Krankenversicherungssystem

Apotheker trommeln für PKV und gegen Bürgerversicherung

Berlin - 25.07.2017, 14:55 Uhr

Keine Zustände wie in der DDR: Kammerpräsident Lutz Engelen will das PKV-System erhalten und die Bürgerversicherung vermeiden. (Screenshot)

Keine Zustände wie in der DDR: Kammerpräsident Lutz Engelen will das PKV-System erhalten und die Bürgerversicherung vermeiden. (Screenshot)


Für die privaten Krankenversicherungen gibt es mit Blick auf die Bundestagswahl und die Rufe nach einer Bürgerversicherung eine omnipräsente Forderung: Den Erhalt des zweigliedrigen Versicherungssystems. Der PKV-Verband hat daher eine PR-Kampagne gestartet, bei der sich auch zwei namhafte Apotheker für den Erhalt der PKV aussprechen. Klar ist: Die Apotheker haben ein wirtschaftliches Interesse an der PKV.

Schon seit Jahren diskutiert die Gesundheitspolitik über die Sinnhaftigkeit des zweigliedrigen Krankenversicherungssystems in Deutschland. Erklärte Gegner des GKV/PKV-Systems sind auf politischer Ebene die SPD, die Grünen und die Linken. Alle drei Parteien sprechen sich in leicht unterschiedlichen Formen für die Einführung einer Bürgerversicherung aus, also einer einheitlichen Krankenversicherung für alle Bundesbürger. Die PKV-Gegner stören sich insbesondere an der unterschiedlichen Honorierung der Ärzte und an der finanziellen Architektur des PKV-Systems.

Aus politischer Sicht endet im Herbst eine brenzlige Legislaturperiode für die Privatversicherer: Denn in der derzeitigen Parteien-Konstellation im Bundestag ist die Union die einzige Kraft, die das zweigliedrige Versicherungssystem erhalten will. Aber auch in der nächsten Legislaturperiode könnte den PKVen Ungemach drohen: Im Falle von Rot-Rot-Grün wären die Tage des derzeitigen Systems wohl gezählt. Und auch in anderen Bündnissen werden SPD, Grüne und Linke weiter die Bürgerversicherung fordern. Zumindest im nun begonnenen Wahlkampf haben diese drei Parteien diese Forderungen nun wieder lauter geltend gemacht.

Der PKV-Verband hat daher eine PR-Kampagne mit dem Namen „Starke Stimmen“ gestartet, bei der sich bekannte Akteure aus allen Teilen des Gesundheitswesens für den Erhalt des PKV-Systems aussprechen. Mit dabei sind Vertreter aus der Ärzteschaft, wie etwa Bundesärztekammer-Präsident Frank-Ulrich Montgomery, Klinikvertreter, der Bund Deutscher Arbeitgeberverbände – und auch zwei namhafte Vertreter der Apotheker: In kurzen Video-Statements erklären Fritz Becker, Chef des deutschen und des baden-württembergischen Apothekerverbandes, und Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, warum das System aus ihrer Sicht nicht verändert werden sollte.

Becker weist zunächst darauf hin, dass Arzneimittel in der PKV teilweise „besser“ erstattet werden als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch weil es den Kontrahierungszwang gebe, stehe das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich „gut da“, meint der DAV-Chef. Becker begrüßt auch die Wahlfreiheit im derzeitigen System. Außerdem sei es gut, dass die Arzneimittelpreisverordnung für alle gleich gelte, also das Prinzip „gleiche Preise für Arzneimittel überall“. Der Apotheker-Chef kommt daher zu dem Schluss: „Bewährtes sollte man nicht ändern“.

Video-Statement des PKV-Verbandes. Hier Fritz Becker.

Apotheker: Pro Jahr 123 Millionen Euro mehr durch PKV

Noch deutlicher ist das Video-Statement von Kammerchef Lutz Engelen. Der Apotheker erklärt, dass er immer wieder erlebe, dass niederländische Patienten Versorgungsleistungen hierzulande wahrnehmen, weil das deutsche Versorgungssystem sehr gut sei. Engelen begrüßt es, dass insbesondere bei der PKV innovative und neue Arzneimittel versorgt werden. Die Privatversicherer unterstützten somit die Forschung und „übernehmen somit auch ein Stück weit gesellschaftliche Verantwortung“.

