Landgericht Berlin

Baldriparan-Werbespot verspricht zu viel

Berlin - 08.09.2017, 08:53 Uhr

Eine schnell einschlafende Frau verbunden mit der Aussage „1 Dragee am Abend“ kann Verbraucher über den Eintritt der Wirkung von Baldrian-Präparaten in die Irre führen. (Sceenshot: Baldriparan-Spot / You Tube)

Eine schnell einschlafende Frau verbunden mit der Aussage „1 Dragee am Abend“ kann Verbraucher über den Eintritt der Wirkung von Baldrian-Präparaten in die Irre führen. (Sceenshot: Baldriparan-Spot / You Tube)


Pfizer muss nach einem aktuellen Urteil seine TV-Werbung für „Baldriparan Stark für die Nacht“ umstellen. Der Spot, der unter anderem mit einem hervorgehobenen Hinweis „1 Dragee am Abend“ für gutes Ein- und Durchschlafen warb, führe den Fernsehzuschauer in die Irre. Die gleiche Werbeaussage auf der Packung beanstandeten die Richter hingegen nicht.

Die Wettbewerbszentrale hat sich an der Werbung von Pfizer Consumer Healthcare für „Baldriparan Stark für die Nacht“ gestört. Ihr missfiel, dass das Mittel mit Hinweis „1 Dragee am Abend“ beworben wird – und zwar in einem Fernsehspot, mit einem einzelnen Bild aus diesem Spot und auf der Arzneimittelpackung selbst. Die Wettbewerbszentrale meinte, dass der umworbene Verbraucher aufgrund der Angabe „1 Dragee am Abend“ davon ausgehe, dass bereits mit der Einnahme eines Dragees ein schlaffördernder beziehungsweise beruhigender Wirkerfolg erzielt werde. Tatsächlich sei ein Dragee am Abend aber nicht ausreichend, um eine solche Wirkung hervorzurufen. Dafür bedürfe es einer zwei- bis vierwöchigen Vorlaufzeit, während derer jeden Abend ein Dragee eingenommen werden müsse. Die Werbung sei daher wegen Irreführung der Verbraucher unlauter. Nach erfolgloser Abmahnung zog die Wettbewerbszentrale vor Gericht.

Das beklagte Unternehmen hielt der Argumentation der Wettbewerbshüter entgegen, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei der Verlängerung der Zulassung von Baldriparan im Jahr 2012 die Aussage „1 Dragee am Abend“ auf der Faltschachtel genehmigt habe.

BfArM hat Claim auf Umverpackung zugelassen

Das Landgericht Berlin gab nun in erster Instanz der klagenden Wettbewerbszentrale teilweise Recht. Den Werbespruch auf der Packung selbst ließen die Richter durchgehen. Dabei stellen sie zunächst fest, dass das BfArM tatsächlich keinen Einwand gegen die Aussage auf der Umverpackung hatte. Es habe allerdings auch nicht prüfen können, an welcher Stelle der Packung er letztlich auftauchen werde – etwa in normaler Schrift auf der Rückseite oder als Blickfang auf der Vorderseite. Überdies sei das Gericht an die Zulassungsentscheidung des BfArM nicht gebunden, soweit es um die Frage der wettbewerbsrechtlichen Irreführung gehe. Und so prüfen die Richter, ob die Gefahr besteht, dass Verbraucher über die Stärke der Wirkung nach der Einnahme eines ersten Dragees in die Irre geführt werden, wenn sie nur die Verpackung sehen.

Was versteht der Durchschnittsverbraucher?

Und hier spricht das Gericht dem Verbraucher der unter Schlafstörungen leidet, durchaus Urteilskraft zu. Er werde sich über die in Frage kommenden Medikamente informiert haben, erkennen, dass es sich bei „Baldriparan“ um ein baldrianhaltiges Mittel, ein pflanzliches Beruhigungsmittel handelt. Die Angabe „1 Dragee am Abend“ sage zunächst aus, dass von diesem Medikament abends eine Tablette einzunehmen ist. Das sei nur ein Hinweis auf die übliche Dosierung. Diese Angabe sei für einige Verbraucher sinnvoll – nicht zuletzt weil Konkurrenzpräparate oft eine sehr viel höhere Dosierung von mehreren Tabletten täglich vorsehen. Dass das Medikament bereits nach seiner ersten Einnahme seine volle Wirkung entfalte, sei weder dem Beipackzettel noch der Gestaltung der Umverpackung zu entnehmen, heißt es im Urteil. Der Beipackzettel stelle sogar das Gegenteil klar. Und mehr als das, was als Wirkungsweise im Beipackzettel beschrieben wird, könne der Durchschnittsverbraucher anhand der beanstandeten Banderole auf der Schachtel nicht erwarten.  

