Interview mit Peter Froese zur Digitalisierung

„Ein E-Rezept ohne die Einbindung der Apotheker darf es nicht geben“

Berlin - 04.06.2018, 17:45 Uhr

Peter Froese, Chef des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, im Gespräch mit DAZ.online über die Gefahren und Chancen der Digitalisierung für die Apotheker. (Foto: DAZ)

Peter Froese, Chef des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, im Gespräch mit DAZ.online über die Gefahren und Chancen der Digitalisierung für die Apotheker. (Foto: DAZ)


Die Apotheker sind beim Medikationsplan außen vor, über die elektronische Gesundheitskarte wird größtenteils schlecht geredet und die Versand-Lobby behauptet, dass Apotheker bei der Digitalisierung hinterherhinken. Im Interview mit DAZ.online erklärt Peter Froese, Chef des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein und Mitglied der ABDA-AG für Digitalisierung, warum es trotzdem richtig ist, an der eGK festzuhalten, wo die Gefahren in der Digitalisierung für die Apotheker liegen und was passieren muss, damit die Apotheker bei den großen, digitalen Projekten nicht ins Hintertreffen geraten.

Anlässlich der DAZ.online-Themenwoche Digitalisierung ist es natürlich unverzichtbar, auch in der Berufspolitik der Apotheker nachzufragen, wie es um die Arbeit an den vielen digitalen Projekten bestellt ist. Hört man sich bei Kammern und Verbänden um, wird immer wieder Peter Froese, Verbandschef in Schleswig-Holstein, als Digital-Experte genannt. Vor einigen Wochen erst hielt Froese ein beeindruckendes Referat vor der Mitgliederversammlung der Kammer Niedersachsen, bei der er ehrlich und unverblümt der Frage nachging, ob Apotheker mit Blick auf die immer weiter zunehmenden Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen, schlicht abgeschafft würden.

Wir haben mit Froese gesprochen – auch um herauszufinden, ob die Zukunft für die Pharmazeuten wirklich so dunkel aussieht.

DAZ.online: Herr Froese, kürzlich referierten Sie bei der Apothekerkammer Niedersachsen zur Frage ‚Wird die Apotheke digital abgeschafft?‘. Sie analysierten die Möglichkeiten, Arbeitsprozesse in der Apotheke zu digitalisieren und kamen teils zu erschreckenden Ergebnissen. Warum glauben Sie trotzdem an die Zukunft des Apothekerberufes?

Froese: Ich finde, dass genau die Prozesse, die zum großen Teil prinzipiell digitalisierbar wären, nicht die Leistungen sind, die uns Apotheker so unverzichtbar machen. Aber: Würde man Online-Plattformen freien Lauf lassen und gäbe es keine Regulierungen, dann ließen sich zweifellos viele Prozesse rund um die Arzneimittelabgabe digitalisieren, trivialisieren und reduzieren. Selbst die Beratung könnte man scheinbar zu einem gewissen Grad digitalisieren. Aber genau damit provoziert man wesentlich mehr Probleme, als man vermeintlich löst.

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DAZ.online: Also geben Sie vor der Macht der Maschinen auf?

Froese: Nein. Aber es nützt ja nichts: Wir, aber auch andere heilberufliche Berufsgruppen, müssen uns darüber im Klaren sein, dass Computersysteme in vielen Bereichen künftig oder schon heute immer besser und genauer arbeiten. Aber es gibt Bereiche, die eine Maschine uns niemals abnehmen kann.

DAZ.online: Und welche Leistungen sind das?

Froese: Insbesondere die unsere vielen Wissensbereiche verknüpfenden pharmazeutischen Kompetenzen, unsere persönliche, tief in der apothekerlichen Ethik steckende Verantwortung für die Gesundheit unserer Patienten, unser übergreifendes Wissen und natürlich die menschliche und empathische Kommunikation, einerseits mit dem Kunden, andererseits auch innerhalb des Systems, also Absprachen mit anderen Heilberuflern. Wie soll zum Beispiel eine Maschine einem Patienten, der skeptisch gegenüber Beipackzetteln ist und dazu noch überzeugt ist, dass man so wenig wie möglich Arzneimittel anwenden sollte, von der Sinnhaftigkeit einer hochdosierten Antibiotikatherapie, die ihm verschrieben wurde, überzeugen? Wir machen das täglich.

