittel an den jeweiligen Patienten per Botendienst und hol sich bei der Auslieferung das Original-Rezept ab.

Kammer: Keine Rezeptsammelstelle und keine Zuweisungen

Auf Nachfrage von DAZ.online wollten sich weder die Ortsrats-Vertreter noch die beteiligten Apotheker zu dem Vorgehen äußern. Im „Meller Kreisblatt“ wird eine Sprecherin des Ortsrates mit den Worten zitiert, dass dieses Versorgungsmodell „gut und praktikabel“ sei.

Die Apothekerkammer hat große Probleme mit den Entwicklungen in Gesmold. Gegenüber DAZ.online erklärte eine Sprecherin: „Jede Rezeptzuführung von Ärzten an Apotheken ist unzulässig. Der Vorschlag des Ortsrates ist somit nicht zulässig, auch wenn der Patient in der Arztpraxis nach seiner Wunschapotheke gefragt wird.“ Es sei „sehr verständlich“, dass die Bevölkerung und der Ortsrat die Linden-Apotheke vermissen und nach einem Ersatz suchen. „Allerdings ist die Versorgung in der Stadt Melle nicht einmal ansatzweise gefährdet. Die übrigen zehn Apotheken in Melle sind in zumutbarer Entfernung erreichbar und können auch über ihren Botendienst, wenn die Patienten nicht in die Apotheke kommen können, versorgen.“

Warum lehnte die Kammer aber die Errichtung einer Rezeptsammelstelle ab, wenn sich die Gesmolder damit schon zufrieden gegeben hätten? Laut Kammersprecherin gibt es für die Eröffnung eines solchen Briefkastens strenge Statuten, die in diesem Fall nicht erfüllt waren. Wörtlich sagte sie: „Der Meller Stadtteil Gesmold ist nicht abgelegen, weil bei einer Entfernung von nur 3,4 km zur nächsten Apotheke nicht von einer unzureichenden Arzneimittelversorgung gesprochen werden kann. Es ist feste Verwaltungspraxis und Rechtsprechung, dass der Mindestentfernungswert von 4 km überschritten sein muss. Grundsätzlich müssen es 6 km sein, bei Entfernungen zwischen 4 km und 6 km kommt es auf die konkreten Verkehrsverbindungen an. Ist eine Apotheke beispielsweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht oder sehr schlecht zu erreichen, wird auch bei dieser geringen Entfernungsdifferenz eine Genehmigung zur Rezeptsammlung erteilt.“

Und weiter: „Die übrigen zehn Meller Apotheken sind gut gerüstet, die Versorgung der Bevölkerung in dem Stadtteil Gesmold sicherzustellen. Eine Rezeptsammelstelle ist im Übrigen – nach dem Willen des Verordnungsgebers – immer eine nur eine Notbehelfseinrichtung.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

Kammer, werde kreativ!

von Andreas P. Schenkel am 23.06.2017 um 10:11 Uhr

Kreativ zu sein, heißt: etwas erschaffen. Hier allerdings scheint die Kammer zu erschlaffen. Wie die Kollegin Aures hier schon klar definiert hat: Der Patient erteilt bei der aktuell praktizierten "Gesmolder Lösung" einen Auftrag, wohin sein Rezept gehen soll, die Praxis verfährt daraufhin weisungsgemäß. Dementsprechend handelt es sich um keine Rezeptzuführung, denn eine Rezeptzuführung würde bedeuten, dass ein Überbringen von Rezepten von einer Praxis an eine Apotheke vorab am Willen der Patienten vorbei verabredet worden wäre. Ist doch eigentlich sonnenklar.

Auch ist die Kammer schlecht beraten, sich eine 4-km-Falle aufzustellen: Es kann auch schlecht erreichbare Ortsteile innerhalb einer 3,9-km-Zone geben, oder erhebliche Anteile der Bevölkerung (z.B. gebrechliche und weitgehend immobile Patienten) gelangen nur unter beträchtlichen Schwierigkeiten zu den Apotheken. Kein Apotheker errichtet mal einfach so eine Rezeptsammelstelle, sondern aus Verantwortung für seinen Auftrag aus § 1 Abs. 1 ApoG, und muss anschließend in der Landschaft herumkurven, Sammelstelle leeren, zurückfahren, danach Arznei ausfahren.

Jeder Jurist weiß: "Grundsätzlich" bedeutet: Ja, ich weiß, dass es im Normalfall so ist, aber es gibt auch Ausnahmen. Deshalb sind Juristen immer Menschen, die mit Sachverstand entscheiden und sich die Situation am besten vor Ort vor ab ansehen. Deshalb sind Juristen keine Roboter, die Ja-Nein-Listen abhaken. Und deshalb ist der Kammer dringend anzuraten, nicht verbietend, sondern erschaffend mit den Kollegen vor Ort sich in's Benehmen zu setzen, wenn schon so konkrete und praktikable Vorarbeiten geleistet wurden. Denn sonst stellt das grüngetünchte Großkapital auch in Gesmold einen Arzneiauswurf-Blechkanister auf und der Apotheker vor Ort kann dann wie in einem zeitgenössischen Popsong nur noch jammern: "Ich bin doch keine Maschiiiiiene!"

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In die Parade gefahren ... wer DocMo "anfüttert" ...

von Christian Timme am 22.06.2017 um 21:26 Uhr

Wenn eine Kammer aktuell nur noch von 3,4 bis 4 und 6 km zählen kann ... wird sie in Zukunft nicht nur in Gesmold "übergangen" werden ...

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Paradebeispiel....

von gabriela aures am 21.06.2017 um 21:57 Uhr

...wie man sich in seiner Wagenburg aushungern kann !

"Dazu müssen die Patienten ihren Arzt lediglich bitten, das Rezept an ihre Wunsch-Apotheke zu faxen oder zu mailen. "
Genau - der Patient entscheidet und gibt dem Arzt seine Vor-Ort-Apotheke an .
Und nicht irgendeine Versandapotheke irgendwo in der EU kann ungefragt in die Bresche springen !
Somit sind die Namen , Faxnummern und email-Adressen der örtlichen Apotheken ganz oben auf der Liste und in den Computern der Praxen, bevor der holländische Käse angerollt wird.

Grundlage ist natürlich ein kollegialer Umgang der KollegInnen vor Ort, den ich jetzt einfach mal voraussetze.

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