ABDA-Digitalexperte Peter Froese

Werden die Apotheken digital abgeschafft?

Berlin - 19.04.2018, 14:15 Uhr

Peter Froese, Verbandschef in Schleswig-Holstein und Mitglied der ABDA-AG für die Digitalisierung, geht seit Jahren der Frage nach, welche Gefahren und Chancen die Digitalisierung für die Apoitheke mit sich bringt. (Foto: tmb)

Peter Froese, Verbandschef in Schleswig-Holstein und Mitglied der ABDA-AG für die Digitalisierung, geht seit Jahren der Frage nach, welche Gefahren und Chancen die Digitalisierung für die Apoitheke mit sich bringt. (Foto: tmb)


Arzneimittel-Bestellungen übers Internet, Medikationsberatung per Video-Chat und das E-Rezept via E-Mail. Braucht es die Apotheker da überhaupt noch? Dieser brutalen aber gleichzeitig realistischen Frage geht Peter Froese, Chef des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, seit Jahren nach. In einer Rede am gestrigen Mittwoch in Hannover zu dem Thema hatte Froese in der Tat einige schlechte Nachrichten für Apotheker – aber auch einige Gründe, Mut zu fassen.

So richtig „digital“ wirkt Peter Froese, Apotheker aus dem schleswig-holsteinischen Schacht-Audorf, eigentlich nicht, wenn man ihn sieht: Er trägt keine 2000-Euro-Brille mit riesigen Gläsern, fummelt nicht dauernd an drei verschiedenen Handys herum und benutzt auffällig wenige Anglizismen. Und doch ist Froese so etwas wie der „Digital-Gott“ in der Standesvertretung der Apotheker. Nicht nur, weil der Pharmazeut Mitglied der Arbeitsgruppe „Digitalisierung“ bei der ABDA ist. Man merkt auch, dass Froese etwas von dem Thema versteht, wenn man ihm zuhört: Auf der gestrigen Versammlung der Apothekerkammer Niedersachsen hielt der Verbandschef aus Schleswig-Holstein einen beeindruckend ehrlichen Vortrag darüber, welche Gefahren aber auch welche Chancen die Digitalisierung im Arzneimittelvertrieb für die Apotheker mit sich bringt.

Digitalisierung

Thema: E-Health

Digitalisierung

Froese machte eine teilweise erschreckende Bestandsaufnahme. Seit Jahren gehe er der Grundfrage nach: „Werden wir digital abgeschafft?“ Um Antworten darauf zu finden, sei es zunächst nötig gewesen, die Funktionen des Apothekers grob einzuteilen, um dann zu analysieren, welche dieser Fähigkeiten und Tätigkeiten durch digitale Lösungen verdrängt werden könnten: „Wir sind Berater, Versorger, Sichersteller und Hersteller. Welche dieser Tätigkeiten könnten durch künstliche Intelligenzen übernommen werden?“

„Ich habe schlechte Nachrichten für Sie!"

Beim Blick auf die nächste Folie seiner Präsentation, stockte vielen niedersächsischen Kammermitgliedern der Atem. In einer Tabelle waren mehrere apothekerliche Tätigkeiten und Schritte in der Arzneimittel-Lieferkette aufgeführt – neben der Tätigkeit stand stets, wie hoch Froese und seine Kollegen in der AG Digitalisierung bei der ABDA den Digitalisierungsgrad einschätzten. Noch bevor Froese einzeln auf die Positionen eingehen konnte, warnte er die Kollegen vor: „Ich habe jetzt schlechte Nachrichten für Sie! Systeme sind in vielen Bereichen besser als Menschen, sie lernen schneller aus Fehlern.“

