Herzinsuffizienz

Schützt Entresto die Nieren?

Stuttgart - 20.04.2018, 12:15 Uhr

Kontroverse Effekte bei Herzinsuffizienz: Sacubitril/Valsartan verbessert die Nierenfunktion, erhöht aber die Proteinurie – vor allem bei Diabetikern. (Foto: hywards / stock.adobe.com)

Kontroverse Effekte bei Herzinsuffizienz: Sacubitril/Valsartan verbessert die Nierenfunktion, erhöht aber die Proteinurie – vor allem bei Diabetikern. (Foto: hywards / stock.adobe.com)


Patienten mit Herzinsuffizienz profitieren hinsichtlich ihrer Nierenfunktion von der Therapie mit Entresto® – obwohl deren Proteinurie groteskerweise zunimmt. Der Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) verzögerte in der Paradigm-HF-Studie den Abfall der glomerulären Filtrationsrate stärker als Enalapril. Vor allem Diabetikern scheint die Sacubitril-Valsartan-Kombi: cGMP spielt wohl eine entscheidende Rolle.

Herzinsuffizienzpatienten haben hinsichtlich ihrer Nierenfunktion eine schlechtere Prognose als die Normalbevölkerung: Die Nierenfunktion nimmt bei Patienten mit Herzinsuffizienz doppelt so schnell ab. Darüber hinaus verschlechtern viele Arzneimittel – Diuretika, ACE-Hemmer, Mineralcorticoidrezeptor-Antagonisten – die Nierenfunktion und beschleunigen die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) bei Patienten mit Herzinsuffizienz, vor allem, wenn gleichzeitig Diabetes vorliegt.

 Entresto® vs. Enalapril: GFR verschlechtert sich langsamer

Eine Behandlung mit Entresto® reduziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz den Abfall der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) – und das in stärkerem Maß als eine vergleichbare Behandlung mit Enalapril. Insbesondere Diabetiker scheinen von dem ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor) aus Sacubitril und Valsartan zu profitieren. Das zeigen neue Daten, die  im Rahmen eines 44-Monate-langen Follow-ups der großen, von Novartis finanzierten, Paradigm-HF-Studie  erhoben wurden. Diese veröffentlichte das renommierte Journal Lancet Diabetes & Endocrinology im April 2018. Die GFR als Maß für die Funktionsleistung der Nieren bestimmten die Studienautoren über die Serumkreatininkonzentration.

Von den 8399 Patienten litten 3748 an einem Typ-2-Diabetes-mellitus (HbA1c > 6,5 innerhalb der letzten zwölf Monate), die restlichen 4615 Patienten waren hinsichtlich diabetischer Stoffwechselstörungen unauffällig. Die Patienten wurden in je zwei Gruppen geteilt, wobei ein Patientenkollektiv zweimal täglich Entresto® (Sacubitril/Valsartan 97 mg/103 mg) erhielt, das andere zweimal täglich 10 mg Enalapril. Diese beiden Therapieschemata betrachtet die Studie in Bezug auf die Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems als gleichwertig.

GFR verschlechtert sich bei Diabetikern doppelt so stark

Unabhängig von der Art der Medikation – Sacubitril/Valsartan oder Enalapril – verschlechterte sich bei den Diabetikern die eGFR jährlich fast doppelt so stark: -2,0 ml/min (Diabetiker) vs. -1,1 ml/min (Nicht-Diabetiker). Die Patienten mit Diabetes mellitus unterschieden sich zu Beginn der Datenerhebung von den Nichtdiabetikern: Im Mittel waren die Diabetiker älter. Systolischer Blutdruck, Herzfrequenz, Serumkreatinin und BMI lagen höher als bei den Nicht-Diabetikern. Außerdem wiesen mehr diabetische Patienten Hypertonie, Myokardinfarkte oder einen Krankenhausaufenthalt aufgrund ihrer Herzinsuffizienz in der Anamnese auf. Diese anfänglichen Unterschiede sind laut Studienautoren jedoch nicht verantwortlich für den stärkeren Abfall der GFR bei Diabetikern in der Studie. Denn: Auch nach Angleichung dieser unterschiedlichen Ausgangswerte blieb die rapidere Verschlechterung der Nierenfunktion bei den Diabetikern augenscheinlich.

