PKA-Aussage im Zyto-Prozess

„Als Kind wollte er Bischof werden“

Essen - 16.01.2018, 07:00 Uhr

Dem Zyto-Apotheker Peter S. und seinen vier Strafverteidigern (rechts) sitzen bis zu 45 Nebenkläger gegenüber. (Foto: hfd / DAZ.online)

Dem Zyto-Apotheker Peter S. und seinen vier Strafverteidigern (rechts) sitzen bis zu 45 Nebenkläger gegenüber. (Foto: hfd / DAZ.online)


Vor dem Landgericht Essen bekräftigte eine jahrzehntelange, ehemalige Mitarbeiterin der Zyto-Apotheke am gestrigen Montag Vorwürfe, ihr Ex-Chef habe bei der Herstellung von Krebsmitteln gegen Hygiene-Standards verstoßen. Sie ist die Schwester des Whistleblowers Martin Porwoll, der den Fall ins Rollen gebracht hatte – und wurde nach der Razzia in der Apotheke vor einem Jahr nach eigenen Aussagen gemobbt.

Im Prozess um den Zyto-Apotheker Peter S. hatte das Landgericht Essen am gestrigen Montag die Anfang 60-jährige PKA Theresa K. geladen. Mit 15 Jahren hatte sie ihre Ausbildung als Apothekenhelferin in der damals von den Eltern von S. betriebenen Bottroper Apotheke begonnen. 40 Jahre lang war die Arbeit „stressig aber gut“, erklärte die PKA, die nach eigenen Angaben täglich von 6 bis 20 Uhr in der Apotheke arbeitete, samstags bis 2 oder 3 Uhr. Doch in den vergangenen Jahren wurde alles „noch stressiger“, erklärte die Angestellte. Zur Erinnerung: 2009 hatte S. die Apotheke übernommen.

Die PKA berichtete, wie sie Peter S. aufwachsen sah und sich teils auch um ihn kümmerte. „Als Kind wollte er Bischof werden“, erklärte sie über ihren früheren Chef. Ein bisschen einsam sei er gewesen, er habe jedoch einen besten Freund gehabt.

„Akkord-Arbeit“

„Eigentlich ging ich gerne in die Arbeit“, betonte K., die offenbar zum engen Kern der Apotheken-Belegschaft gehörte. „Nur die letzten Jahre waren nicht so gut“, erklärte sie. Unter dem Zyto-Apotheker S. habe es Veränderungen gegeben – insbesondere nachdem sich vor gut drei Jahren eine neue Mitarbeiterin um wirtschaftliche Aspekte kümmerte. Seitdem wurden vermehrt Werbeaktionen veranstaltet und Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt, per günstigerem Direkteinkauf zu bestellen. Es galt immer, was der Chef sagte, erklärte K., die auch von „Akkord-Arbeit“ sprach. „So war es eben“, sagte sie. Dabei habe es öfters Kompetenz-Streitigkeiten zwischen dem Zyto-Apotheker und seinen Eltern gegeben.

Nach eigener Aussage hatte die PKA keinen Gesamt-Überblick, wie die Apotheke wirtschaftlich aufgestellt war. „Wir hatten sehr viel zu tun“, erklärte sie auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Johannes Hidding. Die PKA bestätigte frühere Zeugenaussagen, S. habe in Straßenkleidung im Reinraumlabor gearbeitet – sie habe ihn wie auch seine Eltern hierauf angesprochen, erklärte sie. Auch seien Krebsmittel im Haushaltskeller der Eltern gelagert worden.

Normalerweise habe sie mit der Zyto-Herstellung jedoch nichts zu tun gehabt, sagte die PKA. Sie erwähnte in der Verhandlung eine Herz- sowie eine Kopfverletzung von S., die sich jedoch ihrer Einschätzung nicht auf das Verhalten von ihm ausgewirkt hätten. Als Chef sei er auch zugewandt gewesen und hätte seinen Mitarbeitern zugehört, erklärte K.

Der Bruder der PKA erstattete Anzeige gegen den Zyto-Apotheker

Ab 2014 arbeitete ihr zuvor arbeitsloser Bruder Martin Porwoll in der Apotheke, der später zum kaufmännischen Leiter wurde – er kannte S. offenbar schon aus Jugendjahren. Auch Porwolls Sohn jobbte teils in der Apotheke. Der Kaufmann war es, der den Prozess durch Auswertungen der eingekauften und verkauften Wirkstoffmengen ins Rollen brachte: Er erstatte Anzeige, aufgrund seiner Unterlagen sitzt sein früherer Chef nun seit mehr als einem Jahr wegen der schwerwiegenden Vorwürfe in Untersuchungshaft.

