Arzneimittelversorgung

BfArM-Chef ermahnt Pharmafirmen wegen Brexit-„Hausaufgaben“

Berlin - 15.03.2018, 13:00 Uhr

BfArM-Chef Karl Broich ermahnt die Pharmafirmen beim Brexit ihre Hausaufgaben zu machen. (Foto: BfArM)

BfArM-Chef Karl Broich ermahnt die Pharmafirmen beim Brexit ihre Hausaufgaben zu machen. (Foto: BfArM)


Für die Arzneimittelversorgung ist der Brexit mit erheblichen Risiken verbunden. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) hatte am Dienstag Übergangsfristen für den Gesundheitsbereich gefordert. Doch die Hersteller sollten dringend ihre „Hausaufgaben“ machen, um Patienten nicht zu gefährden, kritisiert BfArM-Chef Karl Broich. Gleichzeitig befassen sich auch das EU-Parlament sowie die EU-Kommission mit dem Thema.

Durch den Ausstieg des Vereinigten Königreichs steht auch der Gesundheitssektor in der EU vor großen Herausforderungen: Bislang arbeiten die Briten hier eng mit den anderen EU-Staaten zusammen, viele Bereiche wie die Zulassung von Arzneimitteln oder die Inspektion von Herstellbetrieben sind harmonisiert. Durch den „Brexit“ verliert nicht nur die Europäische Arzneimittelbehörde EMA ihren Sitz in London und muss nach Amsterdam umziehen – sondern auch bei der Zulassung von Arzneimitteln in der „Rest-EU“ wie auch im zukünftig unabhängigen Vereinigten Königreich kann es Probleme geben.

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Dies gilt beispielsweise Arzneimittel, die nicht zentral in der EU zugelassen wurden – wenn die britische Arzneimittelbehörde federführend zuständig war. Damit die betreffenden Arzneimittel nach dem Brexit weiter in der EU verfügbar sind, muss der Hersteller in einem der dann noch 27 Mitgliedstaaten einen Sitz vorweisen und die Zulassung übertragen. Noch unklarer ist bislang, wie die Zulassungen in Großbritannien zukünftig aussehen werden. Außerdem war die britische Behörde besonders stark in die Abläufe der EMA eingebunden, so dass auf die verbleibenden Zulassungsbehörden einige Arbeit zukommt.

„Der Brexit könnte Auswirkungen auf die Zulassungen von Arzneimitteln haben und so die medizinische Versorgung in Europa gefährden“, warnte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), am Dienstag. „Deshalb ist es so wichtig, dass der Brexit gut organisiert wird“, sagte sie. Die Versorgung der Patienten mit Medikamenten „verträgt keine Unsicherheit“, erklärte Fischer. Sie ist offenbar in Sorge wegen des Austrittstermins Ende März 2019: Übergangsfristen seien „wegen vieler Detailfragen unabdingbar“, hieß es in der vfa-Pressemitteilung.

Recht deutlich erinnerte am Mittwoch der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Karl Broich jedoch die Hersteller an ihre Pflichten – sein auf Twitter veröffentlichtes Statement richtete sich explizit an den vfa. „Auch die pharmazeutische Industrie muss jetzt ihre Hausaufgaben machen“, erklärte der BfArM-Chef. „Die Unternehmen sollten nicht darauf setzen, dass es nach dem Austrittstermin Übergangsfristen gibt, sondern jetzt handeln. Wir wollen auch im Interesse der Patientinnen und Patienten verhindern, dass Unternehmen erst kurz vor dem Austrittstermin aktiv werden, obwohl sie heute schon absehen können, dass sie neue Zulassungen oder ein neues verfahrensführendes Land benötigen“, betonte er.

Das BfArM leiste „als größte europäische Zulassungsbehörde“ einen ganz wesentlichen Beitrag für die bestmögliche Vorbereitung auf den Wegfall der britischen Behörde und auch für die Umzugsphase der EMA“, erklärte Broich. Im Zuge des Brexits will die Bundesbehörde das Personal im Zulassungsbereich um gut 25 Stellen aufstocken.