Da wäre zunächst die Arzneimittel-Auswahl. Digitalisierungsgrad laut Froese: 90 Prozent. Oder der Punkt „Zuwendung“. Auch hier gibt es laut Froese „kein gutes Ergebnis“, nämlich 50 Prozent. Schließlich könnten durch Chats oder andere Telekommunikationsmöglichkeiten Kontakte zu den Patienten aufgebaut werden. Gleiches gilt für die fachliche Informationsweitergabe über Arzneimittel. „Maschinen können verdammt viel Wissen speichern und weitergeben, da bin ich als ‚kleiner Mensch‘ irgendwann unterlegen“, so Froese. Bei der Abrechnung mit den Krankenkassen kommen Froese und seine ABDA-Kollegen sogar auf den Wert: Zu 100 Prozent digitalisierbar. Lediglich beim Punkt „Verantwortung“ steht da eine „0“ in der Tabelle. Das Fazit des Verbandschefs: „Bis auf den Bereich der persönlichen Kommunikation und der Verantwortung würde uns nicht viel bleiben.“

Bei den Kassen könnte man 90 Prozent digitalisieren

Allerdings sei der Apothekerberuf nichts als einziger betroffen. Auch bei den Krankenkassen habe er „viele Ideen“, welche Prozesse man digitalisieren könne. Insgesamt ließen sich hier 90 Prozent der Abläufe entpersonalisieren. Und auch bei den Ärzten sähe es laut Froeses Tabelle nicht viel besser aus.

Bei der Kammerversammlung blickte der Digitalisierungsexperte der ABDA spätestens jetzt in leere Gesichter.  Auch Froese fragte sich auf seiner nächsten Folie: „Und nun? Schließen wir uns jetzt dem Konzert der lautstarken Konzerne an, wie Apple und Google?“ Nein, das könne es aus Sicht der Apotheker nicht geben. Um seine Kollegen wieder aufzubauen, folgte nun die Darstellung der Tätigkeiten, die die Standesvertretung der Apotheker unternimmt, um Schritt zu halten. Seine These: „Wir müssen selbst ein sicheres Netz bauen!“

Froese: Sicheres Netz statt Einzellösungen

Um dieses „sichere Netz“ zu bauen, sei es unerlässlich, die Telematikinfrastruktur – an der die gematik, in der die Apotheker neben anderen Akteuren des Gesundheitswesens sitzen – zu forcieren. Froese sprach sich vehement für zentrale Lösungen, also die einheitliche Patientenakte und die einheitliche elektronische Gesundheitskarte aus. Seine Begründung: „Wenn Sie der Meinung sind, dass Gesundheitsdaten niemanden etwas angehen, dann gibt es keine andere Lösung. Es gibt nichts Sichereres als die Chip-Lösung der eGK.“

Außerdem müsse die Standesvertretung dafür sorgen, dass die digitale Kommunikation zwischen den Heilberuflern auf Basis der Telematikinfrastruktur vorankommt. Auch über das E-Rezept sprach Froese, das er nur „E-Verordnung“ nennt, weil die digitale Anwendung schließlich nicht nur für Arzneimittel-Verordnungen gelten werde. Hier sei es die Prämisse der Apotheker, kein „komplett neues Verordnungssystem“ zu erschaffen. Vielmehr müsse es darum gehen, zunächst die Papierform zu digitalisieren. Sehr wichtig sei für die Apotheker auch: „E-Verordnungen dürfen nicht zur Marke werden. Sie dürfen kein handelbares Gut werden.“

...sonst übernehmen die Freaks

Schließlich warnte der Digital-Experte seine Kollegen davor, was passieren könnte, wenn man den eingeschlagenen Kurs der Telematikinfrastruktur nicht weiterverfolge. Dann drohe nämlich die „Version für die Freaks“. Froese erklärte: „Das wäre dann ein vollständig automatisiertes und digitalisiertes Verordnungs- und Versorgungssystem, in dem digitale Agenten Patienten beraten.“ Denn die Nachricht dieser „Freaks“ sei attraktiv: „Wir machen das alles digital in einer Kette, das spart Geld, Zeit und kann mehr.“ Und so schloss Froese seinen Vortrag ebenso ehrlich, wie er ihn begonnen hatte: „Das mögen wir zwar alles gar nicht hören, es sind aber alles reelle Fantasien, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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