TV-Spot suggeriert schnelle Wirkung schon nach einem Dragee

Auch in Bezug auf die Werbung mit einem Bild, das eine schlafende Person unter Einblendung der Vorderseite der Faltschachtel und eines roten Punktes mit der Schrift „1 Dragee am Abend“ zeigt, wies das Landgericht die Klage ab. Dem Bild sei nicht mehr zu entnehmen, als dass die schlafende Person am Nachttisch eine Schachtel Baldriparan neben einem Blumenstrauß stehen hat, also mit Hilfe eines pflanzlichen Medikaments schläft. Zur Wirkungseffizienz nach Einnahme der ersten Tablette lasse sich daraus nichts herleiten. Der rote Punkt sei nur eine Vergrößerung des Textes, der auf der Faltschachtel steht. Dieser werde damit hervorgehoben und lesbar gemacht. Ohne weitere Angaben lasse sich daraus nicht schließen, dass bereits nach einer ersten Tablette in der ersten Nacht die volle Wirkung eintrete. „Eine allgemeine Verbrauchererwartung, dass jedes Medikament sofort nach Einnahme der ersten Dosis seine volle Wirkung entfaltet, ist nicht bekannt“, so das Gericht.

TV-Zuschauer ist abgelenkt 

Für begründet befand das Landgericht die Klage jedoch mit Blick auf den Fernseh-Werbespot – er sei tatsächlich irreführend was die Wirkungseffizienz des Medikaments betrifft. Entscheidend ist hier aus Sicht der Richter, dass es sich um einen kurzen (etwa 22 Sekunden) Werbefilm handelt, den der Verbraucher in der Regel nicht völlig konzentriert wahrnimmt. Als Schwerpunkt bleibe bei dem Spot, der mit den Worten „Gut ein- und durchschlafen“ eingeleitet wird, hängen, dass mit „Baldriparan stark für die Nacht“ eine schnelle Wirkung zu erzielen ist. Gezeigt wird eine ruhig schlafende Person. Dazu könne die Ansage „…hilft dabei mit einem Dragee am Abend“ unter der optischen Hervorhebung des roten Punkts mit dem Text „ 1 Dragee am Abend“ „zwanglos so verstanden werden, dass der abgebildete Effekt des ruhigen Schlafs mit einem Dragee am Abend erreicht werden kann“. Die nächste Ansage „Der hochkonzentrierte Baldrian" verstärke diesen Eindruck nach dem Motto „viel hilft viel“, so das Gericht.

Das Element „1 Dragee am Abend“ werde durchgehend mit der guten und effizienten Wirkungsweise des Medikaments und dem Versprechen eines guten Ein- und Durchschlafens in Zusammenhang gestellt und daher vom Fernsehzuschauer auch darauf bezogen, so das Gericht. Irgendein Hinweis, dass sich „1 Dragee am Abend" nur auf die übliche Dosierung beziehen soll und dass sich die Wirkung des Medikaments erst allmählich aufbaut, sei dem Werbespot dagegen nicht zu entnehmen. Der fernsehende Verbraucher sei typischerweise durch weitere TV-Inhalte abgelenkt, sodass er keinen Grund mehr habe, den Spot zu rekapitulieren und zu hinterfragen. Erinnern werde sich ein nicht unerheblicher Teil der Durchschnittsverbraucher daher nur an das schnelle Wirkversprechen durch die Darstellung eines optimalen Schlafs in Verbindung mit der Angabe „1 Dragee am Abend“. Und damit sei der Spot in dieser Art wegen Irreführung unlauter.

Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. August 2017, Az.: 15 O 504/16



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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