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Fälschungsskandal
Betroffene demonstrieren erneut vor Zyto-Apotheke
Sie fordern Aufklärung und Schadensersatz: Rund 300 Menschen haben am gestrigen Mittwoch vor der Bottroper Zyto-Apotheke demonstriert, in der laut Anklage zehntausende Rezepturen fehlerhaft hergestellt wurden. Während aktuelle Mitarbeiter der Apotheke über Anfeindungen klagen, geht die Betreiberin juristisch gegen den Whistleblower vor. Und Ärztekammern untersuchen, inwieweit Krebsmediziner ihren Aufklärungspflichten nachgekommen sind.
Bei der zweiten Demonstration zum Bottroper Zyto-Skandal kamen mit rund 300 Demonstranten doppelt so viele Menschen wie bei Protesten im September zusammen, um auf die Lage der Betroffenen aufmerksam zu machen. Sie forderten weiterhin Aufklärung, strengere Kontrollen für Zyto-Apotheken – und auch die Aufarbeitung des Falls über eine Studie sowie einen Täter-Opfer-Ausgleich, berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ).
Obwohl der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann zuvor wegen der kurzfristigen Absage eines geplanten Treffens mit Betroffenen in die Kritik geraten war, hatte das Ministerium keine Teilnahme an der Demo geplant, wie ein Sprecher erklärte. Hingegen kamen der Bottroper Oberbürgermeister Bernd Tischler und Sozialdezernent Willi Loeven. „Zwar erst nach zehn Monaten – aber besser spät als nie“, erklärte Organisatorin Heike Benedetti laut WAZ.
Prozess-Auftakt im November
Inzwischen hat auch das Landgericht Essen einen ersten
Termin für die Verhandlungen angesetzt: Gut ein Jahr, nachdem der
Zyto-Apotheker in Untersuchungshaft genommen wurde, soll am 13. November der
Prozessauftakt stattfinden. Dem Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft zur Last
gelegt, mehr als 60.000 Rezepturen – viele hiervon Zytostatika – unterdosiert oder
unter schlechten hygienischen Bedingungen hergestellt zu haben. Tausende
Patienten sollen betroffen und den Kassen ein Schaden von über 55 Millionen
Euro entstanden sein. Der Apotheker schweigt bislang zu den Vorwürfen.
Unklar ist bislang, inwiefern die Betroffenen informiert wurden, dass sie womöglich unterdosierte Arzneimittel erhalten haben. Nachdem viele Patienten sagten, dass sie nur aus den Medien von dem Skandal erfahren haben, forderte Laumann bereits im Sommer eine umfassende Aufklärung. „Offenbar wurde hier mit hoher krimineller Energie mit dem Leben von Menschen gespielt“, erklärt ein Ministeriumssprecher. Selbstverständlich hätten diejenigen, die als Patienten womöglich von dem Skandal betroffen sind, ein Recht, das zu erfahren.
Ein Sprecher der Ärztekammer Westfalen-Lippe bestätigte auf Nachfrage, dass hierzu derzeit Abstimmungsprozesse laufen. Die Kammer sehe eine Informationspflicht der Ärzte – doch hätten diese „weitgehend auch die betroffenen Patienten informiert“. Auch die Ärztekammer Nordrhein ermittelt derzeit. „Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich verpflichtet, den Patientinnen und Patienten sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern“, betonte ein Sprecher. „Dazu gehören auch nachträgliche Erkenntnisse über eine möglicherweise oder tatsächlich fehlerhafte Zubereitung von Onkologika durch die liefernde Apotheke.“ Im Einzelfall könnten jedoch Gründe vorliegen, von einer ungefragten Information betroffener Patienten abzusehen.
Apotheken-Mitarbeiterin berichtet von Drohungen
Wie kürzlich bekannt wurde, gab es nach der Razzia im November letzten Jahres erhebliche Auseinandersetzungen um die Betriebserlaubnis der Zyto-Apotheke: Im Januar 2017 bat das NRW-Gesundheitsministerium die Stadt Bottrop „um eine erneute Prüfung eines Widerrufs der Betriebserlaubnis“, wie ein Sprecher gegenüber DAZ.online bestätigte. Inzwischen wird sie wieder von der über 70-jährigen Mutter des inhaftierten Pharmazeuten betrieben, die sie bereits bis 2009 leitete. Zunächst hatte die Stadt die Erlaubnis nicht ausgestellt, sodass die Apothekerin vor Gericht zog – aber zu einem Urteil kam es nicht: Die Stadt genehmigte den weiteren Betrieb der Apotheke, nachdem sie offenbar ihre Einschätzung der Situation geändert hatte.
Derzeit sehen sich laut einem Artikel in der WAZ viele Mitarbeiter Anfeindungen ausgesetzt. Es geht dabei insbesondere um die Frage, welche Mitarbeiter des Zyto-Apothekers von Unregelmäßigkeiten wussten. Es gebe „Beschimpfungen und Bedrohungen“, zitiert die Zeitung eine namentlich nicht genannte Pharmazeutin. „Ich komm' und knall' euch alle“, habe ein Anrufer am Telefon gesagt. Dies sei „die Aburteilung und Verurteilung von Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen ihrem Broterwerb nachgehen“, erklärte die Apothekerin laut WAZ. „Ich vermute, keiner hat etwas gewusst. Für die Mitarbeiter, die mir am nächsten stehen, kann ich garantieren.“ Der Beschuldigte habe alleine im Labor gearbeitet – „da musste auch niemand weggucken, weil man gar nicht hingucken konnte.“
Doch zumindest zwei Kollegen hatten Bauchschmerzen, sie brachten den Fall ins Rollen: Der frühere kaufmännische Leiter Martin Porwoll ging zusammen mit einer Kollegin zur Polizei. Inzwischen ist er selber unter juristischem Beschuss. Nachdem die WAZ ihn zitiert hatte, „alle“ Mitarbeiter der Apotheke hätten von Gerüchten gewusst, bekam er eine Abmahnung von der Kanzlei der Mutter des Zyto-Apothekers. Für Porwoll, der sich von der Zeitung falsch wiedergegeben sieht, sammelt inzwischen eine Crowd-Funding-Kampagne zur weiteren Unterstützung Geld.
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