Wirkstoffbestimmungen

Gutachter bemängeln Analysen im Zyto-Prozess

Essen - 23.03.2018, 09:15 Uhr

Am Donnerstag ging es beim Bottroper Zyto-Prozess um die die Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Landeszentrum Gesundheit NRW.(Foto: hfd / DAZ.online)

Am Donnerstag ging es beim Bottroper Zyto-Prozess um die die Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Landeszentrum Gesundheit NRW.(Foto: hfd / DAZ.online)


Vor dem Landgericht Essen kritisierten am gestrigen Donnerstag von der Verteidigung beauftragte Sachverständige die Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Landeszentrum Gesundheit NRW. Sie führten Mängel in der Dokumentation auf, die jedoch anschließend teils wieder entkräftet wurden. Ein Pharmakologe stellte außerdem die Zyto-Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken gänzlich in Frage.

Am gestrigen Donnerstag sollte es im Verfahren gegen den Zyto-Apotheker aus Bottrop zum Streit der Gutachter kommen: Analysen des Landeszentrums Gesundheit NRW sowie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatten ergeben, dass dutzende in der Bottroper Zyto-Apotheke sichergestellte Infusionsbeutel teils stark unterdosiert waren. Schon im vergangenen Jahr hatte die Verteidigung die Analysen als unzuverlässig hingestellt und von den Behörden die Unterlagen mit Rohdaten zu den Untersuchungen angefordert. Gestern saßen sich nun die Sachverständigen der Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft gegenüber, um den Streit um die Analytik auszufechten. „Es ist nicht so, dass wir hier irgendwie ein wissenschaftliches Kolloquium oder so haben“, betonte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding eingangs.

Der 67-jährige Pharmakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel hatte im März und August 2017 zwei Kurzgutachten für die Verteidigung geschrieben, außerdem hatte seine gleichfalls als Sachverständige geladene Laborleiterin Martina K. einen Teil der gut 24 Aktenordner mit den Untersuchungsunterlagen durchgearbeitet. Zum Gutachter-Team der Verteidigung stieß später der gleichfalls als Sachverständige geladene Pharmazeut Henning Blume, der von 1983 bis 1997 das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker leitete.

 „Das PEI hat einen exzellenten Ruf“

Zunächst zeigte Sörgel sich als großer Fan von Paul Ehrlich und des gleichnamigen Instituts – die Erstellung der kritischen Stellungnahme sei für ihn „nicht ganz einfach“, erklärte er. „Das PEI hat einen exzellenten Ruf“, betonte er. „Wir können froh sein, dass es in Deutschland so ein Institut gibt.“ Es gebe auch überhaupt keinen Zweifel, dass die gewählten Methoden zur Bestimmung der Wirkstoffgehalte der monoklonalen Antikörper angemessen seien, wie auch, dass die Behörde geeignet sei. „Für diese Fragestellung waren die Methoden absolut adäquat“, betonte Sörgel.

Trotzdem ergibt sich für ihn die Frage, ob die Methoden richtig angewandt und dokumentiert wurden. Die Verteidigung hatte schon mehrfach fehlende Unterlagen bemängelt, was Sörgel nun vor Gericht wiederholte – so beispielsweise zu den Arbeitsanweisungen, den sogenannten Standard Operating Procedures (SOP). Hidding ging die sieben verwendeten Methoden durch, von der Sichtkontrolle bis zur Proteinbestimmung. Wie Sörgel schon in einem der Gutachten geschrieben hat, betrat das PEI mit der Analyse von Infusionsbeuteln – statt der Analytik der eigentlichen Wirkstoffe – „Neuland“.

Experte kritisiert Vorgehensweise des PEI

Bei der Proteinbestimmung bezog sich das Institut auf im Arzneibuch beschriebene Methoden, die auf die zubereiteten Arzneimittel übertragen wurden. Sörgel sah dies kritisch und forderte SOPs – man könne nicht vorgehen, wie wenn man „ein kleines Master-Projekt mache. Das ist die Arbeitsweise, die man anlegen sollte immer dann, wenn es ernst wird“, sagte er. Er argumentierte, dass die Analytik bei Gerichtsprozessen höchsten Standards entsprechen sollte – sonst könne sie „zerlegt“ werden, wie etwa im Mordprozess vor gut 20 Jahren gegen O. J. Simpson, erklärte Sörgel, derr sich auch schon zuvor hierzu geäußert hatte.

