Forderungen zur Bundestagswahl

AOK will Versandhandel stärken und Höchstpreise einführen

Berlin - 19.07.2017, 13:00 Uhr

Verkrustete Strukturen auflösen: AOK-Chef Christopher Hermann fordert, dass Kassen Selektivverträge mit Versandapotheken abschließen dürfen. Er will den Versandhandel grundsätzlich stärken und möchte neue Meldepflichten für Apotheker. (Foto: dpa)

Verkrustete Strukturen auflösen: AOK-Chef Christopher Hermann fordert, dass Kassen Selektivverträge mit Versandapotheken abschließen dürfen. Er will den Versandhandel grundsätzlich stärken und möchte neue Meldepflichten für Apotheker. (Foto: dpa)


Obwohl der AOK-Bundesverband bereits ein konsentiertes Forderungs-Papier zur Bundestagswahl vorgelegt hat, legt die AOK Baden-Württemberg nun nach: Auffällig ist, dass die Kasse auf die Forderung nach Apothekenketten verzichtet. Allerdings wünscht sie sich eine Stärkung des Versandhandels, Direktverträge mit Versandapotheken und die Abschaffung der Festpreise. Kollektivvertragliche Lösungen sind für die AOK ein Auslaufmodell.

Immer mehr Krankenkassen und Kassenverbände präsentieren derzeit ihre Forderungslisten zur Bundestagswahl. Vor etwa zwei Wochen hatte der AOK-Bundesverband seinen Forderungskatalog präsentiert und war mit den derzeitigen Regulierungen im Apothekenmarkt hart ins Gericht gegangen. Die politische Vertretung der elf Ortskrankenkassen fordert eine Abschaffung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes. Verbandschef Martin Litsch hatte erklärt, dass die beiden Verbote antiquiert seien. Nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung sollen die Kassen außerdem Direktverträge mit Versandapotheken abschließen können, fordert der AOK-Bundesverband.

Bei der Vorstellung der AOK-Wünsche in Berlin sagte Verbandssprecher Kai Behrens, dass das Papier zur Bundestagswahl mit allen AOKen abgestimmt worden sei. Die AOK Baden-Württemberg hält es nun offenbar trotzdem für nötig, einen eigenen Forderungskatalog aufzustellen. Das Papier mit dem Namen „Agenda Gesundheit“ wurde am heutigen Mittwoch auf der Internetseite der AOK veröffentlicht und enthält weitreichende Ausführungen zum Arzneimittelmarkt – was nicht überrascht, schließlich ist Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg, für seine Arzneimittelexpertise bekannt. Hermann gilt beispielsweise als einer der „Erfinder“ der Arzneimittelrabattverträge.

Hermann stellt Kollektivverträge grundsätzlich in Frage

Und so überrascht es auch nicht, dass Hermann sich eine Aufsprengung des Marktes wünscht. Im Kapitel „Vertragsfreiheit“ heißt es einleitend: „Die AOK Baden-Württemberg will nicht nur mehr Wettbewerb, sondern stellt als Grundlage dafür auch das Kollektivvertragssystem insgesamt infrage.“ Die Kasse begründet diese Aussage mit dem Kontrahierungszwang: Gemeinsam mit anderen Kassen müsse man alle kollektivvertraglich abgedeckten Leistungen vergüten, „also auch solche von minderer Qualität“, heißt es. Die Verpflichtung „einheitlich und gemeinsam“ müsse abgeschafft werden (mit Ausnahme der Notfallversorgung). So könnten auch strukturelle Defizite in der Versorgungslandschaft gelöst werden, erhofft sich die AOK.

Das nachfolgende Kapitel heißt „Qualitätsdruck“. Dort beschreibt die AOK zunächst das „Erfolgsmodell“ Arzneimittel-Rabattverträge, das sich durch „Freiheiten in der Vertragsgestaltung und belegbare Qualität auf der Angebotsseite“ auszeichne. Deswegen müsse es auch für neue, hochpreisige Arzneimittel regionale Selektivverträge geben – natürlich mit einem Erstattungspreis, der ab dem ersten Tag nach Markteintritt gilt.

