Tag gegen Schlaganfall

Was Apotheker über NOAK wissen sollten

Berlin - 10.05.2018, 08:00 Uhr

Den NOAK ist gemeinsam, dass sie das Gerinnungssystem unabhängig von der Vitamin-K-Synthese beeinflussen. Über einen Kamm scheren lassen sich die direkten Antikoagulanzien jedoch nicht. (Foto: Imago)

Den NOAK ist gemeinsam, dass sie das Gerinnungssystem unabhängig von der Vitamin-K-Synthese beeinflussen. Über einen Kamm scheren lassen sich die direkten Antikoagulanzien jedoch nicht. (Foto: Imago)


Alle 10 Sekunden erleidet jemand einen Schlaganfall aufgrund von Vorhofflimmern. Eine patientenstarke Indikation für die direkten Gerinnungshemmer. Einfach und sicher sollen Rivaroxaban, Dabigatran, Apixaban und Edoxaban sein, versprachen die Hersteller bei ihrer Einführung. Doch die Dosiervielfalt erschwert inzwischen den Überblick. Apotheker als Arzneimittelexperten können Patienten und Medizinern helfen, die direkten Antikoagulanzien richtig anzuwenden.

In Deutschland wissen ungefähr 1,8 Millionen Menschen, dass sie Vorhofflimmern (VHF) haben. Da diese häufige Rhythmusstörung nicht immer Symptome verursacht, ist die Dunkelziffer hoch. Vorhofflimmern (VHF) führt dazu, dass das Blut im linken Atrium leichter gerinnen kann. Die entstehenden Thromben sind relativ groß und können schwere Schlaganfälle verursachen, wenn sie über die Aorta ins Gehirn gespült werden.

NOAK bei nv-VHF

Zur leitliniengerechten Therapie des Vorhofflimmerns gehört daher eine Antikoagulation zur Prophylaxe von Schlaganfällen, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Noch vor einem Jahrzehnt galten Vitamin-K-Antagonisten wie etwa Marcumar als Standard. Bis die direkten Gerinnungshemmer auf den Markt kamen, die auch als NOAK (Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien oder Neue orale Antikoagulanzien) oder DOAK (Direkte orale Antikoagulanzien) bezeichnet werden.

Inzwischen sind vier dieser Substanzen auf dem Markt: Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana ®). Gemeinsam ist den NOAK, dass sie nur bei nicht-valvulärem (nv)VHF, also ohne Beteiligung einer undichten Herzklappe, zugelassen sind. Bei valvulärem Vorhofflimmern kommen ausschließlich Vitamin-K-Antagonisten zum Einsatz.

Nierenfunktion und Antikoagulation

Die vier Substanzen unterschieden sich hinsichtlich ihrer Dosierungen, Einnahmefrequenzen sowie den Kriterien zur Dosisreduktion (Tabelle 1). Bei allen vier Substanzen spielt die Nierenfunktion eine Rolle. Lässt die Nierenleistung nach, besteht aufgrund der Wirkstoff-Akkumulation eine erhöhte Blutungsgefahr.

Dabigatran wird überwiegend (zu 80 Prozent) über die Niere ausgeschieden. Deshalb macht sich eine nachlassende Nierenfunktion bei dem Thrombinhemmer am stärksten bemerkbar. Bei den anderen drei Substanzen, bei denen es sich um Faktor Xa-Hemmer handelt, ist das Verhältnis zwischen dem renalen und hepatischen Abbauweg ausgewogener.

Bei vielen älteren und multimorbiden VHF-Patienten lässt die Nierenfunktion nach. Aber nicht bei allen: Laut einer Erhebung des AF-Netzwerkes lag bei über 70 Prozent von über 3000 VHF-Patienten die Kreatinin-Clearance noch über 60 Milliliter pro Minute. In der Zulassungsstudie von Lixiana® zeigte sich eine Wirksamkeitsabnahme bei Kreatinin-Clearance-Werten über 80 Milliliter pro Minute. Die Nierenfunktion sollte also in beiden Richtungen im Auge behalten und der Patient ermutigt werden, seine Kontrolltermine wahrzunehmen.