„Wir sollten die Technik nutzen und sie für uns arbeiten lassen“

DAZ.online: Nun entwickeln sich im Markt aber auch einige Dinge selbstständig. Hinzu kommt, dass die Ärzte in Sachen Fernbehandlung wohl andere Ansprüche haben als die Apotheker. Können die Apotheker diese Entwicklungen einfach ignorieren?

Froese: Mir wäre eine ausschließliche Fernbehandlung zu wenig. Ich finde, sie muss in ein klares Regelwerk eingewoben sein und vor allem sollte sie auch überwacht werden Mein Plädoyer ist: Lasst uns das Wissen und die Technik zur Nutzung dieses Wissens hinter dem HV-Tisch ausbauen. Die Menschen brauchen uns als Übersetzer, als fachkundigen Bewerter und heilberuflich verantwortliche Vertrauensperson. Ich habe überhaupt nichts gegen mehr und qualifizierteres Wissen beim Patienten, ganz im Gegenteil. Aber wir erleben es doch im Alltag: All die Informationen aus dem Netz zu bewerten, zu beurteilen und sinnvoll einzusetzen ist und bleibt eine heilberufliche Aufgabe. Trotzdem sollten auch wir die Technik nutzen und für uns im Sinne der Menschen arbeiten lassen.

DAZ.online: Sie haben kürzlich auch öffentlich dafür plädiert, den eingeschlagenen Kurs in der Gematik, die Telematikinfrastruktur gemeinsam mit Kassen und Ärzten weiterzuentwickeln, nicht zu verlassen. Sonst drohen den Apothekern unkontrollierbare Entwicklungen…Mit der Gematik scheint niemand so richtig zufrieden zu sein. Warum sollten die Apotheker daran festhalten?

Froese: Vordergründig ist die Unzufriedenheit mit der Gematik gut verständlich. Bei genauerem Hinsehen sieht das Bild aber für mich etwas anders aus. 100 Prozent der Versicherten haben einen hochsicheren Schlüssel in ihren Taschen, die eGK. Und wie wichtig dieser extrem hohe Sicherheitsstandard ist, zeigen Entwicklungen in der jüngsten Zeit überdeutlich. Hackerangriffe, neugierige Geheimdienste und viele digitale Vorfälle geben Zeugnis dafür ab. Die zur ach so „antiken“ Telematik dazugehörenden hochsicheren, BSI zertifizierten Konnektoren sind im Landeanflug auf Praxen und Apotheken. Die Definitionen der elektronischen Patientenakte sind da. Das wäre, glaube ich, der schlechteste Zeitpunkt, gerade jetzt alles wieder einzustampfen und auf unsichere und damit letztlich schlechtere Lösungen zu setzen.

Zur Person

Dr. Peter Froese ist Apotheker in Schleswig-Holstein, ihm gehört die Holsten Apotheke in Schacht-Audorf. Froese ist seit 2001 Vorsitzender des Apothekerverbandes in seinem Bundesland. Zuletzt wurde er im März 2018 in seinem Amt bestätigt. Auf Bundesebene ist er unter anderem Vorstandsvorsitzender des Treuhand-Verbandes Deutscher Apotheker, der die berufsspezifischen Interessen seiner etwa 800 selbstständigen Mitglieder insbesondere im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und betrieblichen Organisation vertritt. In der ABDA ist er Mitglied der AG Digitalisierung. Neben Digitalisierungsthemen interessiert sich Froese in seiner berufspolitischen Arbeit auch für Honorarmodelle.

DAZ.online: Einige Krankenkassen  haben in wenigen Jahren scheinbar das hingekriegt, woran die Gematik schon länger als zehn Jahre arbeitet: ein sicheres Datennetz für Gesundheitsinformationen. Warum ist das „offizielle“ Netz besser als die im Markt entstandenen?

Froese: Es ist meiner Ansicht nach die sinnvollste  Option. Die derzeitigen Marktentwicklungen, beispielsweise bei vitabook oder DrEd oder Fernarzt zeigen mir, wie sich der Markt alleine und unreguliert entwickelt. Da werden munter Rezepte gemakelt, Geschäftsprozesse umgedreht und Ärzte im europäischen Ausland werden zu Verschreibungsdienstleistern im Auftrag eines europäischen Arzneimittelversenders herabgewürdigt. Deswegen sollten wir gerade beim E-Rezept klar machen: Ohne die verantwortliche Mitarbeit und Einbindung der Apotheker in die politische Planung des E-Rezeptes kann es das nicht geben. Und es muss nach meiner Meinung ein klar gesetzlich definierter Prozess sein. Wie sollen wir sonst alle Menschen gleichmäßig und diskriminierungsfrei in einem Umfeld versorgen, in dem Rezeptdaten digital fließen? Egal wo oder bei wem versichert? Für den Fluss von E-Rezepten darf es nur eine Plattform geben, und die muss, glaube ich, zwingend eine öffentliche sein.

