Meinung

Geben Apotheken tatsächlich „nicht selten“ das falsche Arzneimittel ab?

Stuttgart - 11.05.2018, 07:00 Uhr

Tauschen Apotheken wirklich Levodopa/Benserazid gegen Levodopa/Carbidopa? (Foto: Hexal AG / Bearbeitung DAZ.online)

Tauschen Apotheken wirklich Levodopa/Benserazid gegen Levodopa/Carbidopa? (Foto: Hexal AG / Bearbeitung DAZ.online)


Apotheker missachten das Gesetz und tauschen „nicht selten“ auch wirkstoffungleiche Arzneimittel aus – das wirft die Deutsche Parkinson Gesellschaft den Pharmazeuten zumindest jüngst bei den Decarboxylasehemmern Benserazid und Carbidopa im Ärzteblatt vor. Ignorieren Apotheken folglich „nicht selten“ den ausschließlich erlaubten wirkstoffgleichen Austausch nach SGB V, oder geben sie „nicht selten“ schlichtweg ein falsches Arzneimittel ab? DAZ.online hat sich Fehlerquellen bei der Medikation angeschaut – interessanterweise passieren die meisten Patzer nicht bei der Abgabe der Arzneimittel.

Apotheken tauschten „nicht selten Decarboxylase-Hemmer …, lösliche Tabletten durch normale Tabletten …, Tabletten durch Kapseln oder Retard-Präparate durch Medikamente ohne Retardwirkung“ aus. Diesen Vorwurf erhoben die Deutschen Gesellschaft für Parkinson (DGP) und der Verband für Qualitätsentwick­lung in Neurologie und Psychiatrie (QUANUP) jüngst im Ärzteblatt. Im ersten Fall der Decarboxylasehemmer bedeutet das konkret: Apotheken geben statt eines beispielsweise verordneten Levodopa/Benserazid-Präparates eine Levodopa/Carbidopa-Kombination ab. Ist das überhaupt erlaubt – der Austausch von Decarboxylase-Hemmern? DAZ.online hat sicherheitshalber beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nachgefragt. Eindeutige Aussage: „Bei aut idem geht es um austauschbare Darreichungsformen wirkstoffgleicher Arzneimittel. Es gelten die gesetzlichen Regelungen nach § 129 Abs. 1 Satz 2 SGB V", konstatiert der G-BA.

Missachtung SGB V oder fehlerhafte Arzneimittelabgabe

Nun bleiben für die Vorwürfe der Parkinson Gesellschaft und der Verbände zwei Erklärungen: Entweder die Apotheken verstoßen „nicht selten“ gegen das Gesetz, das lediglich den Austausch wirkstoffgleicher Arzneimittel erlaubt, oder sie machen „nicht selten“ Fehler und geben schlichtweg ein falsches Arzneimittel ab. „Nicht immer werden Rabattarzneimittel entsprechend der gesetzlichen Vorgabe mit gleichem Wirkstoff und gleicher Darreichungsform gewählt“, heißt es im Ärzteblatt. Ob willentlich und wissentlich oder aus Versehen lassen DPG, QUANUP und die Deutsche Parkinson-Vereinigung in dieser gemeinsamen Stellungnahme offen. Beide Szenarien sind wenig erstrebenswert – und beide implizierten Vorwürfe gleichermaßen wohl wenig fair und begründet. Zu einer Nachfrage von DAZ.online liegt bislang von der DPG keine Stellungnahme vor.

Warum sollten Apotheker absichtlich Benserazid gegen Carbidopa tauschen?

Man kann wohl, auch wenn es hierzu keine Studien gibt, davon ausgehen, dass Apotheker im Allgemeinen nicht – und auch nicht bei Parkinson-Arzneimitteln im Speziellen – gegen § 129 SGB V verstoßen und absichtlich wirkstoffungleiche Präparate austauschen. Welchen Nutzen hätten die Apotheker hiervon auch? Bleiben die Abgabefehler. Dass diese vorkommen und dass kein Apotheker davor gefeit ist, steht außer Zweifel. Die Frage ist nur: Wie häufig passieren derartige fehlerhaften Arzneimittelabgaben tatsächlich?