Auswertungen von Verschreibungszahlen legen nahe, dass Mediziner aus Angst vor Blutungsnebenwirkungen auch dann die niedrigere Dosis aufschreiben, wenn die Kriterien zur Reduktion nicht erfüllt sind. Die daraus resultierende Unterdosierung hat eine erhöhte Schlaganfallgefahr zur Folge.

Tabelle 1*Dosierungen und Anpassungen
  Dabigatran Rivaroxaban Apixaban Edoxaban
Doser-frequenz zweimal täglich einmal täglich zweimal täglich einmal täglich
Standard-dosis bei nv.-VHF 150 mg 20 mg 5 mg 60 mg
Dosisan-passungen

150 mg bei einem der folgenden Kriterien

• Alter ≥ 80 Jahre

• Verapamil Einnahme

• KrCl zwischen 30 und 50 Milliliter pro Minute

 
15 mg bei einer KrCl zwischen 49 und 15 Milliliter

2,5 mg bei mindestens zwei der folgenden Kriterien:

•Serumkreatinin >1.5 mg/dl

• Alter ≥ 80 Jahre;

• Körpergewicht ≤ 60 kg

 

30 mg bei einem der folgenden Kriterien

• KrCl 15–50 ml/min

•Körpergewicht  ≤ 60 kg 

• Einnahme von Ciclosporin, Dronedaron,

Erythromycin oder Ketoconazol

 
Kontra-indikationen KrCl** < 30 ml/min KrCl < 15 mg/min KrCl < KrCl < 15 mg/min KrCl < 15 mg/min



*gemäß Fachinformationen

**KrCl = Kreatinin-Clearance

NOAK richtig anwenden

Für die Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern gilt das Urteil „lebenslänglich“. Negative Medienberichte zur Gerinnungshemmern können Patienten so verunsichern, dass sie ihre Präparate absetzen. Im besten Fall tun sie dies nicht eigenmächtig, sondern besprechen ihre Bedenken mit ihrem Arzt oder Apotheker. Manchmal kann aufgrund von Nebenwirkungen oder psychologischen Aspekten ein Substanzwechsel helfen.  

Im Rahmen einer Dauertherapie kommt es immer wieder zu Einnahmefehlern. Ein wichtiger Hinweis zu Therapiebeginn ist, dass Rivaroxaban in den Dosierungen 15 und 20 Milligramm zu den Mahlzeiten eingenommen werden muss, weil die Nahrungsaufnahme die Bioverfügbarkeit erhöht. Die anderen NOAK können unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden.

Wenn der Patient eine Tablette vergessen hat, kann er die Einnahme bei Rivaroxaban und Edoxaban im Laufe des Tages noch nachholen und am darauffolgenden Tag die Einnahme wie gewohnt fortsetzten. Sollte er erst am nächsten Tag bemerken, dass er am Vortag sein Medikament vergessen hat, sollte er ebenfalls nur eine Tablette einnehmen und keinesfalls „zum Ausgleich“ die doppelte Dosis.

Bei Dabigatran kann die vergessene Dosis noch bis zu sechs Stunden nach dem geplanten Einnahmezeitpunkt nachgeholt werden. Danach sollte der Patient bis zur regulären nächsten Dosis der Zweimalgabe warten. In der Apixaban-Fachinformation befindet sich der Hinweis, die Einnahme „sofort“ nachzuholen, ohne das Zeitintervall näher zu definieren.

Verhalten vor Eingriffen

Ein intaktes Gerinnungssystem ist bei Operationen lebenswichtig. Für Notfalleingriffe steht seit zweieinhalb Jahren zur Reversierung von Dabigatran ein Antidot bei schweren Blutungskomplikationen zur Verfügung. Das entsprechende Gegenmittel für die Faktor Xa-Hemmer ist zur Antagonisierung von Rivaroxaban und Apixaban zwar seit wenigen Tagen in den USA zugelassen, das EU-Verfahren sowie die Bewertung der Daten zur Reversierung von Edoxaban stehen noch aus. Antidote werden selten benötigt. Bei schweren Blutungskomplikationen kommen zur Antagonisierung der Xa-Hemmer neben mechanischer Blutstillung oder Transfusionen Prothrombin-Komplex-Zubereitungen zum Einsatz.