„Ich sehe Handlungsbedarf in der Organisation Gematik“

DAZ.online: Welche Gefahren drohen uns, wenn das E-Rezept zu einem Produkt wird, das aggressiv beworben wird?

Froese: Ich denke wir dürfen nicht zulassen, dass sich irgendwelche E-Rezept-Lösungen im Markt entwickeln, dass das Rezept damit gewissermaßen zum Produkt wird. Denn dann könnte es nach Belieben des jeweiligen betreibenden Unternehmers verschachert werden. Wir brauchen einen verbindlichen, organisierten Zeitplan bei der Einführung des E-Rezeptes und müssen unbedingt verhindern, dass es zum handelbaren Gut wird. Aber ich gebe Ihnen Recht – ich sehe auch Handlungsbedarf in der Organisation Gematik.

DAZ.online: Im Verwaltungsrat der Gematik haben Leistungserbringer und Kassen ja die gleichen Stimmanteile. Die Ärzte fordern ja nun, dass das Stimmgewicht zu Gunsten der Heilberufler verschoben wird. Ist das auch Ihre Forderung?

Froese: Dazu möchte ich zunächst sagen, dass die Selbstverwaltung in meinen Augen nicht versagt hat und abgeschafft gehört, sie sollte sich zumindest in der Gematik nur ändern. Es ist aus meiner Sicht richtig, dass Kassen und Heilberufler in Finanzierungsfragen die gleichen Stimmanteile in der Gematik haben. Aber beispielsweise in der versorgungstechnischen Ausgestaltung der Telematik brauche ich diesen tiefgreifenden Interessenausgleich nicht. Wenn bei hochgradig sinnvollen technischen Definitionen die eine Seite blockiert führt das genau zu der Situation die wir bisher hatten.

Froese: Patientenrechtegesetz ändern

DAZ.online: Eine weitere digitale Großbaustelle für die Apotheker ist ja der E-Medikationsplan. Was muss dort noch passieren, damit Apotheker endlich ihre Kompetenzen in die Versorgung einbringen können?

Froese: Neben den wichtigen Diskussionen um die Vergütung und die Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Apothekern müsste aus meiner Sicht insbesondere das Patientenrechtegesetz geändert werden. Laut Patientenrechtegesetz geht jeder Patient mit dem Betreten einer Arztpraxis gewissermaßen stillschweigend einen Behandlungsvertrag ein und tritt damit die Rechte an seinen Gesundheitsdaten berechtigterweise ab – den Ärzten ist es erlaubt, die Daten der Patienten im eigenen System oder auf Verordnungen oder im Kontakt mit der Krankenkasse zu verwenden. Wir Apotheker dürfen dies aber nicht. Vor jeder Datenerfassung und -verarbeitung müssen wir uns derzeit noch das ausdrückliche Einverständnis des Patienten abholen. Ich plädiere dafür, dass im Patientenrechtegesetz oder wo immer es sinnvoll ist, ein selbstständiges Handeln des Apothekers in diesem Bereich ermöglicht wird. Natürlich auf die Zwecke des E-Medikationsplans und der AMTS begrenzt. Auf Dauer muss das aber meiner Meinung nach sogar passieren.

DAZ.online: Warum?

Froese: Ganz einfach: Wegen der Einführung des E-Rezeptes. Sobald die Rezeptdaten elektronisch vorliegen, sind sie gewissermaßen automatisierbar verarbeitbar. Um damit umgehen zu dürfen, ohne bei jedem E-Rezept vorher den Patienten nach seinem Einverständnis zu fragen, muss zum Beispiel das Patientenrechtegesetz eben entsprechend geändert werden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Sagensemal,

von gabriela aures am 04.06.2018 um 18:49 Uhr

lieber Herr Froese, wenn Sie dann die Äußerungen der anderen Kollegen ( namentlich erst kürzlichHerr Dr. Kiefer und Herr Benkert) hören, die diesen ganzen digitalen Kram ablehnen, verzweifeln Sie da nicht ?

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