Arzneimittelforschung

Liegt die Zukunft in personalisierten Krebsimpfstoffen?

Remagen - 02.08.2017, 07:00 Uhr

Sind therapeutische Impfstoffe die Zukunft der Krebstherapie? (Foto: Miss Mafalda / fotolia)

Sind therapeutische Impfstoffe die Zukunft der Krebstherapie? (Foto: Miss Mafalda / fotolia)


Therapeutische Vakzine könnten das Nonplusultra in der Krebstherapie sein. Das eigene Immunsystem dazu zu bringen, dass es Krebszellen spezifisch erkennt und vernichtet, das klingt genial. Zwei Forschungsteams haben jetzt einen wichtigen Durchbruch in der Entwicklung erzielt.

Therapeutische Krebsimpfstoffe sollen das Immunsystem des Menschen gegen einen Krebs mobilisieren, der sich bereits im Körper befindet. Krebszellen sind jedoch körpereigene Zellen. Das macht es schwierig für das Immunsystem, sie zu erkennen und spezifisch anzugreifen. Ein anderes Problem ist, dass der Tumor jedes Patienten ganz individuelle Mutationen aufweist. Das bedeutet, dass Krebsimpfungen individuell auf einen Patienten zugeschnitten werden müssen, damit sie wirken. Hier wird es wohl niemals „einen für alle“ geben können.

Neoantigene: perfekte Ziele für die Immuntherapie

Zwei Wissenschaftlergruppen aus Deutschland und den USA ist es gelungen, solche personalisierten Impfstoffe für Hautkrebspatienten zu kreieren. Beide Teams konzentrierten sich dabei auf die neuartigen Proteine (Neoantigene), die Krebszellen aufgrund von Veränderungen im Erbgut produzieren und an der Oberfläche der Zellen präsentieren. In gesunden Zellen kommen solche Neoantigene nicht vor. Das macht sie zu perfekten Zielen für die Immuntherapie. Nun muss der Impfstoff „nur noch“ so konzipiert werden, dass er genau auf die Neoantigene trainiert wird, die bei jedem Krebspatienten einzigartig sind.

Hier setzten die Krebsforscher an. Für die Produktion ihrer personalisierten Impfstoffe sequenzierten sie zunächst DNA und RNA aus den Tumoren ihrer Patienten. Mit Hilfe von Computer-Algorithmen analysierten sie dann die Mutationen jedes Tumors, um die besten Neoantigen-Ziele für eine Immunantwort zu identifizieren.

Die erste Phase I-Studie wurde vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston durchgeführt. Die Forschungsgruppe testete ihren Impfstoff NeoVax an sechs Hochrisiko-Hautkrebspatienten. Für jeden wurden bis zu zwanzig spezifische Neoantigene herausgefiltert und daraus eine individuelle Vakzine formuliert. Diese wurde verabreicht, nachdem die Tumore chirurgisch entfernt worden waren. Vier der sechs Patienten hatten zwei Jahre später immer noch keine Anzeichen von Krebs. Bei zweien trat der Krebs zwar wieder auf, konnte aber durch eine Behandlung mit Pembrolizumab unterdrückt werden.

Nach zwei Jahren weiterhin tumorfrei

In der zweiten Phase I-Studie, die von dem Biotechnologieunternehmen BioNTech AG im Mainz durchgeführt wurde, wurden 13 Hochrisiko-Patienten mit Melanomen im Endstadium mit dem RNA-Impfstoff IVAC® MUTANOME behandelt. Bei allen aktivierte dieser das Immunsystem gegen mehrere der patientenspezifischen Tumorantigene, und bei zwei Patienten wurde die Infiltration impfstoffinduzierter T-Zellen in die Tumore beobachtet. Acht der 13 Patienten waren nach fast zwei Jahren weiterhin tumorfrei. Fünf hatten nach der vorherigen Resektion ihres Tumors einen Rückfall, bevor die Impfung mit den Neo-Epitopen begann. Zwei davon sprachen auf die Impfung an, und bei einem Patienten konnte nach sequentieller Verabreichung des Impfstoffs und einer PD1-Blockade-Therapie eine komplette Tumorregression verzeichnet werden.

„Die klinischen Ergebnisse mit objektiven Immunantworten einiger Patienten sind sehr ermutigend“, freut sich der Onkologe an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und CEO von BioNTech Ugur Sahin. Nach Angaben der Autoren handelt es sich um die weltweit erste klinische Studie, die belegt, dass eine für individuelle Mutationen kodierende RNA-Vakzine das Immunsystem spezifisch aktivieren und eine Antitumoraktivität herbeiführen kann.

Haupthürden der Krebstherapie genommen

Beide Studien zeigen, dass personalisierte Neoantigen-Impfstoffe zwei Haupt-Hürden in der Krebstherapie überwinden können, nämlich die Heterogenität der Tumore und die mangelnde Selektivität bezüglich der Zielstrukturen. „Wir regen die natürliche Fähigkeit des Immunsystems an, vielfältige Zielantigene zu erkennen und zu attackieren, so wie es das bei jeder Infektion tut“, sagt die Leitautorin der Bostoner Studienpublikation Catherine J. Wu vom Dana-Farber Cancer Institut.

„So könnten personalisierte Impfstoffe bei jeder Art von Krebs angewendet werden, die eine ausreichende Anzahl an Neoantigenen ausbildet.“ Dies glaubt auch der Mainzer Studienautor Ugur Sahin. Beide geben allerdings zu bedenken, dass noch weitere Studien nötig sind, um die Sicherheit und längerfristige klinische Wirksamkeit in größeren Patientenkohorten zu untersuchen.

Aufwändig und teuer

Eine weitere große Herausforderung bei der Entwicklung personalisierter Krebsimpfungen neben der wissenschaftlichen ist der Kosten- und Zeitfaktor. Aktuellen Schätzungen zufolge wird die Entwicklung einer Vakzine für einen Patienten etwa 60.000 US-Dollar kosten und die Behandlung pro Patient mehrere Hunderttausend Dollar. Außerdem dauert die Entwicklung eines personalisierten Impfstoffs derzeit noch mehrere Monate. Selbst wenn sich der Zeitrahmen auf sechs Wochen oder weniger verkürzen ließe, wie Wissenschaftler vermuten, könnte das für manche Patienten immer noch zu lange sein.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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