Bottroper Zyto-Skandal

Staatsanwalt fordert 13,5 Jahre Haft für Zyto-Apotheker Peter S.

Essen - 03.07.2018, 15:50 Uhr

Peter S. vor dem Landgericht Essen. Die Staatsanwaltschaft macht dem Apotheker schwerwiegende Vorwürfe und verlangt eine langjährige Gefängnisstrafe. (j / Foto: hfd / DAZ.online)

Peter S. vor dem Landgericht Essen. Die Staatsanwaltschaft macht dem Apotheker schwerwiegende Vorwürfe und verlangt eine langjährige Gefängnisstrafe. (j / Foto: hfd / DAZ.online)


Im Prozess gegen den Bottroper Apotheker Peter S. beginnt das Gericht mit den Plädoyers: Die Staatsanwaltschaft fordert wegen Betrugsdelikten und versuchter Körperverletzung insgesamt 13,5 Jahre Haft. Für den Staatsanwalt ist es an Dreistigkeit kaum zu überbieten, dass S. trotz einer Anzeige im Jahr 2014 weiter unterdosiert hat: Er fordert ein lebenslanges Berufsverbot für den Apotheker.

Wenn es nach der Staatsanwaltschaft Essen geht, muss der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. insgesamt 13 Jahre und 6 Monate in Haft, berichtet der WDR. Sie hatte ihn im vergangenen Jahr wegen Abrechnungsbetrug in Höhe von 56 Millionen Euro, wegen Hygieneverstößen und versuchter Körperverletzung in 27 Fällen angeklagt. In seinem Plädoyer hat Staatsanwalt Rudolf Jakubowski diese Fälle zu insgesamt 59 Fällen monatlichen Abrechnungsbetrugs sowie einem Fall eines Organisationsdeliktes zusammengefasst, das auch die versuchten Körperverletzungen umfasst.

Bottroper Zyto-Skandal

Unterdosierte Zytostatika

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Schon 2013 hatte es eine Anzeige gegen S. mit dem Vorwurf der Unterdosierungen gegeben, doch wurden die Ermittlungen damals eingestellt. Laut Jakubowski ist es an Dreistigkeit schwer zu überbieten, dass S. offenbar weiterhin unterdosiert hat, sagte der Staatsanwalt laut Westdeutscher Allgemeiner Zeitung. Er sprach davon, dass der Fall einen beispiellosen Umfang habe. Der Staatsanwalt forderte außerdem ein lebenslanges Berufsverbot für S. „Er kann und soll als Apotheker nie wieder arbeiten, auch nicht als Angestellter“, sagte er. Der Apotheker habe sich „in beispielloser Weise schuldig gemacht“ – auch wenn sich nicht alle Vorwürfe der Anklage bestätigt hätten. Strafmildernd sehe er wenig, sagte er.

Außerdem soll der seit mehr als anderthalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Apotheker auch die Prozesskosten der Nebenkläger übernehmen. Der Staatsanwalt plädierte dafür, dass der Haftbefehl gegen den Apotheker verlängert werden solle, da er weiterhin Fluchtgefahr sieht.

Nebenklagevertreter sieht versuchten Mord

Am heutigen Dienstagnachmittag trugen Nebenkläger ihre Plädoyers vor. Der erste Nebenklagevertreter schloss sich hierbei dem Strafmaß des Staatsanwalts an, schreibt das Recherchebüro „Correctiv“. Doch während dieser keinen Hinweis für ein Tötungsdelikt oder einen Tötungsvorsatz gesehen hatte, sieht dies die Nebenklage teilweise anders.

Mehrere Nebenklagevertreter schlossen sich den Forderungen des Staatsanwalts an. Ein Anwalt erklärte, S. habe durch positive Äußerungen über seine Untersuchungshaft angedeutet, dass er wenig strafempfindlich sei: Daher könne nur eine höhere Strafe ihren Zweck erfüllen. Er sah es auch als bedenklich an, dass ein Kollege eines Strafverteidigers Steuerberater von S. gewesen sei – hier handele es sich womöglich um eine Grenzüberschreitung in Sachen der anwaltlichen Interessenvertretung.

Nebenkläger sehen Behördenversagen

Ein Nebenklagevertreter sprach davon, es handele sich um einen „schweren Fall von Behördenversagen“. Außerdem kam von einem Anwalt die Forderung, dem Apotheker nicht nur seinen Beruf, sondern jede Tätigkeit im Labor zu verbieten – samt Überwachung durch eine elektronische Fußfessel. Auch solle dem Angeklagten untersagt werden, Betroffene zu kontaktieren. Der Anwalt bemängelte außerdem, dass der Apotheker zu den Vorwürfen gegen sich keine Aussage gemacht hat. So habe er nicht einmal auf diese Weise die Folgen seiner Tat gelindert und „reinen Tisch“ gemacht.

Der Nebenklagevertreter Markus Goldbach wiederholte seinen Standpunkt, dass auch eine Verurteilung wegen Tötungsdelikten in Betracht käme. Er forderte, S. wegen versuchten Mordes in einer nicht genau feststellbaren Anzahl von Fällen zu verurteilen. Sie „haben meine Mandantin um die Chance betrogen, diese Krankheit zu besiegen und das kann man nicht anders als versuchten Mord werten“, sagte er laut „Correctiv“ in Richtung des Apothekers. Es dürfe aber auch niemand unbehelligt bleiben, der sein „System“ mitgetragen habe.

Nach der Nebenklage wird auch die Verteidigung ihr Plädoyer vorbringen. Anschließend könnte es vielleicht schon am kommenden Freitag zum Urteil kommen.

Anträge der Verteidigung abgewiesen

Das Landgericht Essen hatte schon länger darauf gedrängt, den Prozess zum Abschluss zu bringen. Nachdem in der vergangenen Woche noch Zeugen gehört wurden, hatte das Gericht am Dienstagvormittag die Beweisaufnahme abgeschlossen, obwohl die Verteidigung noch Anträge vorgebracht hatte – etwa für ein weiteres pharmazeutisches Gutachten zu Untersuchungen von sichergestellten Zytostatika, die laut Paul-Ehrlich-Institut und Landeszentrum Gesundheit NRW unterdosiert waren. Ohnehin seien noch nicht alle Rohdaten der Analysen verfügbar, betonte die Verteidigung von S.

Der Staatsanwalt Jakubowski kritisierte daraufhin das Vorgehen der Verteidiger. „Bisher habe ich diesen Begriff vermieden, aber das ist jetzt im Bereich der Verschleppungsabsicht“, erklärte er. Für Peter S. sei der Antrag nicht hilfreich, außerdem entwerte er frühere Gutachten. Laut Nebenklage haben sich die Verteidiger von der Prozessrealität entfernt – ein Nebenklagevertreter warf der Verteidigung außerdem auf indirektem Weg den Anfangsverdacht einer Strafvereitelung vor.

Auch Begründungen der Verteidigung, in Fragen der Schuldfähigkeit weiteren psychiatrischen Sachverstand einzuholen, ignorierte das Gericht. Ein vom Gericht bestellter psychiatrischer Sachverständiger hatte ausgesagt, dass er trotz einer schweren Kopfverletzung von vor zehn Jahren keine verminderte Schuldfähigkeit sieht – die Verteidiger kritisierten, dass der Gutachter nur Psychologe und kein Mediziner sei. Der Vorsitzende Richter Johannes Hidding verwies aber darauf, dass die Verteidigung selbst diesen Gutachter vorgeschlagen hatte. Die noch nicht abgewiesenen Anträge will er mit dem Urteil bescheiden.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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