Gastkommentar

Vertrauen - das vergessene Prinzip

Erding - 23.02.2018, 09:00 Uhr

Vertrauen entsteht nicht im gnadenlosen Wettbewerb um Größe und Zentralisierung, sondern durch direkten Kontakt und Regionalität, findet Franz Stadler. (Foto: imago / Marius Schwarz)

Vertrauen entsteht nicht im gnadenlosen Wettbewerb um Größe und Zentralisierung, sondern durch direkten Kontakt und Regionalität, findet Franz Stadler. (Foto: imago / Marius Schwarz)


Was haben ausgebeutete Paketdienstfahrer und frustrierte Apotheker gemeinsam? Sie sind beide das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die sich immer wieder von Größe und Zentralisierung blenden und die langfristigen Konsequenzen ihres Tuns außer Acht lässt. Apotheker Dr. Franz Stadler aus Erding kommt bei seiner Analyse des Honorargutachtens zu dem Schluss: „Die Apotheken sind für 100 Prozent der Bevölkerung und nicht für 39 Prozent der Packungen da!“. Ein Gastkommentar.

Paketdienstfahrer ächzen unter niedrigen Löhnen und stressigen Arbeitsbedingungen mit immer mehr Paketen und Überstunden ohne Ende. Sie sind das sichtbare Zeichen schwindender Regionalität. Fast 20000 deutsche Apotheken stehen für diese Regionalität. Sie werden jedoch gerade in ihrem Selbstverständnis erschüttert und sind tief besorgt: Nicht nur dass man sie, die Hochregulierten, ungeschützt der weitgehend unkontrollierbaren Versandhandelskonkurrenz aussetzt, ein Auftragsgutachten des Bundeswirtschaftsministeriums stellt zudem gerade den wirtschaftlichen Wert ihrer Tätigkeit in erheblichem Umfang in Frage. Es geht um die Existenz vieler Apotheken und um den Verlust tausender Arbeitsplätze. Aber jenseits aller dieser Horrorszenarien geht es in beiden Fällen um ein Prinzip. Es geht um die prinzipielle Ausrichtung unserer Wirtschaftspolitik, Zentralisierung oder Regionalität, also letztlich um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen

Dr. Franz Stadler leitet die Sempt-Apotheke in Erding

In seinem DAZ-Beitrag „Nasenspray finanziert Reinraumlabor? Die alternativen Fakten des Honorargutachtens“, der in der aktuellen Ausgabe (08/2018) erschienen ist, analysiert Dr. Franz Stadler  das Honorargutachten. Wie kläglich dieses Gutachten gescheitert ist, zeigt er am Beispiel der parenteralen Rezepturen.

Selbstverständlich kann und muss man den Wert eines Honorargutachtens anhand der handwerklichen Fehler, die auch hier zweifelsohne gemacht wurden, diskutieren – eine Aufgabe für die Fachmedien. Eine Online-Umfrage und statistische Daten als Grundlage einer kompletten Neubewertung der Leistung eines ganzen Berufstandes zu verwenden, spricht aber nicht nur von einer gewissen Selbstüberschätzung der Auftragsnehmer, sondern offenbart erneut eine tiefgehende Störung unseres wirtschaftlichen Denkens. 

Obwohl nicht alle Tätigkeiten einer Fließbandarbeit vergleichbar sind, wird immer wieder versucht, alles möglichst detailliert zu quantifizieren, zu messen und anhand von Zahlen und vermeintlichen Fakten zu bewerten. Die Gutachter verlieren dabei aber unsere Zukunft aus dem Auge. Prozessoptimierung um jeden Preis, ob im Gesundheitswesen oder in der Logistik. 

Wie lange darf eine wirtschaftliche Beratung dauern?

Natürlich ist ein schlecht bezahlter Paketdienstfahrer billiger als ein Apotheker in seinem Laden. Aber kann man mit Zahlen wie die durchschnittliche Beratungsdauer bei Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments (6,9 Minuten, oder waren es gar nur 6,7 Minuten) oder der Ermittlung der Kosten für die Abgabe aller Betäubungsmittel (190,6 Mio. Euro) in der Summe den Wert einer Apotheke bestimmen? Müssen deshalb bei Umsetzung der aus diesen Zahlen folgenden Empfehlungen letztlich mehr als die Hälfte aller Apotheken schließen? Weil nur diese Zahlen wirtschaftlich sind und die Konsequenzen deshalb dem Wirtschaftlichkeitsgebot der Krankenkassen entsprechen? Ersetzen das Wirtschaftlichkeitsgebot und damit der Paketdienstfahrer wirklich die sozialen Kontakte und die Gesundheitsberatung vor Ort?