Doch in der öffentlichen Apotheke kommt häufiger die Frage vor, wie vor geplanten Operationen zu verfahren ist. Bei elektiven Eingriffen wird das NOAK vor dem Eingriff abgesetzt. Das Bridgen mit Heparinen, wie es bei Vitamin-K-Antagonisten praktiziert wird, ist unter NOAK-Therapie unnötig.

Wie lange vor dem Eingriff das NOAK pausiert wird, hängt vom individuellen Operationsrisiko sowie der Nierenfunktion des Patienten ab (Tabelle 2).  Eingriffe mit einem geringen Risiko sind beispielsweise zahnärztliche Eingriffe. Liegt etwa der Zahnarzttermin etwa am Vormittag und der Patient nimmt Rivaroxaban oder Edoxaban normalerweise morgens, genügt es, am Morgen vor dem Zahnarztbesuch die Tablette wegzulassen. Bei Dabigatran und Apixaban muss der Patient zusätzlich auf die abendliche Einnahme verzichten.

Weitere Niedrigrisiko-Eingriffe sind Endoskopie-Untersuchungen ohne Biopsien oder die Entfernung von Leberflecken beim Hautarzt.  Zu den Operationen mit höherem Risiko zählen beispielsweise Hüftgelenksersatzoperationen oder jegliche Eingriffe am zentralen Nervensystem sowie Liquorpunktionen.

Tabelle 2* Absetzen vor Operationen
 

Dabigatran

geringes Risiko

Dabigatran

hohes Risiko

Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban

geringes Risiko

Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban

hohes Risiko

KrCl > 80 ml/min ≥ 24 Stunden davor ≥ 48 Stunden davor ≥ 24 Stunden davor ≥ 48 Stunden davor
KrCl zwischen 50 und 80 ml/min ≥ 36 Stunden davor ≥ 72 Stunden davor ≥ 24 Stunden davor ≥ 48 Stunden davor
KrCl zwischen 30  und 50 ml/min ≥ 48 Stunden davor ≥ 96 Stunden davor ≥ 24 Stunden davor ≥ 48 Stunden davor
KrCl zwischen 15 und 30 ml/min nicht zugelassen nicht zugelassen ≥ 36 Stunden davor ≥ 48 Stunden davor

*Gemäß EHRA NOAC practical guide

** KrCl = Kreatinin Clearance

Weitere Anwendungsgebiete der NOAK

Die Schlaganfallprävention bei nv-VHF ist die patientenstärkste Indikation der NOAK, jedoch haben die direkten Gerinnungshemmer noch weitere Anwendungsgebiete, beispielsweise die Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien (tiefe Venenthromose oder Lungenembolie). Die Anwendungsspektren der vier NOAK sind unterschiedlich. Eine Übertragbarkeit der Indikationen besteht nicht (Tabelle 3).

Tabelle 3 Standarddosierungen bei verschiedenen Indikationen
Indikation Dabigatran Rivaroxaban Apixaban Edoxaban
nv-VHF 2 x 150 mg 1 x 20 mg 2 x 5 mg 1 x 60 mg
Sekundärprophylaxe nach venösen Thromboemolien 5 Tage Heparin, dann 2 x 150 mg 2 x 15 mg für 3 Wochen, dann 1 x 20 mg 2 x 10 mg für 5 Tage, dann 2 x 5 mg 5 Tage Heparin, dann 1 x 60 mg
Thromboseprophylaxe nach Hüft- oder Kniegelenksersatz nicht zugelassen 1 x 10 mg 2 x 2,5 mg nicht zugelassen
Sekundärprophylaxe nach akutem Koronarsyndrom mit erhöhten Biomarkern nicht zugelassen 2 x 2,5 mg nicht zugelassen nicht zugelassen

Die Anwendung von zweimal täglich Rivaroxaban 2,5 Milligramm nach akutem Koronarsyndrom hat bislang noch keine Marktbedeutung. Bayer plant, die kardiologische Niedrigdosis von der Sekundär- auf die Primärprävention auszuweiten und zwar für Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK). Auf Basis der COMPASS-Studie hat Bayer im Herbst des vergangenen Jahres die Zulassung für die beiden Indikationen eingereicht. Eine Entscheidung wird im zweiten Halbjahr dieses Jahres erwartet.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Super Artikel

von Dr Schweikert-Wehner am 12.05.2018 um 11:35 Uhr

Mal nichts zu meckern. Weiter so DAZ

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