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Das Verfahren um den Bottroper Apotheker Peter S. geht in
die Schlussphase. Knapp 20 weitere Beweisanträge lehnte das Landgericht Essen
ab, es will nun bald die Plädoyers hören. Doch am heutigen Dienstag entschied das Gericht, einen
weiteren Gutachter zur Schuldfähigkeit von S. zu befragen. Sicher ist sich die Strafkammer inzwischen darüber, dass es offenbar eine Art Zweitmarkt für Zytostatika-Apotheker gibt.
Am inzwischen 38. Verhandlungstag des Prozesses um mutmaßlich unterdosierte Krebsmittel gab das Landgericht Essen dem Antrag der Verteidigung statt, den Psychiater Pedro Faustmann zu befragen. Laut der Einschätzung des von der Verteidigung beauftragten Gutachters gab es offenbar vor gut zehn Jahren in Folge einer schweren Hirnverletzung eine Persönlichkeitsveränderung bei Zyto-Apotheker Peter S., die womöglich mit einer verminderten Schuldfähigkeit einhergeht. Auch eine Kindheitsfreundin und spätere Scheidungsanwältin von S. unterbreitete dem Gericht per Fax, sie habe Auffälligkeiten festgestellt: Er habe sich vollkommen verworren verhalten und sei emotional verschlossen gewesen.
Nachdem der vom Gericht bestellte Psychologe Boris Schiffer vor Gericht ausgesagt hat, S. habe offenbar bei psychologischen Tests geschummelt und sei voll schuldfähig, will die Verteidigung nun Widersprüche zwischen den Gutachten vorbringen, berichtet das Recherchenetzwerk „Correctiv“. Auch die Nebenklage schloss sich dem Antrag, Faustmann zu hören, teilweise an – um ein revisionssicheres Urteil zu erhalten. Mehrere Nebenklagevertreter forderten außerdem, alle Arbeitsunterlagen der Sachverständigen in den Prozess einzuführen. Faustmann soll am kommenden Montag gehört werden.
Einem Ablehnungsantrag der Verteidigung für den Gutachter Schiffer folgte das Gericht nicht. Dies gilt auch für eine Vielzahl weiterer Anträge: Beschlagnahmte Proben will die Strafkammer nicht erneut testen lassen, entschied sie am Montag – und mehr als 20 Presseberichte nicht vorlesen lassen, aus denen sich laut Verteidigung eine mediale Vorverurteilung ergeben soll, da die Schuld als sicher hingestellt worden sei. Das Gericht glaubt der Verteidigung zwar, dass S. am Tag vor seiner Verhaftung bei einer Ärztin war, will diese aber nicht als Zeugin laden. Die Verteidigung argumentierte, dass S. die beschlagnahmten und laut amtlichen Untersuchungen unterdosierten Zytostatika gar nicht habe herstellen können – doch dauerte der Arzttermin offenbar nur eine Stunde.
E-Mail-Verteiler für Zyto-Apotheker
Außerdem sieht die Strafkammer es als zutreffend an, dass es
einen Zweitmarkt für Zytostatika-Apotheker gibt – die Verteidigung sprach über
einen Mail-Verteiler. Offenbar haben Zyto-Apotheker untereinander eine Kommunikationsplattform eingerichtet, auf der sie sich über den An- und Verkauf von Zytostatika austauschen. Doch Vertreter des Verbands der Zytostatika herstellenden
Apotheker (VZA) könnten nichts darüber aussagen, inwiefern S. darüber eingekauft
habe, argumentierte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding. Des Weiteren hat diese Erkenntnis nach Ansicht des Richters offenbar auch keine größeren Auswirkungen auf das Verfahren.
Auch einen Apotheker, der teils Zytostatika für S. hergestellt und der bereits als Zeuge ausgesagt hat, will er nicht erneut befragen: Laut einem Telefonat mit Hidding sagte dieser, dass er maximal an zwei Tagen Krebsmittel für den Bottroper Apotheker hergestellt habe, was die angeklagten Dosisunterschiede offenbar nicht erklären kann.
Am Montag hatte die Verteidigung laut „Correctiv“ außerdem beantragt, einen Sachverständigen zu hören, der bestätigen soll, dass Alltagskleidung im Labor keine Kontaminationsgefahr birgt – offenbar da Zeugen S. eben dies vorgeworfen hatten. Das Gericht sah es zwar als wahr an, dass der Keimgehalt der Raumluft bei der Arbeit an entsprechenden Werkbänken keine Auswirkungen auf die Kontaminationsgefahr hätte, doch wies es den Antrag ab.
Nebenkläger mussten sich umziehen
Gleichzeitig wies es Nebenkläger an, sich umzuziehen: Mehrere Personen hatten im Gerichtssaal T-Shirts mit dem Aufdruck „Wer schweigt, macht sich mitschuldig” getragen. Offenbar bezog sich dies beispielsweise auf Kollegen von Peter S., die anders als zwei Whistleblower mögliches Fehlverhalten nicht zur Anklage gebracht haben – die Staatsanwaltschaft prüft in Bezug auf manche frühere Mitarbeiter die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Doch gelte die Unschuldsvermutung, sagte Hidding laut „Correctiv“.
Das Gericht will nur noch bis kommende Woche Mittwoch
Beweisanträge zulassen. Es setzte für Juli drei weitere Verhandlungstermine an.
Update 17:40 Uhr: Ergänzung der Angaben zur Kontaminationsgefahr.
1 Kommentar
Gericht sieht Zweitmarkt für Zyto-Apotheker
von Apotom am 09.07.2018 um 12:24 Uhr
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