Höchstpreise und Versandhandel stärken

Und auch im Apothekenmarkt sieht die AOK aus dem Ländle mit Blick auf Wettbewerb und Qualität dringenden Handlungsbedarf. Wörtlich schreibt sie: „Auch im Apothekenmarkt muss es darum gehen, nach dem Urteil des EuGH zum Versandhandel mehr regionale Verträge möglich zu machen. Damit hier der Wettbewerb endlich Einzug erhält und verkrustete Strukturen aufgebrochen werden, sollte die starre Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aufgehoben und durch eine rabattfähige und für Selektivverträge geöffnete  Höchstpreisregelung ersetzt werden. Die Wirtschaftlichkeit für die Solidargemeinschaft ließe sich dadurch weiter erhöhen – ohne Qualitätsverlust.“

Wie wichtig AOK-Chef Hermann die derzeitige Debatte um den Arzneimittel-Versandhandel ist, zeigt auch, dass er das Thema in seinem Vorwort am Anfang der Broschüre aufgreift. In dem Text beschäftigt sich Hermann damit, wie man Strukturen verschlanken und die Digitalisierung vorantreiben kann. Er erklärt in diesem Zusammenhang: „Schlankere Entscheidungsstrukturen würden helfen, die Digitalisierung in der Versorgung voranzubringen. Anstatt sie, etwa durch Fernbehandlungs- oder Versandhandelsverbote, zu bremsen, sollten digitale Möglichkeiten intensiver genutzt werden.“

Lieferengpässe durch Meldepflichten vermeiden

Die AOK Baden-Württemberg erneuert auch ihre Forderungen zur Versorgungssicherheit. Im Frühjahr hatte die Kasse in Berlin eine Umfrage vorgestellt, in der es um Lieferengpässe ging. Als eine der Kernforderungen erklärte die Kasse damals, dass alle Akteure in der Lieferkette künftig stetig ihre Lagerbestände an Behörden mitteilen müssten, um so einen besseren Einblick zu bekommen, an welchen Stellen des Systems die „Lücken“ bestehen. Die AOK kritisiert nun erneut die Politik dafür, dass sie Hersteller, Großhändler und Apotheker nicht noch stärker in die Pflicht nehme. Das Prinzip der Freiwilligkeit habe versagt, heißt es in dem Papier. Nötig seien eine generelle Meldepflicht bei Lieferengpässen sowie eine „vollständige Transparenz über die Lagerung durch eine verpflichtende Meldung an das BfArM“.

In diesem Zusammenhang wünscht sich die AOK Baden-Württemberg auch eine „Stärkung des Versandhandels“. Zur Erklärung schreibt die Kasse: „Schließlich werden auf diesem Weg gerade auf dem Land viele Menschen, die nicht mehr mobil sind, versorgt. In einer digitalisierten Welt gilt es, moderne technologische Möglichkeiten der Arzneimittelversorgung auch zu nutzen.“

Die Forderungskataloge der Kassen zur Bundestagswahl

Ersatzkassen vor der Bundestagswahl

Es geht auch ohne Apotheken-Attacke



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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5 Kommentare

Erpressung

von Reinhard Rodiger am 24.07.2017 um 11:07 Uhr

Kollektivverträge schützen einzelne vor dem Machtmissbrauch und damit Erpressung durch Marktdominanz. Allein die AOK mit knapp 40% Marktanteil kann via Selektivvertrag beliebig erpressen.Wohin das führt sieht man am besten bei den "Verträgen" zum Inkontinenzmaterial.Wie bei den Rabattverträgen führt das zu Konzentration und Monopolisierung. Allein die Tatsache solch hoher Marktdominanz und deren ungezügelter Ausnutzung müsste die Monopolkommission in Bewegung bringen.Die Lieferengpässe sprechen eine beredte Sprache. Auch die Politik sollte die inhärenten Risiken erkennen und die KK auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückführen.Aber diese Verkrustung ist anscheinend gewollt.Von allen.

