DAZ.online-MiniSerie „Berühmte Apotheker“ (2)

Morphin und Co. – Apotheker als Forscher und Industrielle

Berlin - 11.04.2018, 17:50 Uhr

Apotheker mit Forschergeist: Wilhelm Sertürner isolierte Morphin. (Foto: vrabelpeter1 / stock.adobe.com)

Apotheker mit Forschergeist: Wilhelm Sertürner isolierte Morphin. (Foto: vrabelpeter1 / stock.adobe.com)


Morphin-Isolierung, Backpulver-Entwicklung, Entdeckung chemischer Elemente – all dies sind Beispiele für den Forschergeist einzelner Apotheker. Sie gelangten als Wissenschaftler zu Ruhm und legten als Industrielle den Grundstein für Weltkonzerne: Teil 2 einer Entdeckungsreise durch die Welt „berühmter Apotheker“.

Der Blick in die Geschichte offenbart es: Pharmazie und Chemie waren – und sind – eng miteinander verbunden. So wurden aus dem 16. Jahrhundert erste wissenschaftliche Beiträge von Apothekern überliefert und zwar auf dem Gebiet der Chemie. Apotheken glichen im Laufe des Mittelalters und der Renaissance immer mehr Laboratorien, der Apotheker „wandelte“ sich zum Chemiker. So wurde Entwicklung der Chemie letztlich auch von Pharmazeuten vorangetrieben. Sie leisteten mit ihren Entdeckungen außerdem einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Medizin und Naturwissenschaften.

Friedrich Wilhelm Sertürner – Apotheker und Forscher

Wie lassen sich Wirkungen von Arzneipflanzen erklären? Diese Frage trieb im 18. und 19. Jahrhundert viele forschende Apotheker um. Einer von ihnen war Friedrich Wilhelm Sertürner (1783-1841). Sertürner, Sohn eines Landvermessers, wuchs in Neuhaus bei Paderborn auf. Sein Vater, der früh verstarb, förderte seine Schulausbildung, was in der damaligen Zeit aufgrund der eher einfachen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, nicht selbstverständlich war. In dieser Zeit entdeckte Sertürner bereits sein Interesse für die Naturwissenschaften.

F.W. Sertüner (Foto: dpa)

Im Alter von 16 Jahren begann er seine Apothekerlehre beim Hofapotheker Franz Anton Cramer in Paderborn. Während seiner vierjährigen Ausbildung und in den darauffolgenden zwei Jahren, dann bereits als Apothekergehilfe, widmet sich Sertürner ersten chemischen Experimenten. Im Laboratorium seiner Ausbildungsapotheke versuchte er, die Inhaltsstoffe des Opiums zu isolieren. Die Frage war: Was erklärt die Wirkung von Opium? Und wie kann die Wirkung zuverlässig gesteuert werden? Opium war eines der meistgenutzten Arzneimittel jener Zeit und nur schwer zu dosieren. Seine Anwendung war somit nicht ungefährlich. Sertürner vermutete, dass im Opium ein Wirkstoff in unterschiedlich konzentrierter Form enthalten sein müsse, der für die schmerzstillende Wirkung verantwortlich sei.  

Entdeckung des Morphins – und der Klasse der Alkaloide

Sertürners Entdeckung war ein Meilenstein. Das von ihm gefundene Morphin begründete den Anfang der Alkaloid-Chemie. Ihm war es gelungen, einen bisher noch unbekannten Pflanzeninhaltsstoff zu isolieren. Dies ermöglichte seine zielgerichtete Verabreichung. Es dauerte jedoch mehr als ein Jahrzehnt, bis sich Sertürners Forschungsergebnisse durchgesetzt hatten und angemessen wissenschaftlich beachtet wurden. Zwischenzeitlich nach Einbeck verzogen, nahm Sertürner seine Arbeiten über das Morphin wieder auf. In nicht ganz ungefährlichen Selbstversuchen, zusammen mit drei weiteren Probanden, ermittelte er die Wirkungen der isolierten Substanz. Den Durchbruch zur Anerkennung seiner Forschung erzielte Sertürner mit dem Aufsatz „Über das Morphium”, der 1817 erschien. Erstmals wurde darin die Wirksubstanz des Opiums benannt: Morphin – damals als Morphium bezeichnet. 

Martin Heinrich Klaproth – Apotheker und Chemiker 

Martin Heinrich Klaproth (1743-1817) war ein bedeutender Chemiker seiner Zeit. Geboren in Wernigerode, wuchs Klaproth in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach dem Besuch der Oberschule trat er 1759 seine fünfjährige Ausbildung zum Apothekergesellen in der Rats-Apotheke in Quedlinburg an. Verschiedene Stationen – nun schon als Geselle – folgten in Apotheken in Hannover, Danzig und Berlin. 1780 kaufte er die Bären-Apotheke in Berlin, die ihm bis 1800 gehörte. Im selben Jahr folgte die Anstellung als „besoldeter ordentlicher Chemiker“ an der Berliner Akademie der Wissenschaften. 

Klaproth war ein genialer Analytiker, der Spekulationen und Hypothesen ablehnte.  Stattdessen arbeitete er als einer der ersten Chemiker methodisch quantitativ exakt und kam somit den heutigen Vorstellungen von wissenschaftlichem Arbeiten sehr nah. Die genaue Gewichtsanalyse wurde durch ihn begründet und sieben neue chemische Elemente entdeckt – unter anderem Zirkon, Uran, Titan und Strontium. Zudem war er Verfasser der ersten nach wissenschaftlichen Grundsätzen gestalteten preußischen Pharmakopöe und Mitgestalter der Revidierten Apotheker-Ordnung von 1801.

