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Forschung
Arzneimittel gegen den Tuberkulose-Schutzschild?
Mycobacterium tuberculosis, der Erreger der Tuberkulose, macht es vielen Arzneimitteln durch seine speziell aufgebaute Zellwand schwer, überhaupt Wirkung zu zeigen. Forscher der Technischen Universität München haben nun gemeinsam mit Wissenschaftlern der Texas A&M University eine Substanz entdeckt, die diesen Schutzschild knacken kann.
65,6 Millionen Menschen waren Ende des Jahres 2016 nach den aktuellsten Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR auf der Flucht. Mit den Menschen reisen auch Krankheitserreger, die Resistenzen gegen die bisher bekannten Arzneimittel tragen. Ein Beispiel ist der Erreger der Tuberkulose, Mycobacterium tuberculosis. Anfang des Jahres veröffentlichten so Schweizer Forscher einen Bericht, in dem sie einen neuen multiresistenten Stamm des Bakteriums beschrieben, der 2016 in einem somalischen Flüchtlingscamp aufgetreten war. Und auch aus Osteuropa verbreiten sich in den vergangenen Jahren neue multiresistente Erreger der gefährlichen Erkrankung, die nicht nur die Lunge befallen kann.
Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO starben im Jahr 2015 1,8 Millionen Menschen an Tuberkulose – dem Weiße Tod, wie man die Krankheit früher nannte. Sie führt damit weltweit die Statistik tödlich verlaufender Infektionskrankheiten an. Und auch wenn die Zahl der Fälle in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2016 mit insgesamt rund 7000 Fällen moderat ist, macht das vermehrte Auftreten von Resistenzen gegen die bisherige Standardbehandlung die Entwicklung neuer Wirkstoffe notwendig.
Bisherige Therapien zeigen erhebliche unerwünschte Wirkungen
Mycobakteriaceen, zu denen neben M. tuberculosis unter anderem auch der Lepra-Erreger M. leprae gehört, machen es durch einen speziellen Aufbau ihrer Zellwand vielen gängigen Antibiotika schwer, ihre Wirksamkeit zu entfalten. Grundsätzlich sind Mykobakterien ähnlich aufgebaut wie andere grampositive Bakterien. Sie besitzen eine aus dem Peptidoglycan Murein aufgebaute äußere Zellwand und sind obligatorisch aerob. Allerdings beinhaltet die Zellwand der Mykobakterien anders als die aller andere grampositiver Bakterien einen hohen Anteil an Mykolsäuren, β-Hxdroxy-Fettsäuren, mit zwei langen Kohlenwasserstoffketten.
Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid werden standardmäßig in Kombination gegen die sich nur langsam, einmal in 15 bis 20 Stunden, teilenden Erreger eingesetzt. Ethambutol und Isoniazid hemmen dabei den Aufbau des Mykolanteils der Zellwand und ermöglichen es so unter anderem dem Transkriptions-Hemmer Rifampicin, in das Bakterium vorzudringen. Allerdings sind alle diese Antituberkulitika mit zum Teil erheblichen unerwünschten weiteren Wirkungen verbunden. Ethambutol kann so beispielweise zu einer Entzündung des Sehnervs führen bis hin zur völligen Erblindung.
EZ120 wirkt direkt in der Biosynthese der Mykolsäure-Schicht
Wissenschaftler der Technischen Universität (TU) München haben nun eine Arbeit publiziert, in der sie eine Substanz vorstellen, die anscheinend mit nur geringer Toxizität für humane Zellen effektiv den Aufbau der Mykolschicht in der Zellwand der Mykobakterien unterbinden kann. Anders als Isoniazid, dass in den auch in vielen anderen zellulären Stoffwechsel-Prozessen beteiligten Mechanismus des Coenzyms NADH (Nicotinamidadenindinucleotid) eingreift, wirkt „EZ120“ als Analogon der Mykolsäure wesentlich spezifischer. „Wir haben uns sehr fokussiert für die Strukturklasse der beta-Lactone aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu den Mykolsäuren interessiert. Die gespannten Ringsysteme der Lactone mit der langen hydrophoben Kette werden durch Enzyme die für die Mykolschicht-Synthese zuständig sind, fälschlicherweise für das natürliche Substrat gehalten, angegriffen und dann aber irreversibel blockiert“, erklärt Stephan Sieber, Professor am Lehrstuhl für Organische Chemie II der TU München, in dessen Forschungsgruppe die Arbeiten unter Mitwirkung von Wissenschaftlern der Texas A&M University entstanden.
„EZ 120“ steht dabei für die Initialen einer der Ko-Autorinnen der Studie, Evelyn Zeiler. „Sie hat die Verbindung hergestellt. 120 steht für die laufende Versuchsnummer“, sagt Sieber. In Kombination mit dem bislang nicht gegen Mykobakterien eingesetzten Reserveantibiotikum Vancomycin beobachteten die Forscher eine deutliche Wirkungssteigerung. „Vancomycin und EZ120 arbeiten hervorragend zusammen“, sagt Sieber. Bei gemeinsamer Anwendung ließe sich laut der Arbeiten die eingesetzte Dosis um mehr als das 100-fache reduzieren, sagt der Forscher. Vancomycin gilt als Reserveantibiotikum der sogenannten dritten Linie und wird unter anderem gegen multiresistente Staphylokokken wie MRSA eingesetzt. Es hemmt die Zellwand-Synthese grampositiver Bakterien, indem es durch Komplexierung die Quervernetzung des Mureins hemmt.
Stabilität der Verbindung ist noch ein Problem
Die Forscher der TU München vermuten, dass durch die Hemmung der Ausbildung der Mykolsäure-Schicht das Antibiotikum erst effektiv in die tieferliegende Zellwand eindringen kann. Den Wirkmechanismus des EZ 120 konnte Siebers Mitarbeiter Johannes Lehmann im Rahmen seiner Promotion aufklären. Er zeigte, dass die an der Mykolschicht-Synthese beteiligten Enzyme Pks13 und Ag85 blockiert werden.
EZ120 wirke dabei bereits in geringer Dosis, könne die Mykolschicht gut überwinden und töte durch die Hemmung der Zellwand-Biosynthese Mykobakterien effektiv ab, zeigten die Forscher. Hinsichtlich der möglichen Wirtschaftlichkeit bei einer zukünftigen Anwendung der Substanz als Arzneimittel macht sich Sieber keine Sorgen: „Die Verbindung ist ein kleines Molekül und lässt sich synthetisch-chemisch in nur wenigen Stufen ökonomisch herstellen“, sagt der Professor.
Allerdings gebe es noch ein paar Fragen zu klären. „Beta-Lactone haben den Nachteil, dass ihre Stabilität limitiert ist. Im nächsten Schritt müsste man testen, on die Verbindung über längere Zeit die Wirkung behält. Dafür wäre ein Tiermodell geeignet. Weiter müsste man dann sehen, ob die Grundstruktur weiter verbessert und stabilisiert werden kann“, sagt Sieber. Daneben müsse die geringe Toxizität verifiziert werden. „Wir haben zwar zeigen können, dass die Verbindung in humanen Zellen nur wenig toxisch ist, für ein Arzneimittel muss dies aber noch mit weiteren Modellen bestätigt werden“, sagt der Forscher.
Alles in allem sei dies aber ein möglicher vielversprechender neuer Ansatzpunkt für künftige Tuberkulose-Therapien, konstatieren die Forscher.
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