Besonders Diabetiker profitieren von Sacubitril/Valsarten

Differenziert man die eGFR nach Entresto®- und Enalapril-Therapie, so verschlechterte sich bei den Diabetikern die eGFR unter Entresto® um -1,7 ml/min, stärker jedoch unter Enalapril, und zwar um -2,3 ml/min (jeweils bezogen auf die Körperoberfläche 1,73 m2). Dieser Effekt zeigte sich auch im Kollektiv der Nicht-Diabetiker, allerdings nicht so ausgeprägt. Unter Sacubitril/Valsartan reduzierte sich die Nierenfunktion gemessen an der eGFR um -1 ml/min, unter Enalapril um -1,3 ml/min. Somit verzögert die Neprilysin-Inhibition die jährliche Verschlechterung der Nierenfunktion diabetischer Herzinsuffizienzpatienten um 0,6 ml/min – dieser Nutzen ist laut Studienautoren größer als er durch neuere antidiabetische Arzneimittel wie Glucagon-like-Peptide-1-Agonisten oder Dipeptidylpeptidase-Inhibitoren erzielt wird, wenn Typ-2-Diabetiker mit kardiovaskulären Erkrankungen diese Antidiabetika über einen vergleichbaren Zeitraum einnehmen.

Sacubitril

Sacubitril blockiert das Enzym Neprilysin, das für den Abbau von natriuretischen Peptiden (ANP und BNP) verantwortlich ist. ANP und BNP stellen Gegenspieler zum vasokonstriktorisch wirkenden Angiotensin II dar. Unter anderem senken sie das Plasmavolumen durch eine erhöhte Diurese und Natriurese. Blockiert man das abbauende Enzym, führen erhöhte ANP- und BNP-Spiegel zu einer Senkung der Vor- und Nachlast sowie zu einer Steigerung des Herzzeitvolumens. Sacubitril wird als fixe Kombination mit Valsartan bei symptomatischer, chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion eingesetzt. Handelsname: Entresto® 

Bessert Sacubitril die Nierenfunktion, weil die Herzinsuffizienz sich bessert?

Der positive Effekt der Sacubitril/Valsartan-Kombination auf die Nierenfunktion lässt sich laut Lancet nicht durch den positiven Effekt von Entresto® auf die klinische Entwicklung der Herzinsuffizienz erklären. In früheren Auswertungen der Paradigm-HF-Studie profitierten Diabetiker hinsichtlich kardiovaskulärem Tod und Krankenhausaufenthalt aufgrund von Herzversagen nicht stärker als Nicht-Diabetiker von einer Therapie mit dem ARNI.

Überraschend ist, dass die günstigen Effekte auf die Nierenfunktion durch Neprilysin-Hemmung via Sacubitril bei Diabetikern signifikant größer sind als bei Nicht-Diabetikern, obwohl beide Gruppen ähnliche Abnahmen beim NT-proBNP zeigen. Die Abnahme der NT-proBNP-Spiegel resultiert aus der ARNI-Behandlung. NT-proBNP steht für N-terminales-pro-BNP. Dehnungsreize aufgrund von Volumenbelastungen des Ventrikels führen dazu, dass proBNP in die Blutbahn ausgeschüttet wird. Aus proBNP entsteht aktives BNP und sein N-Terminales Fragment NT-proBNP – letzteres kann mit hoher Genauigkeit gemessen werden und ist bei Diagnose und Verlaufskontrolle einer Herzinsuffizienz äußerst wertvoll.

Ein hoher Wert von NT-proBNP korreliert mit dem Vorhandensein einer Herzinsuffizienz und hat einen negativ prädiktiven Charakter. Bei den Werten BNP und NZ-proBNP unter Sacubitril-Therapie ist zu bedenken, dass lediglich BNP ein Substrat von Neprilysin ist und durch Neprilysin-Hemmung steigt. Somit fällt bei Neprilysin-Inhibition nur das NT-proBNP ab, nicht aber das BNP.

Besserer HbA1C erklärt Verbesserung der Nierenfunktion nicht

Auch konnte der positive Effekt auf die glomeruläre Funktion der Diabetes-Subgruppe nicht auf eine durch Neprilysinhemmung bedingte HbA1C-Absenkung zurückgeführt werden und eine bessere Einstellung des Diabetes. Denn der Unterschied der glykämischen Kontrolle war zu klein und das Follow-up zu kurz, um Veränderungen der Nierenfunktion auf die Absenkung des Glucosespiegels zurückzuführen. Der HbA1C verbesserte sich unter Sacubitril/Valsartan von 7,4 Prozent auf 7,1 Prozent nach zwölf Monaten, unter Enalapril von 7,5 Prozent auf 7,3 Prozent.

Warum profitieren vor allem herzinsuffiziente Diabetiker hinsichtlich der Nierenfunktion?

