Anreize der Pharmaindustrie

US-Studie: Zahlungen an Ärzte beeinflussen Verordnungsverhalten

Remagen - 17.04.2018, 14:15 Uhr

Dass die Pharmaindustrie versucht, das Verordnungsverhalten von Ärzten zu beeinflussen, ist kein Geheimnis. Eine US-Studie hat nun aber belegt, dass die Maßnahmen der Industrie wirken. (Foto: Imago)

Dass die Pharmaindustrie versucht, das Verordnungsverhalten von Ärzten zu beeinflussen, ist kein Geheimnis. Eine US-Studie hat nun aber belegt, dass die Maßnahmen der Industrie wirken. (Foto: Imago)


Ärzte, die von Pharmaunternehmen Geld für Mahlzeiten, Vorträge und Reisen bekommen, verschreiben nachher eher die Arzneimittel dieser Firmen. Das haben Wissenschaftler vom Lineberger Comprehensive Cancer Center der Universität von North Carolina am Beispiel der Therapie von zwei Krebsarten fest gemacht.  

Ärzte und Lehrkrankenhäuser in den USA bekommen jährlich Zuwendungen in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar von der pharmazeutischen Industrie. Die Zahlungen werden mit der Verschreibung hochpreisiger Originalarzneimittel in Verbindung gebracht. Wegen der starken Wettbewerbsintensität und der hohen Preise der eingesetzten Arzneimittel könnte die Onkologie ein ideales Spielfeld sein, um solche Zusammenhänge einmal unter die Lupe zu nehmen, meinten die Wissenschaftler Aaron Mitchell und seine Teamkollegen von der Universität in North-Carolina, USA.

Die Ergebnisse ihrer Studie waren schon bei der letztjährigen Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology vorgestellt worden und wurden jetzt im JAMA Internal Medicine veröffentlicht.

Jeweils drei Wirkstoffe zur Auswahl

Für die Untersuchung betrachteten die Forscher die Verordnungen von Onkologen aus dem Jahr 2014 für Medicare-Patienten mit zwei Krebsarten, für die es mehrere patentierte Behandlungsoptionen gibt: Verschreibungen von 354 Ärzten gegen das metastasierte Nierenzellkarzinom (Sunitinib, Sorafenib und Pazopanib) und von 2225 Ärzten gegen die chronische myeloische Leukämie (Imatinib, Dasatinib und Nilotinib). Diese setzten sie dann in Beziehung zu etwaigen an die Ärzte geflossenen Zuwendungen.

„Open Payments” legt Zahlungen offen

Wegen der Zahlungen durch die Pharmaunternehmen konsultierten sie öffentlich zugängliche Daten aus 2013 und 2014 in dem Portal „Open Payments”. Nach dem Patient Protection and Affordable Care Act (Obamacare) müssen die Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten hierüber alle Zahlungen an Ärzte und Lehrkrankenhäuser offenlegen, die zehn US-Dollar übersteigen. Sie teilten die Industrie-Zahlungen in zwei Kategorien ein: Zuwendungen für die Forschung und „allgemeine Zuwendungen“, etwa für Mahlzeiten, Reisen, Unterkunft, Vorträge, Beratung, und analysierten etwaige Verbindungen getrennt für beide Arten. 

Im nächsten Jahr das Arzneimittel des Geldgebers verordnet

Im Vergleich zu den Onkologen, die kein Geld bekommen haben, wiesen diejenigen, die von einem Arzneimittel-Hersteller allgemeine Zahlungen angenommen hatten, höhere Wahrscheinlichkeiten auf, die Präparate der jeweiligen Unternehmen zu verschreiben. Im Falle des metastasierten Nierenzellkarzinoms war die Wahrscheinlichkeit bei den Ärzten die 2013, also im Jahr vor der Verordnung, irgendeine allgemeine Zahlung bekommen hatten (89 von 354 Ärzten), doppelt so hoch. Für die chronisch-myeloische Leukämie (879 von 2225 Ärzte mit allgemeinen Zahlungen) lag sie um 29 Prozent höher, dass sie das Arzneimittel des Geldgebers rezeptierten. Bei den Zuwendungen, die nur für klinische Studien geflossen waren, fanden die Wissenschaftler fanden keinen so konsistenten Zusammenhang. „Die Haupt-Botschaft ist, dass Onkologen, die von einer Pharmafirma Geld bekommen haben, im darauffolgenden Jahr eher dazu neigten, das Arzneimittel dieser Firma zu verschreiben“, resümiert der Leitautor der Studie Aaron Mitchell.  

Verordnungsverhalten „umswitchen“

Die Analyse der Daten bezogen auf einzelne Wirkstoffe förderte noch ein weiteres interessantes Phänomen zutage: Für alle konnte eine Assoziation zwischen den Zuwendungen und dem ansteigenden Verordnungsanteil des jeweiligen Medikaments einer Firma im folgenden Jahr gezeigt werden, nur nicht für Imatinib. Hier fanden die Forscher eine statistisch signifikante Abnahme der Verwendung gegen Leukämie, wenn die Ärzte Zahlungen erhielten. Wie könnte das zu erklären sein? Der Hersteller, von dem das Geld gekommen war, hatte sowohl Imatinib als auch Nilotinib im Programm. Da der Patentschutz für Imatinib in absehbarer Zeit auslaufen sollte, interpretieren die Autoren diesen Befund dahingehend, dass das Unternehmen das Verordnungsverhalten der Ärzte mit den Zahlungen von Imatinib auf das neuere Nilotinib „umswitchen“ wollte. Bewiesen sei dieses „Ursache und Wirkung”-Prinzip damit aber gleichwohl noch nicht, geben die Wissenschaftler einschränkend zu bedenken.  

Nur teilweise Transparenz in Deutschland

In Deutschland wurde 2015 die Initiative „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ (FSA) mit dem „Transparenzkodex“ angestoßen. Hiernach verpflichten sich derzeit 56 Pharmafirmen, neben den Gesamtsummen jeweils eine Liste mit den Namen einzelner Ärzte und den an sie gezahlten Zuwendungen zu veröffentlichen. Namentlich dürfen diese aber nur genannt werden, wenn sie dem zugestimmt haben. Nach Schätzung des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) und der FSA umfassen die Leistungen von Unternehmen an Ärzte sowie Angehörige der Fachkreise und Institutionen der Medizin im Jahr 2016 ca. 562 Mio. Euro. Davon entfielen ca. 356 Mio. Euro auf die Zusammenarbeit im Bereich Forschung, 105 Mio. Euro auf den Bereich Fortbildung und Vorträge und ca. 101 Mio. Euro auf die Unterstützung von Veranstaltungen und Institutionen.

Durch das Antikorruptionsgesetz gilt seit dem Sommer 2016 eine ähnliche Regelung. Laut dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen ist der Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen für Heilberufe nun im Strafgesetzbuch verankert. Das Recherchenetzwerk Correctiv hatte im vergangenen Jahr zudem eine Datenbank veröffentlicht, in der ersichtlich wird, wie viel die einzelnen Ärzte von Pharmaunternehmen kassiert haben.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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