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Forderungskatalog der AOK B.-W.

von Uwe Hüsgen am 20.07.2017 um 20:25 Uhr

Frage an den AOK-Chef:
Wie passen Selektivvertrag
einerseits, und andererseits
-Kontrahierungszwang,
-Nacht- und Notdienst,
- ausreichender Warenvorrat usw.
zusammen?
Oder gilt das Prinzip der ORDNUNGSPOLITIK für die AOK B.-W. nicht mehr?

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Das deutsche Krankenkassenmodel

von Keno Trüper am 20.07.2017 um 16:06 Uhr

ist wohl am "verkrustetsten"....
Da reicht eine Gestzliche...
Wie viele Milliarden rausgeschmissenes Geld würden wir dann sparen ?
Aber wo wären dann die Post-Mandats Jobs für abgehalfterte Politiker....

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Desaster

von Karl Friedrich Müller am 20.07.2017 um 8:39 Uhr

Was mich bei solchen Leuten immer aufregt,ist, dass mit nichtssagenden und inhaltsleeren Schlagworten gearbeitet wird, dabei unbewiesene und unbeweisbare Behauptungen aufgestellt werden, um den Leser in eine bestimmte Richtung zu manipulieren.
Verkrustete Strukturen? Was genau soll das heißen?
Hermann will nur an das Geld. Aber was hat der davon? Selbst einsacken kann er es schlecht.
nichts ist verkrustet. Apotheken sind moderne Dienstleistungsbetriebe, die sich intensiv um ihre Kunden kümmern.
Weiter behauptet er, Apotheken würden auch für schlechte Leistungen bezahlt. Das ist nicht wahr und ein Schlag ins Gesicht aller Kollegen, die sich jeden Tag um die Mitglieder der KK mühen, ihnen helfen und vielfältige unbezahlte Dienstleistungen für die KK erbringen.
Mit solchen Sprüchen soll die Versorgung der Versicherten weiter verschlechtert werden, was dem Auftrag der KK nicht entspricht und entgegen steht.
Auch hier die Frage: Was soll das?
Es werden Konzerne (Versandapotheken) bevorzugt, die ohne die Vorteile, die ihnen Kk und Politik eingeräumt haben, keinerlei Chance am Markt hätten. Diese Konzerne haben kein Interesse am Kranken (ebenso die KK?), sie sind lediglich die Masse, das Kleinvieh, das das Geld bringen soll und für steigende Aktienkurse sorgen soll.
Die Zustände werden deaströs im Gesundheitswesen, wenn diese Politik nicht aufgegeben wird und der Kranke wieder im Mittelpunkt der Bemühungen aller steht.

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Notfallversorgung

von Peter Bauer am 19.07.2017 um 14:28 Uhr

Mit Sicherheit würden im Falle von Selektivverträgen,die Patienten im Notdienst bar bezahlen müssen.Ich würde bestimmt nicht ein Rezept mit einer Kasse abrechnen mit der ich keinen Vertrag mehr habe..Selektivverträge würde auch bedeuten ,dass Patienten sich eine Apotheke suchen müßten,die vielleicht sehr weit weg ist oder bar bezahlen.Das könnte Patienten der AOK Würtemberg zum Beispiel im Urlaub an der Nordsee treffen.Für kleinere Kassen könnte es durchaus teurer werden Selektivvertragspartner unter Vertrag zu bekommen.Im Inkontinenzbereich ist die Qualität der Produkte laut Aussage betroffener Patienten heute schon nahezu
katastrophal ohne weitere Zuzahlung.Und in diesem Bereich haben wir Selektivverträge mit einzelnen Lieferanten doch schon.Gerade für immobile Patienten ist es nicht lustig nach einem Lieferanten zu suchen ,der die Patieneten ihrer Kasse mit Hilfsmittel beliefert:(original erlebt letzte Woche bei einer BKK:ich war die dritte abweisende Station).Das gibt es dann natürlich auch bei der dann zu erwartenden reduzierten Anzahl an Apotheken verstärkt im Arzneimittelbereich.Herr Herrmann sollte sich zukünftig etwas mehr an der Praxis als der blümchenreichen Theorie orientieren

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