Häufigster Grund für Medikationsfehler: ärztlich falsch verordnet

Valide Daten hierüber sind tatsächlich mager gestreut, ganz zu schweigen in einem speziellen Therapiegebiet wie Parkinson. Doch es gibt zumindest Anhaltspunkte und Überlegungen, auf welcher Ebene Medikationsfehler passieren. Überraschenderweise lassen sich die meisten Medikationsfehler nicht auf die falsche Abgabe eines Arzneimittels, sondern auf die ärztlicherseits falsche Verordnung der Medikation zurückführen. Das zeigt sowohl eine epidemiologische Studie aus Dänemark, als auch eine Untersuchung aus Spanien, die dieses Thema für öffentliche Apotheken beleuchteten. In letzterer wurden in einem Zeitraum von 13 Monaten bei 42.000 Verordnungen 2117 Medikationsfehler entdeckt – in 1127 Fällen hatte der Arzt falsch verordnet und nur in 216 Fällen waren es Abgabefehler. Auch in der dänischen Datenerhebung kamen Verschreibungsfehler 23-mal häufiger vor als Abgabefehler. Nun lassen sich Daten aus Spanien und Dänemark nicht lückenlos auf das deutsche Ärzte-und Apothekensystem übertragen – doch geben sie zumindest einen Anhaltspunkt.

Wo können Fehler passieren?

Die Sicherheitsbarrieren haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert – man denke an moderne Kommissioniersysteme, die eine Falschabgabe nahezu unmöglich machen. Fehlerhafte Abgaben geschehen hauptsächlich aufgrund menschlichen Versagens. Erfolgt bereits auf erster Ebene eine Falscheingabe des verordneten Arzneimittels oder bei Rezeptscannern die Falschauswahl – schützen Kommissionierer selbstredend auch nicht. Nicht jede Apotheke hat außerdem einen Automaten installiert, sei es aus logistischen Gründen oder wirtschaftlichen Überlegungen. So lagern in den überwiegenden Fällen die Arzneimittel bundesweit noch in Schubladen. Fehlabgaben resultieren aus Entnahmefehlern aus der Schublade, weil das Arzneimittel falsch weggeräumt wurde oder Apotheker und PTA sich beim Abgeben „vergreifen“. Vor allem Arzneimitteln mit ähnlichem Packungsdesign (look-alike) bergen dieses Risiko. Hapern kann es auch bei bestellten Arzneimitteln, wenn diese den „Abholern“ falsch zugeordnet werden. Routinemäßig sollten vor Abgabe Arzneimittel durch visuelle PZN-Kontrolle oder Gegenscan geprüft werden, das stützt eine korrekte Arzneimittelabgabe zusätzlich – was wohl in den allermeisten Apotheken bereits ein etabliertes System sein dürfte.

Was sagt ein AMTS-Experte zu Arzneimittelabgabefehlern? 

DAZ.online hat auch mit Dr. Oliver Schwalbe gesprochen. Der Apotheker ist  Abteilungsleiter für die Bereiche Ausbildung, Fortbildung und Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Apothekerkammer Westfalen-Lippe und betreut dort auch „CIRS“ – Critical Incident Reporting-System. Das internetgestützte Fehlerberichts- und Lernsystem zur anonymen Meldung von Medikationsfehlern soll zur Entwicklung von Lösungsansätzen zur Fehlervermeidung beitragen. Der AMTS-Experte erklärt:


Fehler passieren fraglos, zu diesen müssen Apotheker auch selbstbewusst stehen. Wichtig ist jedoch, sich konstruktiv mit potenziellen und tatsächlich geschehenen Fehlern auseinanderzusetzen – in Teambesprechungen beispielsweise – um im Rahmen des QMS die Sicherheitsbarrieren bei der Abgabe von Arzneimitteln zu optimieren.“

Dr. Oliver Schwalbe, Apothekerkammer Westfalen-Lippe


Will die Parkinson-Vereinigung die Arzneimittel auf die Substitutionsausschlussliste „pressen“?

Welches Ziel verfolgen DPG, QUANUP und die Deutsche Parkinson-Vereinigung mit diesen Vorwürfen? Eine potenzielle Erklärung könnte sein, dass es ihnen letztlich doch noch gelingt, Parkinson-Arzneimittel auf die Substitutionsausschlussliste des G-BA zu bringen. Bereits 2015 hatte die Deutsche Parkinson-Vereinigung eine Initiative gestartet, 60.000 Unterschriften gesammelt und damit versucht, den Aut-idem-Austausch von Parkinson-Arzneimitteln durch Apotheken generell auszuschließen. Dieser Versuch war jedoch nicht mit Erfolg gekrönt – die Bundesregierung lehnte den Antrag ab, Wirkstoffe zur Therapie des Parkinson blieben und sind nach wie vor austauschbar.

