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Interview mit der Charité Berlin (Teil 2)
Heilt Ketamin eine Depression?
Ketamin wirkt rasch antidepressiv - zumindest bei manchen Patienten. Doch: Sind die Patienten anschließend geheilt? DAZ.online hat mit einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin über die therapeutische Option mit Ketamin bei therapieresistenten Depressionen gesprochen. Bei welchen Patienten sieht Professor Bajbouj Potenzial für Ketamin? Wo bremst der Psychiater die Euphorie? Lesen Sie heute den zweiten Teil des Ketamin-Interviews.
Interview mit der Charité Berlin zu Ketamin
Interview mit der Charité Berlin (Teil 1)
Ketamin zur Therapie schwerer Depressionen
„Geheilt gibt es nicht“, erklärt Bajbouj von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. „Ein großer Nachteil der Ketamin-Therapie ist gegenwärtig, dass man einen Teil der Patienten zwar schnell aus der Depression herausbekommt, aber gleichzeitig eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit hat“. Die Charité setze aus diesen Gründen Ketamin eher zurückhaltend ein. Gerade Patienten, die unter häufig rezidivierenden depressiven Episoden leiden, somit per se eine hohe Gefahr eines Rückfalls haben – „das wären eher Patienten, bei denen wir Ketamin nicht einsetzen würden“, limitiert der Mediziner das therapeutische Indikationsgebiet des Injektionsanästhetikums.
Ketamin bei Depressionen: Geheilt gibt es nicht.
Wie lange hält der depressionslösende Ketamin-Effekt an?
„Es gibt keine systematischen, gut publizierten Untersuchungen dazu, wie lange Patienten im Durchschnitt von den Ketamin-Infusionen profitieren“, erklärt Bajbouj. Zwar gebe es eine Reihe von Studien, die durchgeführt worden seien – die befänden sich jedoch alle noch im Auswertungsstadium. Nachhaltig antidepressiv scheint Ketamin aber selten zu wirken.
Mit Ketamin aus der Depression heraus und den guten Zustand auf anderem Wege aufrechterhalten.
Stand-by-Therapie mit Ketamin-Nasenspray noch in Studien-Schuhen
Wäre es nicht möglich, Patienten eine Stand-by-Prophylaxe zukommen zu lassen – dass diese den positiven Status-quo nach Beendigung des Ketamin-Zyklus beibehalten? Die Berliner Ärzte versuchten bei Patienten mit positivem Ketamin-Outcome klar den Status zu halten, jedoch geschehe dies aktuell nicht mit Ketamin, so Bajbouj. In der Tat sei allerdings eine prolongierte Applikation von Ketamin via Nasenspray Inhalt einer Studie an der Charité gewesen – doch auch hier fehlte die Auswertung der Ergebnisse derzeit noch.
„Unsere gegenwärtige Strategie ist: Mit Ketamin aus der Depression heraus und den guten Zustand auf anderem Wege aufrechtzuerhalten“, erläutert Bajbouj das therapeutische Vorgehen. Diese „anderen Wege“ beinhalten stets psychotherapeutische Interventionen und depressionslösende Arzneimittel. Ein striktes Regime, welche Antidepressiva die Ärzte dann einsetzen – existiert nicht. Zu individuell sei das Ansprechen der einzelnen Patienten auf die unterschiedlichen Wirkstoffklassen bei Antidepressiva.
Ketamin ist stets Add-on Medikation
Ihre ursprüngliche Medikation behalten die Patienten auch während der Ketamin-Behandlung bei. „Es ist immer eine Zusatzbehandlung zur existierenden, wir kombinieren das nicht fest, aktiv oder neu mit einem antidepressiven Wirkstoff“, erklärt Professor Bajbouj das therapeutische Vorgehen. Die Charité setzt Ketamin ausschließlich stationär ein – was weniger dem Arzneimittel als solches geschuldet ist. Vielmehr, erklärt der Psychiater, seien die Patienten so schwer krank, dass eine ambulante Versorgung unmöglich sei.
Ist der Ketamin-Hype gerechtfertigt?
Auch wenn Ketamin in den Medien mit reißerischen Schlagzeilen gehyped wird – „Innerhalb von zehn Minuten brachte Ketamin die Leichtigkeit“ oder „Ketamin als Antidepressivum? Partydroge soll Depressive heilen“ – Ketamin ist kein Allheilmittel und keine Wunderwaffe gegen Schwermut.
Jeder dritte Patient spricht auf Ketamin an.
Längst nicht alle Patienten profitierten von Ketamin, noch nicht einmal der überwiegende Teil der Depressiven, relativiert Bajbouj den medial propagierten Erfolg von Ketamin. „Unserer Erfahrung nach spricht etwa jeder dritte Patient auf Ketamin an“, schildert Bajbouj seinen klinischen Eindruck.
Wie schnell wirkt Ketamin?
Ketamin ragt unter den antidepressiven Therapien heraus. Warum? Ketamin wirkt rasch depressionslösend: „Unsere Erfahrung ist, dass Patienten innerhalb der ersten zwei bis drei Behandlungen einen deutlichen Effekt spüren.“ Also bereits während der ersten Woche der Ketamin-Therapie. Das ist in der Tat ungewöhnlich für antidepressive Wirkstoffe. Gerade die Latenz bis zum Wirkeintritt stellt ein Problem der antidepressiven Therapie mit typischen Wirkstoffklassen dar.
Welche Patienten profitieren besonders von Ketamin?
Zu Prädiktoren einer Ketamin-Therapie äußert sich Bajbouj zurückhaltend: Vor allem hinsichtlich der breiten Aussagekraft. Seine Einschätzung sei somit „lediglich vorläufig“, da sie auf den therapeutischen Erfahrung an der Charité, also einem einzelnen Zentrum, beruhten: „Wir haben gesehen, dass vor allem ältere Menschen auf Ketamin ansprechen“. Vorteilhaft sei außerdem, wenn die Patienten wenige Therapieversuche vorher hatten und jeweils nur kurze Episodendauern. Ein weiterer positiver Prädiktor: „Wenn Patienten die psychotropen Akuteffekte wie z.B. die häufig auftretende Dissoziation als positiv oder neutral wahrnehmen, sprechen sie unserer Erfahrung nach eher an“, erklärt Bajbouj. Wohingegen das Geschlecht kein relevanter Faktor sei.
Gibt es auch Patienten, bei denen Ketamin kontraindiziert ist? Für eine Ketamin-Therapie scheiden Patienten aus, die unter kardiovaskulären Vorerkrankungen wie Hypertonie, KHK oder Arrhythmien leiden. Ketamin erhöht den Blutdruck und wirkt positiv chronotrop auf die Herzfrequenz. „Auch Patienten mit einem allgemein erhöhten Abhängigkeitsrisiko würden wir nicht dieser Behandlung zuführen“, schränkt Bajbouj ein.
Eine bestimmte Patientengruppe mit Depressionen könnte künftig
vielleicht besonders von Ketamin profitieren: Potenzial von Ketamin als antisuizidales Arzneimittel – lesen Sie im dritten Teil des Ketamin-Interviews.
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