350 Jahre Merck

Wie aus einer Darmstädter Apotheke ein Weltkonzern wurde

Berlin - 03.05.2018, 16:15 Uhr

Der Pharmakonzern Merck feiert sein 350-jähriges Jubiläum, er entspringt aus einer Damstädter Apotheker, die ebenfalls bis heute noch im Besitz der Familie Merck ist. (Foto: Imago)

Der Pharmakonzern Merck feiert sein 350-jähriges Jubiläum, er entspringt aus einer Damstädter Apotheker, die ebenfalls bis heute noch im Besitz der Familie Merck ist. (Foto: Imago)


Vor der Darmstädter Zentrale des Pharmakonzerns Merck sind derzeit futuristische Gebilde aufgebaut: Im knalligen blau steht die Zahl 350 vor den Eingangstoren und erinnert an das Firmenjubiläum eines Unternehmens, das nach Jahrhunderten des Wachstums immer noch größtenteils in Familienbesitz ist. Entstanden ist der Pharmakonzern in einer Darmstädter Apotheke, die ebenfalls von Generation zu Generation in der Merck-Familie weitergegeben wurde. Die nächste Übergabe steht bald an.

Betritt man die Darmstädter Engel-Apotheke, fällt einem sofort die an der Wand befestigte historische Engel-Figur mit dem Familienwappen auf, darunter hängen Fotos aus der Gründungszeit und vom Gründer selbst: Friedrich Jakob Merck. Die in eine Sitzgruppe in der Offizin eingebundenen Fotos erinnern an die 350 Jahre lange Geschichte der größten Apotheke in Darmstadt. Friedrich Jakob Merck hatte 1668 mit der Übernahme der zweiten Hofapotheke die Keimzelle für den gleichnamigen Pharma- und Chemiekonzern gelegt. Der Dreißigjährige Krieg war da erst 20 Jahre vorüber.

(Foto: Imago)

Heute steht die Engel-Apotheke im Merck-Haus am Luisenplatz im Darmstädter Zentrum. Sie ist nach wie vor in der Hand der Familie, so wie der Merck-Konzern selbst. Inhaberin Renate Koehler, eine Nachfahrin von Friedrich Jakob in elfter Generation, plant schon die Nachfolge: „Es ist moralisch eine wichtige Sache, dass es in der Familie bleibt.“ Nicht für Koehler, sondern für den gesamten Konzern ist es ein besonderes Firmenjubiläum: Man sieht die Feierlichkeiten auch nicht nur vor der Zentrale. Am heutigen Donnerstag waren beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (beide CDU) zu Besuch in Darmstadt. Kein Wunder: Merck ist inzwischen ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor für Deutschland. Schließlich beschäftigt der Konzern rund 50.000 Mitarbeiter und setzte zuletzt rund 15 Milliarden Euro um.

Etwa 70 Prozent in Familienbesitz

Trotz dieser großen Zahlen spielt Tradition in Darmstadt eine besondere Rolle. Seit 1668 hat die Firma viel überstanden, nicht zuletzt zwei Weltkriege. Merck liegt mit gut 70 Prozent der Aktien immer noch in Besitz der Familie. Über die E. Merck Kommanditgesellschaft kontrolliert sie den Konzern. Damit ist Merck im Leitindex Dax ein Sonderfall. Um die 266 Familienmitglieder weltweit zusammenzuhalten, pflegt Oberhaupt Frank Stangenberg-Haverkamp Netzwerke. Schon mit 15 Jahren werden Merck-Sprösslinge ans Unternehmen herangeführt mit dem Ziel, es „in einem möglichst besseren Zustand“ weiterzugeben.

Der Wandel von der kleinen Apotheke zum forschenden Industrieunternehmen habe sich mit dem wissenschaftlich gebildeten Emanuel Merck vollzogen, sagt Merck-Historikerin Sabine Bernschneider. Er legte 1827 für Ärzte, Chemiker und Apotheker eine Sammlung hochreiner Pflanzen-Alkaloide an - Naturstoff-Verbindungen mit medizinischer Wirkung. Sein Ziel: „Sie mit wenigen Kosten in den Stand (zu) setzen, Versuche anzustellen.“ Um die Firma abzusichern, gründete Emanuel Merck mit seinen Söhnen 1850 die Gemeinschafts-Sozietät E. Merck mit mehreren Teilhabern – „im richtigen Moment die richtige Geschäftsidee“, so Bernschneider. Als Kaufmann, Apotheker und Chemiker führten die drei Brüder Merck gemeinsam. Schnell folgte die Expansion über Deutschland hinaus.

