DAZ.online-Themenwoche Digitalisierung

Modulares Mess-Armband für die Demenz-Therapie

Remagen - 07.06.2018, 16:25 Uhr

Ein Forschungsverbund hat ein tragbares miniaturisierte,
modular erweiterbare Mess- und Beratungssystem entwickelt. (Foto: Imago)

Ein Forschungsverbund hat ein tragbares miniaturisierte, modular erweiterbare Mess- und Beratungssystem entwickelt. (Foto: Imago)


Die Betreuung von Demenzkranken ist eine enorme Herausforderung für Angehörige und Pflegepersonal. Nach Meinung von Experten könnte sie wahrscheinlich erleichtert werden, wenn wichtige Gesundheitsdaten der Betroffenen strukturierter erfasst und digital aufbereitet würden und somit greifbar wären. Hier will ein Forschungsverbund Abhilfe schaffen, und zwar mit einem tragbaren miniaturisierten, modular erweiterbaren Mess- und Beratungssystem. Die Demenzkranken tragen das Wearable einfach wie eine Armbanduhr.

Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leiden in Deutschland gegenwärtig 1,6 Millionen Menschen an einer Demenz. Die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter. Während von den 60-Jährigen nur jeder Hundertste betroffen ist, ist es bei den 80-Jährigen schon jeder Sechste, und von den 90-Jährigen nahezu jeder Zweite. Jahr um Jahr kommen etwa 40.000 hinzu, eine „Zeitbombe“, die unaufhörlich tickt. Bis 2050 wird sich die Zahl der Betroffenen mindestens verdoppeln, prognostiziert der Zusammenschluss der Selbsthilfeorganisationen für Demenkranke, weil die Lebenserwartung weiter steigt und geburtenstarke Jahrgänge dann das höhere Alter erreichen.

Unstrukturierte Datensammlung

Demenz entwickelt sich schleichend, und es ist oft schwierig, die Symptome von den normalen Veränderungen im Alter abzugrenzen. Je frühzeitiger die Erstdiagnose gestellt wird, umso eher kann versucht werden, auf den Verlauf Einfluss zu nehmen und die Versorgung darauf abzustellen. Nach den Erfahrungen von Experten werden im Betreuungsverlauf anfallende Daten derzeit unstrukturiert dokumentiert. Wichtige Informationen, die gebracht würden, um präventive Maßnahmen einzuleiten, liegen deshalb oft nicht rechtzeitig vor.

Drei Forschungseinrichtungen, vier mittelständische Unternehmen und eine Klinik haben sich für das Forschungsvorhaben PYRAMID zusammengetan. Sie wollen ein neues Versorgungskonzept auf die Beine stellen, dass diesem Problem wirksam abhelfen könnte. Das Dreijahresprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Teil des Förderschwerpunktes „Pflegeinnovationen für Menschen mit Demenz“ gefördert und läuft noch bis Ende März 2019.

Was wird alles gemessen?

Das Konsortium mit Beteiligung von Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin will mobile Erfassungssysteme für die individuelle Therapie und Betreuung von Demenzpatienten entwickeln. Grundlage dafür ist ein miniaturisiertes, modular erweiterbares Mess- und Beratungssystem in Form einer Armbanduhr. Das Wearable misst Vitalparameter wie Herzfrequenz, Körpertemperatur, aber auch die Variabilität der Herzrate und den Hautwiderstand automatisiert mit Hilfe unauffälliger, kaum wahrnehmbarer Sensoren. Diese sind komplett in das Armband integriert. Außerdem werden externe Parameter wie Außentemperatur, Helligkeit und Lautstärke und Bewegungsmuster der Patienten aufgezeichnet. Bewegt sich jemand beispielsweise kaum noch oder geht er nicht mehr aus seiner Wohnung heraus, so deutet dies auf eine Progression der Demenz hin. Ein Microcontroller erfasst die Daten. Komplettiert wird das System durch ein Bluetooth-Modul, einen Akku, eine USB-Schnittstelle sowie eine NFC-Antenne, die als automatischer Türöffner fungiert.

Die Patienten unaufdringlich begleiten

Neben den Parametern, die das Wearable erfasst, sollen ausgefüllte Fragebögen der Angehörigen ausgewertet und in die Diagnose einbezogen werden. Sämtliche Daten werden per Bluetooth verschlüsselt an ein Dokumentationssystem übertragen. Alle am Pflegeprozess Beteiligten könnten diese dann beispielsweise über eine mobile App von dort abrufen. Auf dieser Basis könnten für die Betroffenen individualisierte Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten abgeleitet und umgesetzt werden. „Ziel ist es, den Patienten von der Verdachtsdiagnose bis zur klinischen Versorgung über Jahre hinweg unaufdringlich zu begleiten und Informationen tagesaktuell parat zu halten“, erläutert der Physiker Erik Jung vom Fraunhofer IZM den Konzeptansatz. „Wir wollen damit die Selbstbestimmung der Betroffenen steigern und ihnen die Chance zu geben, möglichst lange in der vertrauten Umgebung bleiben zu können.“

Weitere Probandentests noch in diesem Jahr

Die Forscher sichern zu, dass die ethisch und datenschutzrechtlich relevanten Fragen bei der Erhebung der Daten und deren Interpretation angemessen berücksichtigt werden. Zudem werde das System in umfangreichen Nutzertests evaluiert. So soll bei den Demenzerkrankten, Pflegekräften und Angehörigen eine möglichst hohe Akzeptanz erreichen werden. Wie das Fraunhofer IZM mitteilt, sind die Konzept- und Designstudien für das Wearable bereits abgeschlossen. Derzeit werde ein Demonstrator gebaut. „Die ersten Entwurfsdemonstratoren wurden von Betroffenen in bereits abgeschlossenen Tests gut angenommen. Weitere Probandentests finden noch dieses Jahr statt“, berichtet Jung. „Wir sind zuversichtlich, mit dem Messsystem die Patientenversorgung zu erhöhen, die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu verbessern und Notfallsituationen wie Stürze schneller zu erkennen.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Menschen mit Demenz gezielt unterstützen

Mehr Teilhabe am Leben

Künftig kann mHealth die Therapietreue im Alter verbessern

Neue Wege

Kooperation mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft

Migasa bietet Schulung „Demenz-Beratungs-Apotheke“

Neues Wearable misst die Alkoholkonzentration im Schweiß

Pflaster statt Röhrchen

Interview mit Professor Dr. Frank Jessen

Ursachen für „herausforderndes Verhalten“ aufdecken!

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.