So wie Becker will Engelen die Wahlfreiheit bewahren, um auch den Qualitätswettbewerb zu erhalten. Die Bürgerversicherung nennt der Kammerchef „Einheitsbrei“. Engelen dazu: „Je mehr Monopolcharakter eine Struktur bekommt, desto langsamer und weniger aktiv wird sie.“ Auch die Geschichte der DDR habe gezeigt, dass Sachen wegen „mangelnder Entwicklung“ und „mangelnder Entfaltungsmöglichkeit“ aufgegeben werden mussten. Das System sei „filigran“, Engelen warnt davor, das „Kartenhaus“ zum Einstürzen zu bringen.

Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein (Video: PKV-Verband)

Aber warum hat sich der PKV-Verband die Apotheker für seine Kampagne ausgesucht? Ein Verbandssprecher erinnerte daran, dass die Pharmazeuten durchaus auch wirtschaftliche Interessen an dem zweigliedrigen System haben. „Für Apotheken ergeben sich größere Unterschiede daraus, ob ein Medikament an einen GKV-Versicherten oder einen Privatversicherten abgeben wird. Apotheken gewähren Privatversicherten im Gegensatz zu GKV-Versicherten keinen gesetzlichen Apothekenrabatt. Zudem profitieren Apotheken vom höheren Durchschnittspreis der abgegebenen Medikamente bei Privatversicherten. Daraus ergeben sich Mehreinnahmen für die Apotheken durch die Privatversicherten in Höhe von 123 Millionen Euro im Jahr.“

In der Tat hatte der PKV-Verband mit Hilfe einer Studie zuletzt darauf hingewiesen, dass Apotheker vom GKV/PKV-System finanziell profitieren. Alleine durch den nicht vorhandenen Kassenabschlag habe die GKV ihre Arzneimittelausgaben im Jahr 2015 laut Arzneiverordnungsreport 2016 um insgesamt 1,088 Milliarden Euro senken können – Einsparungen, die im PKV-System nicht vorhanden sind. Nach PKV-Rechnungsdaten seien im Jahr 2015 insgesamt 58,9 Millionen Packungen zulasten der PKV an deren Versicherte abgegeben worden. Multipliziert mit dem Apothekenabschlag bringe das für die Apotheken Mehreinnahmen von 104,3 Millionen Euro.

Warum profitieren Apotheker von der PKV?

Eine Anfrage bei der ABDA zu der Kooperation mit dem PKV-Verband wurde von einem Sprecher eher vage beantwortet. Auf die Frage, welche Vorteile das PKV-System aus Sicht der ABDA für die Apotheke vor Ort habe, wies der Sprecher ohne weiteren Kommentar auf das Video-Interview mit Fritz Becker hin. Und zur Frage, warum sich Becker und Engelen an der PKV-Kampagne beteiligten, hieß es, dass Becker angefragt worden sei, zu Engelen könne nur die Kammer Nordrhein Auskunft geben. Aber auch die Kammer Nordrhein wollte das Interview zunächst nicht kommentieren.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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9 Kommentare

Alles wird eins:-)

von Sven Larisch am 26.07.2017 um 11:07 Uhr

Nach dem Motto "Weg mit der PKV- her mit der Bürgerversicherung" wird im Wahlkampf wild geworben. Eine Erleichterung, meiner Meinung nach, wäre eine Bürgerversicherung, die die ganzen unnützen GKVen zu einer zusammenfasst zu einer einzigen Versicherung.
Dann kann man sich ja nach Gusto noch Zusatzleistungen "einkaufen" so man denn möchte. Damit kann man seinen Status erhöhen und wäre auch für Ärzte noch attraktiv. Wer zahlt ist schneller dran.
So wird aus dem Sozialstaat endlich ein wirtschaftlich geführtes Imperium. Dann kann die Apotheke auch endlich das DIsagio an den Kunden weitergeben über entsprechende Aufschläge und die Fremdbesitzer und Ketten bestimmen die Preise .. sowohl nach Unten, als auch nach Oben. Sich aufbäumende PKVen werden einfach geschluckt.