Arzneimittel auch Thema für EU-Parlament und Kommission

Die Gesundheit der EU-Bürger war auch Thema einer Entschließung des EU-Parlaments „zu dem Rahmen für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich“, der die Abgeordneten am Mittwoch mit großer Mehrheit zustimmten. Die Parlamentarier betonen, dass nicht nur der Brexit sondern auch gleich die zukünftige Zusammenarbeit geregelt werden muss: „Im Rahmen der Einzelheiten des Austritts“ müsse „auch der Rahmen für die künftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur Union“ berücksichtigt werden, heißt es. Das EU-Parlament hebt in seiner Entschließung unter anderem hervor, dass bei der zukünftigen Zusammenarbeit mit Großbritannien „uneingeschränkt“ die EU-Standards beispielsweise in den Bereichen fairer und regelbasierter Wettbewerb, Verbraucherschutz, Gesundheit der Bevölkerung oder gesundheitspolizeiliche Maßnahmen eingehalten werden müssen. Dies sei auch für den zukünftigen Zugang zum EU-Markt Voraussetzung.

Wichtig ist dem Parlament, dass „in Anbetracht der Unwägbarkeiten, die durch den Brexit entstehen“, alle Behörden, Wirtschaftsakteure und vor allem die Bürger gewarnt werden, um sich angemessen auf alle möglichen Szenarien und auch auf einen Austritt ohne Abkommen über die zukünftige Zusammenarbeit vorbereiten zu können. Das Parlament fordert, dass einige Maßnahmen ins Leben gerufen werden, mit denen die maximale Zahl an betroffenen Sektoren und Menschen erreicht wird. An erster Stelle nennt es dabei den fortgesetzten und sicheren Zugang der Patienten zu Human- und Tierarzneimitteln und Medizinprodukten.

EU-Parlament: Angleichung an EU-Standards wäre gut

In den Bereichen Umwelt, Maßnahmen gegen den Klimawandel und öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sei es „die beste Option“, wenn das Vereinigte Königreich seine Rechtsvorschriften „weiterhin voll und ganz an die derzeitigen und künftigen Rechtsvorschriften der EU angleicht“, heißt es im Parlamentsdokument. Andernfalls fordert es Vereinbarungen, „damit in Bezug auf diese Themen eine enge Zusammenarbeit und hohe Standards gewährleistet sind“. Die EMA wird für die Briten erstmal keine Anlaufstelle mehr sein: Die Parlamentarier betonen, „dass jegliche Zusammenarbeit mit den Agenturen der EU“ auf bilateralen Abkommen beruhen muss.

Doch halten sich die EU-Abgeordneten Türen für derartige Vereinbarungen offen. So schreiben sie beispielsweise auch, dass sie es in Bezug auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Innovation „in Erwägung ziehen“, dass das Vereinigte Königreich als Drittland am EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation sowie an den Weltraumprogrammen der EU teilnehmen kann – solange es nicht zu „Nettoübertragungen aus dem Haushalt der EU“ kommt. Gleichzeitig müsse sich Großbritannien damit abfinden, dass ihm „keine Entscheidungsfunktion gestattet ist“.

Die EU-Kommission hatte sich vor zwei Wochen mit dem Brexit befasst. Allgemein sollen Waren, die sich bereits rechtmäßig auf den Märkten befinden, weiterhin verkehrsfähig bleiben. Das Vereinigte Königreich solle „ohne Verzögerung“ die Unterlagen zu laufenden Zulassungsverfahren übertragen, erklärt die Kommission in ihrem Entwurf für ein Brexit-Ausstiegsabkommen. Auch für zurückliegende Zulassungsverfahren solle sie auf Anfrage von Mitgliedstaaten oder der EMA wiederum „ohne Verzögerung“ die Unterlagen für Arzneimittel zur Verfügung stellen, die von Großbritannien im dezentralen Verfahren bearbeitet wurden.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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