Gutachten zur Rx-Preisbindung

Noweda kontert Schulz-Asche

Berlin - 11.08.2017, 10:30 Uhr


Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche hat vor einer Woche mit ihrer speziellen Lesart eines Gutachtens zur Rx-Boni-Problematik eine Diskussion entfacht. Nach wie vor wird auf ihrer Webseite über ihre Idee der Umverteilung zwischen „reichen“ und „armen“ Apotheken debattiert. Was das Gutachten eigentlich aufzeigt, scheint die Grüne weiterhin auszublenden. Nun hat sich auch die Noweda, eine der Auftraggeberinnen des Gutachtens, mit einem Brief an Schulz-Asche gewandt.  

Das wettbewerbsökonomische Gutachten, das die Noweda und der Deutsche Apotheker Verlag als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung im grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel in Auftrag gegeben haben, steht kurz vor dem Erscheinen. Mit diesem Gutachten wollen der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Uwe May, die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer und der Jurist Dr. Heinz-Uwe Dettling die „Lücke im Tatsächlichen“ schließen. Die Richter hielten es für nicht ausreichend dargelegt, dass die Arzneimittelpreisbindung erforderlich ist, um die  flächendeckende Arzneimittelversorgung aufrecht zu erhalten. Die Gutachter kommen in ihrer Expertise zu dem Ergebnis, dass nur ein Rx-Versandhandelsverbot verhindern kann, dass rund 1.000 Ortschaften in Deutschland mit weniger als 5.000 Einwohnern ihre einzige Vor-Ort-Apotheke verlieren. 

„Reiche” Apotheken im Fokus der Grünen

Kordula Schulz-Asche, die wie andere Politiker ein Kapitel des Gutachtens vorab zur Verfügung hatte, legte den Fokus allerdings auf andere Daten des Szenario-Rechners: „In der höchsten Umsatzgruppe, welche Apotheken mit einem Umsatz von 2,5 Millionen und mehr enthält, fanden sich in 2016 sage und schreibe 5.927 Apotheken mit einem Betriebsergebnis vor Steuern von deutlich mehr als 160.000 Euro“, schrieb sie am 3. August in ihrem Meinungsbeitrag „Rettet die kleine Apotheke“ auf ihrer Webseite. Zugleich reichte sie die Daten und ihre Interpretation an das Handelsblatt weiter. Es entspann sich eine muntere Diskussion auf ihrer Webseiteund auf DAZ.online –, an der sich nicht zuletzt der Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags, Dr. Christian Rotta, maßgeblich beteiligte.

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Nun hat sich auch Dr. Michael Kuck, Vorstandsvorsitzender der Noweda, mit einem Brief an Schulz-Asche zu Wort gemeldet. Dass das Gutachten große Aufmerksamkeit auf sich zieht, wundert ihn nicht – weise es doch „präzise und mit stichhaltigen Begründungen nach“, dass ein Versandverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel „der einzig sinnvolle Weg ist, um die Versorgung dauerhaft sicherzustellen“. Überrascht habe ihn hingegen Schulz-Asches Reaktion. Denn dass der Rx-Versandhandel aus dem europäischen Ausland die flächendeckende Arzneimittelversorgung ernsthaft bedrohe, kommentiere sie gar nicht. „Stattdessen befassen Sie sich eingehend mit der aus dem Gutachten am Rande zu entnehmenden Information, wonach ein Teil der Apotheken ein Betriebsergebnis ab 144.000 bzw. 160.000 Euro erwirtschaftet. Diese Erkenntnis genügt Ihnen, um reflexartig nach ‚Umverteilung‘ zu rufen. Ein ‚Sicherstellungzuschlag‘ soll her, der durch ‚Umverteilung von reichen zu ärmeren Apotheken‘ finanziert werden soll.“ 

Kuck findet diesen Vorstoß durchaus erstaunlich: „Umverteilung und die damit verbundene Schwächung der Vor-Ort-Apotheken mit höheren Betriebsergebnissen soll sicherstellen, dass die EU-Versandkonzerne und die hinter ihnen stehenden Großinvestoren ungestört ihren Geschäften in Deutschland nachgehen können.“ 

Ablenkung durch Neiddebatte

Der Noweda-Chef rückt zudem den Begriff des in Schulz-Asches Augen „reichen“ Apothekers gerade. Bei den von ihr genannten Beträgen handele sich um Bruttoeinkommen. Abzuziehen seien nicht nur die Steuern in Höhe von mindestens 30 Prozent, sondern auch die – komplett allein zu tragenden – Beiträge zur Altersvorsorge. Zusatzeinkommen durch ein 13. Monatsgehalt, Weihnachts- oder Urlaubsgeld könnten Apotheker als Selbstständige indessen nicht erwarten. Darüber hinaus hätten sie wie jeder Selbstständige aus dem Betriebsergebnis Investitionen für den Erhalt und die Zukunftssicherung des Betriebes zu tätigen.