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Befreiungsschlag

von Dominik Müller am 26.07.2017 um 10:32 Uhr

Wie in der großen Politik,wird auch hier wieder mal die Basis nicht gefragt,"Apotheker trommeln für"??? Nicht meine Meinung und bestimmt nicht die aller Kollegen/innen. Ein Ende der GKVen hätte wohl deutlich mehr Vorteile und Sparpotential als den Erhalt der PKV.

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AW: Befreiungsschlag

von Christiane Patzelt am 26.07.2017 um 20:43 Uhr

ich bin auch dafür, dass die Schlagzeile abgeändert wird in "einige Apotheker"....

PKV

von Peter Lahr am 26.07.2017 um 10:26 Uhr

Also vorneweg, ich verstehe unsere Arztkollegen dass diese das PKV System verfechten und aufgrund der Abrechnungsmöglichkeiten bevorzugen denn beim Geld ist sich jeder selbst der Nächste. Bei uns, 1,77 mehr machen den Bock nicht fett, so schön die Liquidität auch ist aber gemessen am Verhältnis PKV zu GKV bezogen auf den Gesamtumsatz, ausser in extrem bevorzugten Lagen, unter ferner liefen. Und wenn es richtig teuer wird Abtretung (zwei Wochen) oder am besten Amex mit 1,75-1,9% auf den Bruttoumsatz Gebühr oder etwas schonender Visa oder Master mit 0,75%, Nebelkerzen die vermeintlich lukrative Privatrezepte vom Ertrag her in die Nähe des Selbstkostenpreises bringen. Ausserdem bin ich der Überzeugung, dass wenn die digitale Gesundheitskarte irgendwann fertig sein sollte auch die GKVen sich der Digitalisierung die sie von allen fordern nicht entziehen können. Karte rein, sofortige Retaxprüfung, beliefern, Geld auf Konto, nix Monatsrechnung mehr. Dann wäre auch der Liquiditätsvorteil verschwunden und Retaxunternehmen Schnee von gestern.

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Kommentar"Bewährtes sollte man nicht ändern"???

von Manfred Hildebrandt am 26.07.2017 um 8:51 Uhr

Ich kann mich nur diesem Kommentar des Kollegen Herrn Lothar Ketterer anschließen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Vollständiges Interview

von Gerhard Zück am 25.07.2017 um 20:38 Uhr

Der Beitrag ist total zusammengeschnitten - gibt es eine Langfassung der Äusserungen des Kollegen Becker ?

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AW: Vollständiges Interview

von Benjamin Rohrer am 26.07.2017 um 9:17 Uhr

Lieber Herr Zück,

wir haben die beiden vollständigen Interviews mit Hr. Becker und Hr. Engelen doch in den Text als Videos eingebunden. Sie müssen nur auf Play drücken. Deswegen hielt ich es auch nicht für notwendig, jedes Wort von Hr. Becker im Text nochmals zu zitieren.

Beste Grüße

Benjamin Rohrer

„Bewährtes sollte man nicht ändern“???

von Lothar Ketterer am 25.07.2017 um 16:55 Uhr

Genau, hat sich super bewährt, dass die Kassenpatienten monatelang auf einen Termin und stundenlang im Wartezimmer warten, während die PKV-Kunden VIP-Status genießen.

„Bewährtes sollte man nicht ändern“ sagt Herr Becker - fragt sich nur, für wen sich das System bewährt hat. Die Antwort gibt der Artikel ja selber.

Ich schäme mich für die vorgeschobenen Argumente meiner Standesgenossen.

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AW: „Bewährtes sollte man nicht ändern

von cw am 27.07.2017 um 1:37 Uhr

Monatelang warten?
Wenn jemand wirklich Hilfe benötigt bekommt er sofort Hilfe. Das unterscheidet Deutschland von allen Systemen in der welt.

wenn ich aber einen geplanten Arztbesuch habe kann ich als gkv-patient durchaus warten. schliesslich ist die gkv nichts anderes als eine billig-flat-rate. Fliege ich economy sitze ich auch nich so bequem, wie jemand der das doppelte bezahlt.

Nicht zuletzt ist aber die Budgetierung der gkv schuld, wenn jemand laenger warten muss. So ist gerade da wo keine PRIVATPATIENTEN sind die Wartezeiten am höchsten

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