Eine Idee könnte sein, dass der nephroprotektive Effekt auf die Neprilysinhemmung zurückzuführen ist, die bei Patienten unter Entresto® erzielt wird. Allerdings nahmen auch bei Enalapril Patienten BNP und cGMP zu. Für die Auswertung hinsichtlich der Effekte von cGMP auf die GFR haben die Studienautoren 1629 herangezogen.

Die Progression einer diabetischen Nephropathie ist Folge einer Hyperfiltration. Ein resultierender glomerulärer Hochdruck wird zurückgeführt auf eine Dysbalance zwischen dem Tonus der afferenten (zuführend) und der efferenten (abführend) Arteriole. Zur Erinnerung: Eine Tonuszunahme der Vasa afferentia senkt den Filtrationsdruck, eine Kontraktion der Vasa efferentia steigert diesen. Eine Intervention, die afferent zur Vasokonstriktion führt und efferent zur Vasodilatation, senkt folglich den intraglomerulären Druck und könnte so die Nierenschädigung verzögern. Jedoch: Ist die efferente Arteriole bereits durch den Einsatz eines RAS-Hemmers dilatiert, würde man als Sacubitril-Effekt mit Erhöhung natriuretischer Peptide erwarten, dass diese zusätzlich nur noch die afferente Arteriole dilatieren – was zu einer weiteren Druckerhöhung im Glomerulus beiträgt. Somit würde man eine intraglomeruläre Druckerhöhung durch natriuretische Peptide eher mit negativen Effekten auf die Nierenerkrankungen assoziieren, insbesondere bei Diabetikern. Allerdings: Das Gegenteil ist der Fall.

Intraglomerulärer Druck erklärt gesteigerte Proteinurie

Jedoch könnte die intraglomeruläre Druckerhöhung erklären, warum es nach Sacubitril/Valsartan zu einer verstärken Albuminurie kommt – denn das beobachteten die Studienautoren: Die Albuminkonzentration im Urin stieg im Beobachtungszeitraum unter Sacubitril/Valsartan von 1,7 auf 2,2 (Verhältnis Urin-Albumin/Creatinin).

Bei Herzinsuffizienzpatienten sind renale Neprilysin-Level hochreguliert. Diabetes mellitus erhöht zusätzlich die Aktivität von Neprilysin, was zu einer Nephropathie beitragen kann. Diabetiker erfahren eine abnormal hohe Natrium-Reabsorption im proximalen Tubulus der Niere. Über das tubuloglomeruläre Feedback wird die afferente Arteriole dilatiert und so der intraglomeruläre Druck erhöht. Diese proximal stattfindende Hyperreabsorption soll die primäre Fehlsteuerung einer diabetischen Nephropathie sein, weil sie die glomeruläre Dynamik negativ triggert, die die Nieren weiter schädigt.

Ist cGMP für die positiven Niereneffekte verantwortlich?

Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass cGMP diese proximale Hyperreabsorption verzögern kann, indem es den glomerulären Druck erniedrigt und so den Verlauf der diabetischen Nephropathie verbessert. In der Studie erhöhten sich unter Neprilysinhemmung die cGMP-Spiegel im Urin sowohl bei Diabetikern (87 ng/l auf 126 ng/l) als auch bei Nicht-Diabetikern (89 ng/l auf 134 ng/l). Dennoch scheint der physiologische Effekt von cGMP für Diabetiker bedeutender zu sein. Die Störung mit Erhöhung der Neprilysin-Spiegel vor allem bei herzinsuffizienten Diabetikern schwächt die Wirkung natriuretischer Peptide ab, inklusive deren Fähigkeit, in den Nieren cGMP zu bilden.

Erhöhte cGMP-Spiegel können zusätzlich das tubuloglomeruläre Feedback auf eine Art hemmen, die unabhängig von der proximalen tubulären Natriumreabsorption ist. Dieser Effekt kann die glomeruläre Hypertension verbessern, welche sonst die Entwicklung der diabetischen Nephropathie triggert. Die Effekte des renalen cGMP auf den proximalen Tubulus und das tubuloglomeruläre Feedback könnten erklären, warum Diabetiker unter Neprilysinhemmung eine verzögerte Abnahme der eGFR zeigen, obwohl die Albuminurie zunimmt. Diese Differenzierung zwischen den Effekten auf die GFR und die Albuminurie ist wichtig, da normalerweise – in Abwesenheit der cGMP-Veränderungen – eine Verbesserung der glomerulären Funktion mit der Abnahme der Proteinausscheidung einhergeht.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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