Merck in schwieriger Übergangsphase

Die Weltkriege aber warfen Merck zurück. So verlor der Konzern im Zuge des Ersten Weltkrieges seine US-Tochter. Als Merck & Co ist sie heute eigenständig und an der Wall Street notiert. Und 1944 wurden bei einem Luftangriff auf die Darmstädter Fabrik 60 Menschen getötet und fast 70 Prozent der Gebäude zerstört. Damals waren rund 3000 Leute, einschließlich 257 Zwangsarbeitern, in Darmstadt beschäftigt.

Jahrzehnte später, 1995, gelang Merck der Aufstieg in den Dax per Börsengang. Mit 2,4 Milliarden D-Mark Volumen war er der bis dato größte Deutschlands. Die Familie trat die operative Führung ab, behielt aber die Kontrolle im Hintergrund. Wichtige Entscheidungen treffen seither andere. Merck kaufte etwa die Biotech-Firma Serono, den Spezialchemiekonzern Electronic Materials und den Laborausrüster Sigma-Aldrich. Allein Zukäufe seit 2007 kosteten 30 Milliarden Euro. Heute treibt Chef Stefan Oschmann den Umbau zum Wissenschaftskonzern voran. Als Arzneihersteller sieht sich Merck nicht mehr, selbst wenn die Sparte am meisten Umsatz bringt. Auch das Image soll moderner werden. Mit knalligen Farben will Merck die Marke aufpeppen. Und im neuen Innovationszentrum tüfteln Start-ups und Mitarbeiter an Ideen.

Alles wird auf Avelumab gesetzt

Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr schwächelt Merck. 2018 werden leichte Rückgänge beim Betriebsergebnis erwartet. Im hochprofitablen Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphone-Displays drückt die Konkurrenz aus China die Preise. Merck habe zu spät auf neue Wettbewerber reagiert, gab Stangenberg-Haverkamp, Vorsitzender des Merck-Familienrats, zuletzt im „Manager Magazin“ zu. Zudem bringen alte Kassenschlager-Arzneien immer weniger Erlös. Große Hoffnungen liegen auf dem monoklonalen Antikörper Avelumab, der unter anderem zur Behandlung des Merkelzellkarzinoms zugelassen ist. In der Pharmasparte ist Avelumab allerdings der einzige große Pfeil im Köcher des Konzerns – er muss sitzen.

Indes muss Merck für die angepeilte Wende 2019 Kompromisse machen. So verkaufte Oschmann die OTC-Sparte an Procter & Gamble für 3,4 Milliarden Euro. Er braucht das Geld, um Schulden zu senken und teure Pharma-Blockbuster voranzutreiben: „Wir müssen unsere finanziellen Mittel genau einteilen.“ Zumal Merck für Enttäuschungen gewappnet sein muss, sollte Avelumab in weiteren Studien scheitern.

Die Familie werde auch künftig „fest hinter dem Unternehmen stehen“, sagt Stangenberg-Haverkamp. Sie habe ihr Vermögen in die Firma investiert und gehe üblichen Berufen nach. „Den Playboy mit Ferrari gibt es bei uns nicht, zumindest haben wir ihn noch nicht gefunden.“ Man habe derzeit keine Pläne, den Anteil der Mercks am Konzern zu senken. Auch ein Verkauf der Pharmasparte stehe nicht zur Debatte, selbst bei neuen Krisen. Rückschläge hat Merck indes schon viele bewältigt, auch in der Apotheke von einst. Sie wurde im Bombenhagel 1944 weitgehend zerstört, soll nun in zwölfter Generation in der Merck-Familie bleiben. Koehlers Nichten könnten in einigen Jahren die neuen Chefinnen sein. Dann kämen die nächsten Mercks zum Zug.



bro / dpa
brohrer@daz.online


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