Heinrich Emanuel Merck – vom Apotheker zum Industriellen

Heinrich Emanuel Merck (1794-1855), Sohn des Apothekers Johann Anton Merck, wuchs in Darmstadt auf und trat im Winter 1809/1810 als Apothekenlehrling in die der Familie gehörende Engel-Apotheke ein. Eine fundierte pharmazeutische Ausbildung erhielt er zudem ab April 1810 im chemisch-pharmazeutischen Ausbildungsinstitut von J. B. Trommsdorff in Erfurt. Nach zwei Jahren in Erfurt arbeitete Merck in unterschiedlichen Apotheken in Eisenach, Frankfurt/Main und Straßburg. Anschließend studierte er in Berlin und Wien Pharmazie. Ab 1816 übernahm er dann die Engel-Apotheke, die sich seit Generationen im Familienbesitz befand.

Heinrich Emanuel Merck führte eine über Generationen bestehende Apothekertradition fort und wagte gleichzeitig den Übergang zur industriellen Produktion von Arzneimitteln. Grund dafür war, dass die von ihm im eigenen Apothekenlaboratorium isolierten Alkaloide und Alkaloidsalze in solch großen Mengen von anderen Apothekern, Chemikern und Ärzten nachgefragt wurden, dass der Platz zur Produktion bald nicht mehr ausreichte. So wurde 1840 die Produktion aus der Apotheke ausgelagert und Heinrich Emanuel Merck wurde zum ersten Industriellen der Familie Merck. 2018 feiert der weltweit vertretene Chemie- und Pharmakonzern Merck KGaA sein 350-jähriges Bestehen – dank des Apothekenprivilegs für die Engel-Apotheke aus dem Jahre 1688.

Oetker und Nestlé – Nahrungsmittelkonzerne mit Apothekenwurzeln

Apotheker können nicht nur hervorragende Chemiker und Pharmazeuten sein, sie können auch über den Tellerrand schauen und zum Beispiel ihre vielfältigen Kenntnisse zur Weiterentwicklung der Nahrungsmittelproduktion einsetzen.  Ein Beispiel ist die Gründungsgeschichte der Dr. August Oetker KG, einem der größten deutschen Familienkonzerne. Gründungsvater ist der Apotheker Dr. August Oetker (1862-1918), der 1891 die Aschoff´sche Apotheke in Bielefeld übernahm. Oetker war ein sehr findiger Mann. Er kam auf die Idee das bereits in Amerika patentierte „baking powder“ weiterzuentwickeln und für den heimischen Gebrauch besser nutzbar zu machen. In kleinen zu 10 Pfennig erhältlichen Tütchen verkaufte er von nun an das optimierte Pulver an die Hausfrau – und die war begeistert. 

(Foto: Imago)

Unterstützt wurde der Erfolg durch neuartige Werbe- und Verkaufsmethoden: „Ein heller Kopf verwendet nur Dr. Oetkers Fabrikate“, warb Oetker 1899. Genial war die Idee, den Backpulvertütchen Rezepte beizugeben oder kostenlos Kochbücher mit Oetker-Rezepten zu verteilen. Die Produktpalette stieg stetig und das erste Oetker-Firmengebäude wurde im Jahre 1900 in Bielefeld erbaut. Der Erfolg des Oetker-Familienunternehmens war nicht mehr aufzuhalten. Ganze Generationen verbinden von nun an „Backen“  (und noch viel mehr) mit dem Namen Oetker.  

Die meisten von uns werden allerdings mit dem Namen „Kindermehl“ nicht den Weltkonzern Nestlé verbinden. Die Geschichte der Firma Nestlé begann mit diesem zur Herstellung von Säuglingsnahrung entwickelten Pulver. Apotheker Henri Nestlé (1814-1890) rettete mit dieser Entwicklung vielen Säuglingen, die nicht gestillt werden konnten, das Leben. Henri Nestlé wurde 1814 als Heinrich Nestle in Frankfurt am Main geboren. Nach seiner Ausbildung zum Apothekergehilfen ging er für mehrere Jahre auf Wanderschaft und landete schließlich in der französischsprachige Schweiz. Eine eigene Apotheke konnte er zeitlebens nicht eröffnen, stattdessen stellte er in einer mit mehreren Maschinen ausgestatteten Gewerbeliegenschaft  Alkoholika, Öle, Mineralwasser und Limonaden her. 

DAZ.online-Miniserie „Berühmte Apotheker“ (1)

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DAZ.online-MiniSerie „Berühmte Apotheker“ (2)

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Theodor Fontane und Co. – Apotheker in Kunst und Kultur

Den größten Erfolg erzielte er allerdings 1867 mit der Entwicklung der Säuglingsnahrung „Henri Nestlé Kindermehl“. Von nun an wurde in seinem Werk ausschließlich das Kindermehl hergestellt – der Startschuss für den Nestlé-Konzern war gefallen. Vom Nestlé-Kindermehl wurden schon innerhalb der ersten sieben Jahre 1,6 Millionen Dosen in 18 Ländern weltweit verkauft. 1874 veräußerte Henri Nestlé zwar seine Firma an den Mehllieferanten Pierre Sanual Roussy, dieser entschied jedoch die Verbundenheit mit dem Namen „Nestlé“ aufrechtzuerhalten und für die Vermarktung der Produkte weiterhin zu nutzen.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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