Pharmakologische Diskussion wünschenswert

Fraglos kann diskutiert werden, inwiefern der Austausch von Arzneimitteln im Rahmen der Aut-idem-Regelung sich auf das klinische Bild bei einem an Parkinson erkrankten Patienten auswirkt. Die Bioäquivalenz-Grenzen bei Arzneimitteln liegen bei 80 bis 125 Prozent. Berücksichtigt man zusätzlich krankheitsbedingte motorische Unregelmäßigkeiten in der Magen-Darm-Peristaltik, sind klinische Auswirkungen durch einen Arzneimittelaustausch bei Parkinson-Patienten durchaus vorstellbar. Dass zusätzlich motorische Einschränkungen das Teilen oder Schlucken bestimmter Darreichungsformen erschweren können oder ein verändertes Packungsdesign und anders gestaltete Tabletten/Kapseln die Patienten verunsichern können, sind berechtigte Einwände gegen einen Austausch. Solche Überlegungen sind absolut legitim und sinnvoll anzustellen. Darüber zu diskutieren, ist sicherlich jeder Apotheker bereit, auch wenn diese keinen Einfluss auf die Substitutionsausschlussliste haben. Doch bliebe in diesem Fall die Diskussion zumindest auch auf einem sachlichen Niveau. 



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Kommt vor aber wie beschrieben: (bei uns) mind. 99% Praxisfehler

von Alexander Dehm am 12.05.2018 um 21:39 Uhr

Ich schreibe bewusst Praxisfehler, da es bei uns immer noch eine Praxis gibt, welche ihre Software wie auch immer dazu bekommt, einen Freitext als Arzneimittel zu akzeptieren!
Wir bekommen also fast ausnahmslos Rezepte welche wie mit einer Schreibmaschine ausgefüllt sind:
Levodopa 125 comp N3 Tbl.
Da dürfen wir dann erst mal recherchieren und dann das Rezept zur Änderung bringen.
Leider nicht nur bei Levodopa.
Wir bekommen auch Rezepte mit "Rami 10 comp N3" (und dürfen dann schauen ob HCT oder doch Amlodipin)
oder "Venlafaxin 75 100 Tbl." oder auch nur "Meirtazepin 25 N3"
Wenn wir dann einen "Hinweis" auf eine etwas sorgfältigere Verschreibungspraxis geben wollen, müssen wir uns dann aber anhören: "Jetzt haben sie sich nicht so, schauen sie mal wie viel sie an uns verdienen...."

So sieht es leider aus.

Ich denke einige Hausarzt-Praxen interessiert das leider zu wenig. Vor allem beim Thema Decarboxylase-Hemmer (kommt doch aufs gleiche raus!?!)

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Bei der Wahrheit bleiben

von Stefan Haydn am 11.05.2018 um 15:11 Uhr

würde auch der deutschen Parkinson-Vereinigung gut stehen.
Sicher sind Parkinson Medikamente leicht zu verwechseln. Daher schaut das pharmazeutische Personal eh schon genauer hin. Meine Erfahrung im Alltag zeigt mir aber, dass die Fehler fast ausschließlich beim Verordner passieren und von uns "Gott sei Dank" in den meisten Fällen noch rechtzeitig behoben werden können.
Warum in der Arztpraxis dann Benserazid und Carbidopa oder retardiert und unretardiert verwechselt werden, kann ich leider nicht beantworten.

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Kommunikationsfehler zwischen Fach- und Hausarzt!

von Thomas Luft am 11.05.2018 um 11:36 Uhr

Bei uns kommt es immer wieder zu Unklarheiten bezüglich der Therapie von Parkinson-Patienten. Der häufigste Grund ist in meinen Augen die fehlerhafte bzw. mangelhafte Kommunikation zwischen Neuologen und Hausarzt, der teilweise Folgeverordnungen ausstellt. Bei uns kommt es dadurch immer wieder zu Rückfragen an die verordnenden Ärzte welche Arzneiform sie denn jetzt meinen.

Was den Austausch bezüglich der Rabattverträge angeht versuchen wir im Rahmen der gesetzlchen Möglichkeiten beim gleichen Hersteller zu bleiben und dem Patienten den Herstellerwechsel zu ersparen. Auch hier ist häufig eine Rücksprache mit den behandelnden Ärzten notwendig. Den Vorwurf, dass wir bewusst falsche Medikamente abgeben verbitte ich mir!

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eher falsche Verordnung

von Dr. Arnulf Diesel am 11.05.2018 um 11:06 Uhr

In der Stadt, in der ich lange Jahre tätig war, praktizierte ein Arzt bzw. hatte er seine Praxis, der Arzt selbst war da eher selten anzutreffen. Die Arzthelferinnen -so das Gerücht- hatten unterschriebene Blankorezepte und verordneten - meist Dauermedikationen- eben selbst. Wenn auch mal Unklarheiten auftraten, war das kein Problem. "Vielleicht bin ich in der Zeile verrutscht. Geben Sie dem Patienten, was er immer bekommt und sagen sie uns, was auf dem Rezept stehen soll."

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