Sörgel erklärte, dass er die Gutachten aus Interesse am Fall und zumindest bislang ohne Bezahlung erstellt hat. Erst dadurch sei ihm klar geworden, wie die Zyto-Herstellung in Deutschland läuft. „Vielen Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, war nicht klar, dass in öffentlichen Apotheken in diesem Umfang Zytostatika hergestellt werden“, sagte der Pharmazeut. Seiner Meinung nach gehöre dies in die Hände von Klinikapotheken, wo auf hohem technischen Niveau und mit wirtschaftlich unabhängigem Personal gearbeitet werde. In Zyto-herstellenden Vor-Ort-Apotheken passierten seiner Einschätzung nach „sehr oft“ Fehler, erklärte er auf Frage der Verteidigung – bei landesweiten Untersuchungen „kämen wahrscheinlich schreckliche Ergebnisse raus. Das muss auch eine der Konsequenzen aus diesem Fall sein, dass das beendet wird.“

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Sachverständiger vermisst Unterlagen

Sörgel wollte vor Gericht keine klaren Fehler in den Analysen und Dokumenten der Behörden benennen – auch da sein kleines Team nur gut 10 Prozent der nötigen Unterlagen gesichtet habe, eine abschließende Einschätzung könne er daher nicht geben. „Wir haben Dinge gefunden, wo wir sagen müssen: Das hätten wir anders gemacht“, sagte er. Zu Abläufen von Aufkonzentrierungen, Verdünnungen oder auch die Schulung des Personals hätten keine Dokumente vorgelegen.

Obwohl die Methoden selbst in Ordnung seien, sei eine lückenlose Dokumentation wichtig, da bei jedem Arbeitsschritt Fehler passieren könnten, erklärte der Pharmazeut. „Alles hat einen Einfluss – wenn ich irgendetwas nicht dokumentiere, kann ich am Ende eigentlich nicht sagen, ob das Ergebnis korrekt zustande gekommen ist“, sagte er auf Frage eines Verteidigers.

Seine langjährige Laborleiterin, die promovierte Chemikerin Martina K., bestätigte zunächst in Bezug auf die Untersuchungen des PEI die Ausführungen – für Diskussionen zu den Analysen des Landeszentrums Gesundheit NRW reichte am Donnerstag die Zeit nicht mehr. Für die Beurteilung fehlten sehr viele Unterlagen sagte sie – so die SOPs sowie Informationen zu den eingesetzten Geräten. Sie führte eine Liste von Fehlern in den PEI-Dokumenten auf, die sich von Schreibfehlern über eine falsche Probenbezeichnung bis hin zu falschen Daten oder Werten erstreckte. Es handele sich um Kleinigkeiten, die aber letztendlich zur Systembeurteilung dazugehören“, sagte sie. 

Jeder zweite Fehler schwerwiegend?

Auf bitte von Hidding schätzte K., dass es sich bei gut jedem zweiten Fehler um einen schwerwiegenden handele – insgesamt wiesen die Unstimmigkeiten „ein bisschen auf fehlende Lenkung“ und mangelnde Schulungen hin, erklärte die Chemikerin, die zum ersten Mal als Sachverständige aussagte. „Wenn keine Qualitätskontrolle stattfindet, ist das eine gefährliche Sache. Die ganze Datenlage ist da in Frage gestellt.“ K. musste jedoch einräumen, dass sie sich erst vergangene Woche die 24 Aktenordner vorgenommen hatte und gestern ihren Bericht fertiggestellt habe, der nicht abschließend die Lage beurteilen könne. Ein Nebenklagevertreter sagte, er hätte grundlegende Bedenken an den Analysen erwartet, nicht kleine Fehler.