Ferner verweist Kuck auf die langwierige Ausbildung der Pharmazeuten und ihr unternehmerisches Risiko. „Insgesamt handelt es sich eben nicht um eine Entlohnung aus angestellter Tätigkeit, sondern um einen Unternehmerlohn“. Und der aus den von Schulz-Asche genannten Betriebsergebnissen resultierende Unternehmerlohn könne „wohl nur im Rahmen einer Neiddebatte als unangemessen bezeichnet werden“. 

Die „Vorab-Stellungnahme“ zum Gutachten könne daher „nur als Versuch gewertet werden, von dem eigentlichen Ergebnis der Studie abzulenken – nämlich dass der Rx-Versandhandel unter den nun vom EuGH ermöglichten Bedingungen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf eine große Zahl von Vor-Ort- Apotheken haben wird“. 

Warum contra Vor-Ort-Apotheke?

Aus Sicht Schulz-Asches möge dieser geboten sein. Schließlich förderten die Grünen den Arzneimittelversandhandel von jeher. Aber es sei doch schwer nachvollziehbar, weshalb ausgerechnet diese Partei sich derart gegen die Vor-Ort-Apotheken in Deutschland positioniere, meint Kuck. Schließlich stünden Vor-Ort-Apotheken für frauenfreundliche, wohnortnahe Arbeitsplätze, die Belebung von Innenstädten, die Zahlung von Steuern in den Gemeinden und dezentrale mittelständische Versorgungsstrukturen. „Doch all das muss und soll ganz offensichtlich hinter den wirtschaftlichen Interessen der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützten EU-Arzneimittelversender zurücktreten“, konstatiert Kuck. „Ihr Lob für die Leistungen der inhabergeführten, wohnortnahen Apotheken in der von Ihnen auf Ihrer Internet-Seite zitierten Bundestagsdrucksache 11/11607 erscheint vor diesem Hintergrund als reine Lippenbekenntnisse“.  

Kein glaubwürdiges Wahlprogramm

Bestätigt werde dies dadurch, dass das Wort „Apotheke“ im Grünen-Bundestagswahlprogramm 2017 nicht ein einziges Mal erscheine. Aussagen des Wahlprogramms wie „Wir machen uns stark für lebendige Ortskerne, damit Innenstädte und Dorfkerne weiter Wohnorte bleiben“ und „Wir wollen eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe Versorgung unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht, Herkunft und Behinderung sicherstellen.“ wirkten nicht sonderlich glaubwürdig. 

Kuck bemüht sich erneut die Bedeutung der wohnortnahe Versorgung durch die Vor-Ort-Apotheken zu betonen: Diese sorgten zu jeder Tages- und Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen dafür, dass Patienten jederzeit die benötigten Arzneimittel erhalten können. Ist ein Arzneimittel ausnahmsweise nicht sofort verfügbar, beschaffe es die Apotheke innerhalb weniger Stunden über den Großhandel. Auf diese Weise würden täglich 3,6 Millionen Patienten kompetent versorgt – auch über Botendienste.  

Zum Abschluss des Briefes zeigt sich Kuck sicher, dass die Menschen in Deutschland ihre Vor-Ort-Versorgung durch die Apotheken zu schätzen wissen und in ihrer großen Mehrheit den von den Grünen unterstützten Versandhandel ablehnen. Das gelte jedenfalls dann, wenn sie über die Folgen eines ungehinderten Rx-Versandhandels informiert seien und entscheiden müssten zwischen der Versorgung durch ihre Vor-Ort-Apotheke und den „vermeintlichen finanziellen Vorteilen des Versandhandels durch Rabatte und Boni“. Wobei ihnen letztere  wegen des Sachleistungsprinzips ohnehin nicht zustehen könnten. 

Kuck kündigt zudem an, den Brief an Schulz-Asche den rund 9.000 Genossenschaftsmitgliedern weiterleiten.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Was sagt sie ABDA?

von G. Wagner am 12.08.2017 um 1:08 Uhr

Bravo Herr Dr. Kuck! Warum muss ein solches Gutachten eigentlich von der Noweda und vom Deutschen Apotheker Verlag erstellt werden und warum wurden solche Daten nicht schon im Verfahren vor dem EUGH von unserer Berufsvertretung vorgetragen? Ich bin gespannt, ob die ABDA wenigstens jetzt auf die Aussagen von Frau Schulz-Asche reagiert. Oder ist man dort wieder einmal beleidigt, dass andere das Notwendige getan haben, das man eigentlich selbst hätte tun müssen? Interessant auch die Diskussion auf der Facebook-Seite von Frau Schulz-Asche, auf der ihr kräftig eingeheizt wird.

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