Für seine Schwester änderte sich ihr Leben nur gut ein Jahr vor ihrer Pensionierung eines frühen morgens drastisch: Kurz nach sechs Uhr seien auf einmal die Putzhilfen angelaufen gekommen, erklärte K. „Theresa, Theresa, komm ganz schnell nach vorne, hier stehen so viele Männer“, hätten sie gerufen. Es handelte sich um die Razzia der Polizei, bei der auch Peter S. festgenommen wurde. Zunächst sei fraglich gewesen, ob die Apotheke aufgemacht werden dürfte – doch gegen acht Uhr habe es die Erlaubnis hierzu gegeben. Schon am Tag der Razzia sei von zwei Anzeigen gesprochen worden, erklärte K. vor Gericht.

Fristlose Kündigungen

Wenige Tage später luden die Eltern des Apothekers die PKA zu einem Gespräch und eröffneten ihr, dass ein Mitarbeiter verdächtigt werde, hinter einer der Anzeigen zu stehen. „Derjenige ist Ihr Bruder“, hätten sie K. gesagt. „Da fiel ich aus allen Wolken“, erklärte sie – Porwoll hatte die PKA offenbar nicht in seine Pläne eingeweiht, um die Anzeige zu ermöglichen. Sie habe ihren Bruder zu dem Gespräch geholt. Ihr Bruder „saß da wie versteinert“, erklärte K. „Dann wurde ihm gesagt: Sie sind fristlos entlassen und haben ein Verbot, die Apotheke zu betreten“, erklärte die PKA – auch sein mit einem Mini-Job in der Apotheke beschäftigter Sohn sei fristlos gekündigt worden. „Ihr Neffe muss ja auch gehen, weil er der Sohn ist“, habe es geheißen.

Das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern und ihr habe sich drastisch verändert: Sie sei gemobbt worden, erklärte die PKA. Inzwischen arbeitet auch sie nicht mehr in der Apotheke, nun muss sie neben einem Minijob von ihrem Arbeitslosengeld leben. Der PKA war die Anspannung während der Vernehmung sehr anzusehen – während S. ihre Aussagen mit erstarrter Miene verfolgte.

Nebenklage wirft dem Zyto-Apotheker versuchten Mord vor

Nachdem noch ein Informatik-Spezialist der Polizei über die Beschlagnahme der Zyto-Datenbank der Bottroper Apotheke ausgesagt hatte, gab der Nebenklage-Vertreter Markus Goldbach eine Erklärung ab. Diese bezog sich auf die Vernehmung eines früheren Fahrers der Apotheke – und die Frage, inwiefern S. die bei der Razzia sichergestellten Arzneimittel freigegeben hatte: Seine Verteidiger hatten vergangene Woche argumentiert, der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung sei unzutreffend, da die laut Analysen teils stark unterdosierten Arzneimittel noch nicht zur Anwendung am Patienten bereit gewesen seien.

Mit seiner Aussage habe der Zeuge den Vorwurf der versuchten Körperverletzung bestätigt, erklärte Goldbach. Diese beziehe sich auch auf Handlungen, „die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen“, betonte der Anwalt. „Vorliegend hat der Angeklagte bereits mit der Manipulation der Therapien und der Bereitstellung der mit den Anschriften versehenen Koffern bzw. Kühltaschen alle wesentlichen Schritte unternommen, damit die Therapien dann gemäß dem täglichen Routineablauf von den Fahrern zur Verabreichung an die Patienten transportiert werden und somit die Rechtsgutsverletzung erfolgen kann.“ Die Handlung des Angeklagten mündete somit bereits in den anschließenden Transport und die Verabreichung der Therapien ein.

„Überleben der Patienten vollkommen egal“

Nach Ansicht von Goldbach liege versuchter Mord vor – und zwar in dutzenden Fällen: Jeden Monat habe S. sich bei den regelmäßigen Abrechnungen entschlossen, seine mutmaßlichen Unterdosierungen fortzuführen. „Der Angeklagte wusste dabei, dass er die ungerechtfertigten Zahlungen der Krankenkassen nur um den Preis erhalten würde, dass bei einigen Patienten die Therapien aufgrund der Unterdosierung nicht in dem möglichen Ausmaß anschlagen würden und dass ihre Lebenszeit somit im Vergleich zu einer ordnungsgemäßen Therapierung verkürzt würde“, betonte Goldbach. „Da der Angeklagte trotzdem unterdosierte Therapien hergestellt hatte, hat er sich des versuchten Mordes schuldig gemacht.“ Auch durch das Fehlen der Schutzkleidung sei ersichtlich, „dass dem Angeklagten das Überleben der Patienten tatsächlich vollkommen egal gewesen ist“, erklärte der Anwalt.

Für kommenden Donnerstag ist der Bruder der PKA als Zeuge geladen. Hierbei wird vermutlich auch eine Vorstrafe gegen ihn Thema werden: Im Jahr 2004 war Porwoll wegen Betrugs verurteilt worden, wie er selber gegenüber der „Rheinischen Post“ offengelegt hatte.

Der Apotheker schweigt bislang zu den Vorwürfen, wegen derer er seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Seine eigentlich auch für den gestrigen Montag vom Gericht geladenen Eltern machten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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