Bleiben wir sachlich: Die GKV-Ausgaben beliefen sich im Jahr 2016 auf mehr als 220 Milliarden Euro. Der Wertschöpfungsanteil aller Apotheken (vor Abzug ihrer Kosten) betrug nach Arzneimittelpreisverordnung etwa 2,3 Prozent dieser Kosten (ABDA-Zahlen). Selbst wenn es durch die vorgeschlagene Honorarreform gelänge, diese Kosten zu halbieren, wäre nur wenig gewonnen. Die Arzneimittelhersteller und ihre ungebremst steigenden Arzneimittelpreise bei neuen Medikamenten sind weiterhin nicht von Zwangslizenzen und Patententzug bedroht. Verloren wäre aber die Institution der regionalen Apotheke. 

Das Ziel? Alle drei Minuten einen Kunden durchschleusen?

Denn was würde nach dem Willen der Gutachter passieren? Der durchschnittliche selbstständige Apotheker würde weniger verdienen als jeder angestellte Apotheker. Eine gestiegene Nacht- und Notdienstvergütung oder die Empfehlung doch die OTC-Preise zu erhöhen, werden den Beruf nicht attraktiver machen. Überlebensfähig wäre wahrscheinlich nur die Apotheke, die es schafft, den ganzen Tag hindurch alle drei Minuten pro pharmazeutischen Mitarbeiter einen Kunden durchzuschleusen und jedes Jahr den Bondurchschnitt zu heben. Soll das wirklich das Ziel sein? Der Apotheker als durchgestylter Kaufmann, sonst überwiegend ersetzt durch Paketdienstfahrer?

Mehr Zusatzverkäufe: Was wird Professor Glaeske sagen?

Natürlich kann man durch gezielte Verkaufsschulungen Mitarbeiter trimmen, mehr Zusatzverkäufe zu tätigen, aber liegt das im Interesse des Kunden? Was wird Professor Glaeske dazu sagen, was all´ die anderen Verbraucherschützer, die schon jetzt bessere Beratung fordern? Gibt es nicht bereits zu viele Branchen, die ihre Glaubwürdigkeit durch rücksichtsloses Verkaufen verspielt haben? Steigt nicht durch all diese Maßnahmen das Misstrauen zwischen den Menschen? Zerbricht nicht genau dadurch unsere Gesellschaft?

Wie geht Vertrauen verloren? Vertrauen geht verloren durch das Fehlen persönlicher Bindungen. Telefonische oder Internetberatung kann den Blick ins Gesicht des Gegenübers nicht ersetzen. Es gibt ehrliche und es gibt verkaufsorientierte Beratung, aber nur beim direkten Kontakt (ohne Paketdienstfahrer) hat der Kunde die Chance, den Unterschied zu bemerken. Vertrauen wachsen kann nur bei ehrlicher, manchmal auch unbequemer Beratung, die in Einzelfällen auch mal mehr als sieben Minuten dauern kann und muss. Und es ist wichtig, vor Ort verankert zu sein. Ist man als Person aber auch als Firma eingebunden in das Leben, die Umgebung seiner Kunden, steigt auch auf Verkäuferseite die Hemmschwelle ihre Kunden zu übervorteilen. 

Jenseits des Vertrauens endet eine Gesellschaft.

Kaufen und Verkaufen sind Vorgänge, die auf Vertrauen beruhen sollten. Vertrauen entsteht nicht im gnadenlosen Wettbewerb um Größe und Zentralisierung, sondern durch direkten Kontakt und Regionalität. Jenseits des Vertrauens beginnt das Gebiet der Gesetze und der zeit- und nervenaufreibenden juristischen Auseinandersetzungen. Jenseits des Vertrauens beginnt die Suche nach Gesetzeslücken und dem schnellen Geld. Jenseits des Vertrauens endet eine Gesellschaft.



Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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8 Kommentare

Vertrauen ist das eine - Kundenfreundlichkeit das andere

von Jochen Paulus am 23.02.2018 um 12:33 Uhr

Als Apothekenkunde auf dem Land muss ich leider immer noch feststellen, dass es Apotheken gibt, die über die Mittagszeit zwischen 13:00 und 14:30 Uhr und am Mittwoch Nachmittsg schließen. Wenn ich dann mit meinem Rezept vor verschlossener Apothekentür stehe und über 30 km Fahrstrecke in Kauf nehmen muss, um eine dienstbereite Apotheke zu finden probiere ich zwangsläufig eine Online Apotheke aus. Da ist immer offen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 4 Antworten

AW: Vertrauen ist das eine -

von Christiane Patzelt am 23.02.2018 um 13:05 Uhr

Auch das, werter Patient kann ein Ergebnis der jahrelangen Sparwelle für uns Apotheken sein. Wir werden nicht auskömmlich honoriert, demzufolge sparen wir am Dienstleistungsangebot-daran sind wir nicht (alleine) Schuld, das ist eher eine Re-Aktion. Ihr Ausweg, dann online zu kaufen beschleunigt aber das Apothekensterben, in so fern sind auch Sie als Patient nicht unbeteiligt an weiteren Schließungen und schlechten Erreichbarkeiten (Spiraleffekt).

AW: Vertrauen ist das eine -

von Christian Becker am 23.02.2018 um 17:41 Uhr

Frau Patzelt hat ja schon erklärt, woran das z.T. liegt.

Was hindert Sie denn daran, bei der Apotheke anzurufen, das Medikament vorzubestellen und es zu den Öffnungszeiten abzuholen.
Vielleicht bietet die Apotheke auch einen Bringservice an. Länger als bei der Online-Apotheke dauert das mit Sicherheit auch nicht.

AW: Öffnungszeiten

von Dr. Arnulf Diesel am 24.02.2018 um 9:41 Uhr

Die vom Apothekenkunden Herrn Paulus genannten Öffnungszeiten halte ich selbst für anachronistisch, spiegeln sie doch die Sprechzeiten der traditionellen Arztpraxis wieder und ignorieren, daß bereits lange Arzneimittel für "Bagatellerkrankungen" keine GKV Leistung mehr sind und der Patient/ Kunde sich oft in der Apotheke beraten läßt. Meine begrenzte berufliche Erfahrung bezieht sich aber nur auf Städte von 60 - 600 k Einwohnern. Wenn man nun ländlich wohnt, wird man die Öffnungszeiten der Apotheke(n) wohl kennen und wenn es so eiligt ist, daß man selbst die Mittagspause nicht abwarten kann, frage ich mich, welchen Vorteil die Online-Apotheke bietet, bekommt man doch sein Paket mehrere Tage später - schließlich muß Herr Paulus sein Rezept ja zuerst per Post einsenden.

AW: Vertrauen ist das eine -

von Andreas Hrubey am 25.02.2018 um 11:17 Uhr

Wie lange müssen Sie fahren, um Mittwoch Nachmittags eine offene Arztpraxis zu finden?

Vertrauen ist das eine - Kundenfreundlichkeit das andere

von Jochen Paulus am 23.02.2018 um 12:33 Uhr

Als Apothekenkunde auf dem Land muss ich leider immer noch feststellen, dass es Apotheken gibt, die über die Mittagszeit zwischen 13:00 und 14:30 Uhr und am Mittwoch Nachmittsg schließen. Wenn ich dann mit meinem Rezept vor verschlossener Apothekentür stehe und über 30 km Fahrstrecke in Kauf nehmen muss, um eine dienstbereite Apotheke zu finden probiere ich zwangsläufig eine Online Apotheke aus. Da ist immer offen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Vertrauen ist das eine -

von Bernd Jas am 25.02.2018 um 9:23 Uhr

Sehr geehrter Herr Paulus,
es ist nicht gerade glaubwürdig, dass Sie 30 km fahren um dann online zu bestellen.

Werter Kollege,

von Christiane Patzelt am 23.02.2018 um 9:55 Uhr

danke für diese guten Worte! Dieses Vertrauen ist unter anderem einer der Gründe, die die Menschen immer noch in unsere Apotheken laufen lassen! Natürlich sind auch wir in der Bringschuld mit aktueller Beratung und mit einem gepflegten Geschäft. Wir können nicht einfach nur erwarten, wir müssen auch liefern -- von der Beratung über die Vorratshaltung, bis zum Engagement auch unseren Mitarbeitern gegenüber.

Neben der Politik entscheidet ja auch immer der Konsument/Patient/Kunde/Gast, ob wir existenzberechtigt sind, oder nicht....machen wir uns also unverzichtbar, in dem wir mehr leisten als nur Logistik!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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