Bei der Befragung durch die Verteidiger griff Hidding ein – „bevor ich gleich echt sauer werde“, sagte er und bemängelte, dass das Gericht nicht darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass Unterlagen fehlten. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnte der zweite von der Verteidigung geladene Sachverständige Blume nicht aussagen. Er erklärte nur kurz, dass er zunächst überrascht über den Analyseansatz des PEI gewesen sei, ihn später jedoch als sinnvoll erkannte. Allerdings müssten Arzneibuch-Methoden zum Einsatz an zubereiteten Arzneimitteln verifiziert werden, erklärte er.

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Anschließend konnte der Biochemiker Siegfried G., der bis Januar 2017 das PEI-Fachgebiet Immunchemie geleitet hat, viele Vorwürfe entkräften: Fehlende Unterlagen wie SOPs oder Angaben zu den Geräten seien alle vorhanden, aber nicht angefordert worden. Einige von der Laborleiterin bemängelte Stellen in den Unterlagen, bei denen Angaben geschwärzt seien, stellten sich als lediglich nachträglich deutlicher geschrieben heraus. An einer Stelle fehlte bei einer Fehlerkorrektur das Kürzel des Bearbeiters, was K. kritisiert hatte. „Ein Kürzel wäre schöner gewesen“, erklärte der ehemalige PEI-Mitarbeiter – doch dieser formale Fehler sei am Ende irrelevant wie auch die Angabe der Chargenbezeichnungen der eingesetzten Kochsalzbeutel.

„Ich habe den Eindruck, dass das eigentlich keine Fehler sind, die die Qualität unserer Messergebnisse in Frage stellen“, sagte er zu weiteren genannten Mängeln. Auch seien die Proben kontinuierlich überwacht worden – und das Institut habe hochqualifizierte Mitarbeiter mit einem intensiven Schulungsprogramm. Auf Frage eines Nebenklageanwalts zur Aussage der bislang für Bottrop zuständigen Amtsapothekerin Hannelore L., es habe keine Methoden gegeben, um Zyto-Zubereitungen zu überprüfen, bestritt der Sachverständige dies: Die hierfür relevante Proteinbestimmungsmethode gebe es schon seit 20 oder 30 Jahren.

Hidding musste trotz fehlender Befragung der Sachverständigen des Paul-Ehrlich-Instituts die Verhandlung auf den nächsten Termin nach Ostern vertagen. Er gab noch bekannt, dass ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten Peter S. in Auftrag gegeben sei, da die Verteidigung eine Hirnverletzung und die Möglichkeit unbewusster Fehlhandlungen vor Gericht thematisiert hatte.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

„bevor ich gleich echt sauer werde“

von Thomas Brackmann am 23.03.2018 um 12:47 Uhr

Sinnfälliger als am gestrigen Verhandlungstag kann nicht deutlich werden, wie notwendig QM, auch für ein deutsches Gericht, ist. Aber hier scheiden sich offensichtlich die Geister.
Das Gericht hat nun einmal seinem Amtsermittlungsgrundsatz nachzukommen, und anscheinend ist hierbei auch QM-Absicherung von Nöten. Rügt das Gericht stattdessen vielmehr eine fehlende Nachfrage der Verteidigung, so weckt das bei dem Beobachter eher den Verdacht, dass für den Tatbestand ermittelt würde.
Der Sachverständige Prof. Blume hat in seiner informellen Befragung klipp und klar zum Ausdruck gebracht, dass die Lieferung der Rohdaten durch den vom Gericht mit der Begutachtung beauftragten ehemaligen Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts unvollständig war.
Sich also darauf zurückzuziehen, man hätte gefragt werden können, ist sowohl vom Gericht, wie vom Sachverständigen zu kurz gesprungen.
Als der Sachverständige Siegfried G. von der Verteidigung befragt wurde, ob er als Inspektor im Zulassungsverfahren von Arzneimitteln unvollständige Unterlagen der Industrie nicht beanstandet hätte, fiel er dadurch auf, dass er sich erst am Kopf kratzte und dann die Frage bejahte. Er hat, glaube ich, der pharmazeutischen Sache einen Bärendienst erwiesen. Eine Berichterstattung auch darüber vermisse ich.

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