Apotheker verurteilt

Tödliche Arzneimittel-Fehlabgabe geht zum Berufsgericht

Münster - 03.07.2017, 07:00 Uhr

Zunächst wurde der Apotheker wegen der tragischen Falschabgabe zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, in zweiter Instanz erhielt er jedoch nur eine Geldstrafe. (Foto: dpa)

Zunächst wurde der Apotheker wegen der tragischen Falschabgabe zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, in zweiter Instanz erhielt er jedoch nur eine Geldstrafe. (Foto: dpa)


Da ein Apotheker einer Patientin ein falsches Arzneimittel abgegeben hatte und sie deswegen verstarb, hat ihn das Landgericht Bielefeld zu einer Geldstrafe verurteilt – in erster Instanz hatten die Richter sich für eine Haftstrafe auf Bewährung entschieden. Nach Informationen von DAZ.online wird die zuständige Apothekerkammer nun das Berufsgericht einschalten.

Aufgrund eines tragischen Irrtums im September 2014 wird ein Apotheker, der eine Apotheke im Kreis Minden-Lübbecke betreibt, sich demnächst vor dem Berufsgericht verantworten müssen. Er hatte versehentlich einer 78-jährigen Patientin nicht den Phosphatbinder Renvela® (Sevelamercarbonat), mit dem ihre Nierenerkrankung behandelt werden sollte, abgegeben – sondern den Calciumkanalblocker Veramex® (Verapamil). Nachdem die Seniorin das Arzneimittel in hoher Dosis genommen hatte, verschlechterte sich ihr gesundheitlicher Zustand schnell, wenige Tage später verstarb sie.

Zunächst hatte das Amtsgericht Minden den Pharmazeuten im August 2016 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt – und war damit deutlich über die von der Staatsanwaltschaft geforderte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60,00 Euro gegangen (Az. 25 Ls 5/16). Mit Urteil vom Januar dieses Jahres hat das Landgericht Bielefeld die Entscheidung der ersten Instanz revidiert und auf Antrag des Klägers nur die Geldstrafe von insgesamt 7200 Euro verhängt – das Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig geworden (Az. 11 NS 92/16).

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Die nun vorliegenden Urteilsgründe schildern die tragischen Ereignisse etwas anders, als das Amtsgericht Minden sie festgehalten hatte. Am Samstag sei die Tochter der später verstorbenen Patientin zur Apotheke gefahren und habe vom Apotheker erfahren, dass Sevelamercarbonat bestellt werden müsste – er es aber noch am gleichen Tage ausliefern würde. Am selben Vormittag bestellte der Apotheker auch Verapamil. Während er auf die Lieferung wartete, war der Computer bereits heruntergefahren, der Apotheker nickte offenbar kurz ein. 

Zu spät erkannte der Apotheker den schrecklichen Irrtum

„Als die Kisten durch die Anlieferungsklappe geschoben wurden, wurde er durch das Geräusch aufgeweckt“, schreiben die Richter. In der obersten Transportbox lag nur das Arzneimittel Verapamil, gleichzeitig hätte sich der Apotheker eingeprägt, für die Patientin Sevelamercarbonat ausliefern zu müssen. Doch als er die Packung Verapamil sah, habe er plötzlich gemeint, dass dies das richtige Arzneimittel sei. „Er war sich völlig sicher und unterließ deshalb eine nochmalige Abgleichung mit dem (…) ausgestellten Rezept“, erklären die Richter.

Doch am darauffolgenden Montagmorgen bemerkte er plötzlich, dass eine Packung Sevelamercarbonat auf dem Nachlieferungs-Tisch lag und offensichtlich übriggeblieben war: Nun kam ihm der Verdacht auf, dass es eventuell zu einer Falschauslieferung gekommen seien könnte. Gegen 15.30 Uhr rief er in der Wohnung der Seniorin an. Er erreichte deren Tochter und fragte nach dem ausgelieferten Medikament. Sie nannte ihm den Namen – sagte aber auch, dass ihre Mutter zwischenzeitlich verstorben sei.

„Für den Angeklagten brach eine Welt zusammen“, heißt es im Urteil. Am frühen Abend fuhr er zur Wohnung der Seniorin und sagte ihrer Tochter, dass er ein falsches Medikament ausgeliefert habe. Auch erwähnte er, dass die Einnahme des falschen Arzneimittels den Tod verursacht haben könnte.

Dies sollten ihm die Richter später hoch anrechnen. Nachdem er in erster Instanz nach Medienberichten zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte, nahm der Apotheker später doch Stellung und erklärte, dass er die Verwechslung nicht erklären könne und sehr bereue. „Ich möchte mich noch einmal entschuldigen“, hatte er gegenüber den Angehörigen der  Verstorbenen erklärt. „Es ist schwer nachvollziehbar, wie so etwas passieren konnte.“ 

Der Apotheker ging offen mit seinem Fehler um

Auch in der Berufungsverhandlung hat der Pharmazeut ein umfassendes, von Reue getragenes Geständnis abgelegt, schreiben die Richter. Sie hielten ihm sehr zu Gute, dass er selber über die Falschauslieferung und die mögliche Todesfolge informiert habe, was später zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt habe. Zur Last legten die Richter ihm, dass er als Apotheker gegenüber seinen Kunden in einer besonderen Verantwortung steht. Sie stuften darüber hinaus den Fahrlässigkeitsvorwurf nicht als ganz gering ein.

Da das Urteil rechtskräftig ist, beschäftigte sich kürzlich die Apothekerkammer Westfalen-Lippe mit dem Fall. Wie ein Sprecher auf Nachfrage erklärte, hat der Vorstand beschlossen, den Fall dem beim Verwaltungsgericht Münster angesiedelten Berufsgericht vorzulegen. Sollte sich das Berufsgericht zu Sanktionen entscheiden, könnte es einen Verweis erteilen oder im für den Pharmazeuten schlimmsten Fall sogar die Berufsunwürdigkeit feststellen, die mit einem Entzug der Approbation verbunden wäre. Derart harte Entscheidungen werden jedoch äußerst selten getroffen. 

Der Apotheker sagte gegenüber DAZ.online, dass Fehler nie ganz vermieden werden können – aber natürlich versucht werden müsste, alle Schritte so sicher wie möglich zu machen. Ihm ist anzumerken, wie sehr ihn der tragische Irrtum weiterhin beschäftigt – und die Frage, wie es zu einer derartigen Fahrlässigkeit kommen konnte.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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