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Interview Helmut Schröder (WIdO, AOK-Bundesverband)
„Es gibt nur wenige Arzneimittel, die nicht lieferfähig sind“
Schaden Rabattverträge der Versorgung, weil sie für Lieferengpässe sorgen? Um diese Frage streiten sich derzeit das beim AOK-Bundesverband angesiedelte Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und der Branchenverband Pro Generika. Der Generika-Verband hatte sich darüber beschwert, dass die AOK keine Studien zu ihren Behauptungen vorlege und mit „Denkfehlern“ agiere. Im Interview mit DAZ.online legt WIdO-Vize Helmut Schröder neue Zahlen nach und relativiert das Problem mit den Lieferengpässen grundsätzlich.
Der Streit um die Auswirkungen der Arzneimittel-Rabattverträge zwischen dem AOK-Bundesverband und Pro Generika geht in die nächste Runde. Ursache für den Konflikt sind weiterhin Pressemitteilungen des WiDO und der AOK Baden-Württemberg, in denen mitgeteilt wird, dass die Rabattverträge aus Sicht der AOK die Therapietreue der Patienten erhöhen und die Anbietervielfalt im Generika-Markt erhöhen. Aus Sicht der Ortskrankenkassen sind Rabattverträge keineswegs die Ursache für Lieferengpässe.
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Im DAZ.online-Interview hatte Pro-Generika-Chef Bork Bretthauer auf die WIdO-Zahlen geantwortet und sich grundsätzlich darüber beschwert, dass die AOK keine ganze Studie zu ihren Behauptungen vorlegt. Bretthauer wies auch darauf hin, dass man bei der Marktkonzentration nicht den Generikamarkt als Ganzes betrachten dürfe, sondern die Versorgungssituation in einzelnen Bereichen unter die Lupe nehmen müsse. So gebe es derzeit lediglich drei Unternehmensgruppen, die fast 100 Prozent der Antibiotika-Versorgung stemmen.
Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO, will sich diese Vorwürfe nicht gefallen lassen. Im Gespräch mit DAZ.online legt er neue Zahlen nach, die die These der AOK belegen sollen.
DAZ.online: Herr Schröder, wenn Sie sich so sicher sind, dass die Rabattverträge die Therapietreue verbessern und die Marktkonzentration nicht erhöhen, warum veröffentlichen Sie dann nicht alle Zahlen, die Sie dazu haben?
Schröder: Das WIdO publiziert die Ergebnisse zur Marktkonzentration seit mehreren Jahren unter anderem im Arzneiverordnungs-Report, gemeinsam mit dem Ökonomen Ulrich Laitenberger (Télécom Paris Tech, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung). Mangelnde Transparenz wurde uns bisher von anderen Wissenschaftlern nicht vorgeworfen. Die nunmehr geäußerte Kritik eines Pharmaverbandes erscheint uns daher nicht nachvollziehbar. Die Analysen können auch von Daten-Dienstleistern der pharmazeutischen Industrie problemlos nachgerechnet werden.
Was hat der Unternehmensumsatz mit der Versorgungssituation zu tun?
DAZ.online: Einer der größten sachlichen Vorwürfe von Pro Generika ist, dass Sie sich nicht die Mühe machen, in einzelne Versorgungsbereiche hineinzuschauen, sondern den Generikamarkt ganz betrachten. Beispiel Antibiotikamarkt: Hier soll es lediglich drei Gruppen geben, die die gesamte Versorgung in der Hand haben.
Schröder: Wir sehen bei den Antibiotika insgesamt 87 verschiedene Hersteller mit insgesamt 1607 verschiedenen systemisch wirkenden Arzneimitteln. Und die unternehmerische Entscheidung, welches Arzneimittel am Markt angeboten wird, trifft unserer Einschätzung nach jedes einzelne Unternehmen für sich selbst. So geht bei der Betrachtung beim Abverkauf von Automobilen nicht die VW-Gruppe als Ganzes in die Betrachtung mit ein, sondern die einzelnen Produkte von Volkswagen, Seat, Skoda, Audi sowie der Luxusmarken Bentley, Bugatti, Lamborghini und Porsche. Im Übrigen haben weltweite Tendenzen zur Marktkonzentration durch Unternehmenszusammenschlüsse, zum Beispiel auch in der Pharmasparte, sicher nichts mit Rabattausschreibungen in Deutschland zu tun, die gerade dahin wirken, wettbewerbsbelebende Impulse zu setzen.
DAZ.online: Nächster Vorwurf: Warum gehen Sie davon aus, der Umsatz der Generikaunternehmen auch gleichzeitig eine Bezugsgröße für die Versorgungssituation ist? Wäre es nicht sinnvoller, den Marktanteil einzelner Unternehmen im jeweiligen Therapiebereich zu messen?
Schröder: Nein. Allein die Anzahl der Hersteller im Markt zu betrachten, ist kein geeignetes Mittel zur Beurteilung der Marktkonzentration. Gleichzeitig muss auch berücksichtigt werden, welche Hersteller wie viel umsetzen. Nehmen Sie beispielsweise den Wirkstoff Pantoprazol: Hier sind mehr als 380 verschiedene Arzneimittel von 35 verschiedenen Herstellern verfügbar. Wenn aber ein Hersteller nahezu alle der 575 Millionen Euro Bruttoumsätze des Jahres 2017 auf sich vereinigen würde, dann läge eine sehr hohe Marktkonzentration vor, unabhängig davon, ob 35 oder ein paar wenige Hersteller im Markt agieren. Gerade Rabattverträge haben dazu geführt, dass die großen Anbieter hier Marktanteile verloren haben. Kleine und mittelständische Anbieter nutzen die Gelegenheit, sich an Rabattvertragsausschreibungen zu beteiligen, um Anteile an einem Markt zu erlangen, der vorher stark konzentriert war.
Macht die AOK es sich zu einfach?
DAZ.online: Aber ist es nicht ein bisschen einfach zu sagen: Es gibt zehn Pharmaunternehmen, die alle viel umsetzen, dann kann die Versorgungslage ja gar nicht so schlecht sein. Sollte nicht auch überprüft werden, wie und ob die Arzneimittel letztendlich beim Patienten ankommen?
Schröder: Wird die Versorgungssituation der AOK-Patienten betrachtet, werden die Verordnungen der insgesamt 45 Millionen wirkstoffbezogenen Profile von AOK-Arzneimittelpatienten der Jahre 2006 und 2016 bei generikafähigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen herangezogen. Hier zeigt die Analyse des Verschreibungsgeschehens vor und mit den Rabattverträgen, dass es mit den Verträgen weniger Medikamentenwechsel gibt, die Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten also verstetigt wird.
DAZ.online: Also sehen Sie gar keinen Zusammenhang zwischen auch exklusiv ausgeschriebenen Rabattverträgen und Lieferengpässen?
Schröder: Bei denjenigen rabattierten Arzneimitteln, die nicht lieferfähig waren, haben im Durchschnitt mehr als 100 andere verschiedene Arzneimittel des Wirkstoffs/Wirkstoffkombination zur Verfügung gestanden. Im Übrigen könnten die von der Pharmaindustrie behaupteten Versorgungsengpässe endlich empirisch überprüft werden, wenn die heute noch freiwillige Meldepflicht der pharmazeutischen Hersteller vom Gesetzgeber für verpflichtend erklärt werden würde. Bereits seit Jahren muss von den pharmazeutischen Rabattpartnern verpflichtend gemeldet werden, wenn die Arzneimittelversorgung der Patienten mit Vertragsprodukten nicht mehr gewährleistet werden kann.
Wie gravierend ist das Problem mit den Lieferengpässen?
DAZ.online: Das hört sich ein bisschen so an, als ob Sie das Vorkommen von Versorgungsengpässen grundsätzlich in Frage stellen…
Schröder: Die Übersicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigt, dass es im letzten Jahr nur wenige Arzneimittel gab, die nicht lieferfähig waren. Von den insgesamt mehr als 65.000 verschiedenen Arzneimitteln, die 2017 im Markt waren und mindestens einmal verordnet wurden, waren 194 Produkte zwischen dem 1. Mai 2017 und dem 18. April 2018 einmal nicht verfügbar: Dies entspricht 0,3 Prozent aller Produkte. Von den insgesamt mehr als 19.000 verschiedenen Arzneimitteln, die zwischen dem 1. Mai 2017 und 1. April 2018 bei mindestens einer Krankenkasse rabattiert waren, wurden nur 0,2 Prozent nicht-lieferfähig gemeldet.
3 Kommentare
lieferfähig/ lieferbar
von Isabella Stavenhagen-Neumann am 14.05.2018 um 22:02 Uhr
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Therapietreue durch Rabattverträge?
von Heiko Barz am 14.05.2018 um 12:00 Uhr
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Verfügbarkeit
von Sven Larisch am 14.05.2018 um 8:35 Uhr
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