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Nasenspray mit Spezialeffekten
Esketamin: Von der Partydroge zum Antidepressivum?
Ein Narkotikum macht Karriere: Esketamin, in der Drogenszene auch als „Special K“ bekannt, scheint neueren Daten zufolge in Form eines Nasensprays bei therapieresistenter Depression zu wirken. Aufgrund der psychotropen Wirkung ist das Nasenspray vermutlich nicht zur Heimbehandlung geeignet.
Etwa ein Drittel aller Patienten mit Depressionen sprechen nicht auf ihre medikamentöse Erstbehandlung an. Bei etwa einem Fünftel sind mindestens zwei adäquat dosierte und korrekt angewendete Antidepressiva in Folge wirkungslos. Diese Fälle werden gemäß der „S3-Nationale Versorgungsleitlinie unipolare Depression“ als pharmakotherapieresistent definiert.
Narkotikum statt Elektroschock?
Der Leidensdruck für die Betroffenen ist erheblich. Behandler sind zuweilen ratlos. In schweren Fällen rät die Leitlinie zu elektrokonvulsiven Therapie, hochfrequenter repetitiver transkranieller Magnetstimulation oder Nervus-Vagus-Stimulation.
Vergleichsweise harmlos klingt es, sich ein Narkotikum in die Nase zu sprühen. Und dieses Prinzip erprobt derzeit das Pharmaunternehmen Janssen mit enantiomerenreinem Esketamin (S-(+)-Ketamin) in Form eines Nasensprays. Mutterkonzern Johnson & Johnson strebt nach eigenen Angaben eine Zulassung bei therapieresistenten Depressionen sowie bei schweren Depressionen mit erhöhtem Suizidrisiko an.
Auf dem 31. Internationalen Kongress für Neuropsychopharmakologie hat das Unternehmen laut einer Pressemeldung vom vergangenen Montag vier doppelblind-kontrollierte Studien vorgestellt, darunter zwei Phase-III-Studien mit jeweils 705 beziehungsweise 802 Erwachsenen mit therapieresistenter Depression.
Zusätzlich zu oralem Antidepressivum
In den Studien wurde das Nasenspray jeweils zusätzlich zu einem der vier oralen Antidepressiva Duloxetin, Escitalopram, Sertalin oder Venlafaxin erprobt. Teilnehmer der Kontrollgruppen erhielten zusätzlich zu dem oralen Antidepressivum ein Placebo-Nasenspray. Die Behandlung erfolgte in unterschiedlich langen Intervallen, in denen das Nasenspray zweimal wöchentlich angewendet wurde. Dabei wurde das Nasenspray in Dosierungen von entweder 28, 56 oder 84 Milligramm Ketamin eingesetzt.
Die Forscher beurteilten die Symptomatik anhand des MADRS-Scores (Montgomery–Åsberg Depression Rating Scale). Die vollständigen Ergebnisse sind derzeit weder in Form von Originalpublikationen noch als Eintrag in dem öffentlichen Studienregister Clinical Trials verfügbar. Aus einer gemeinsamen Unternehmensmeldung geht allerdings hervor, dass offenbar nicht alle Endpunkte erreicht wurden.
Multitalent Ketamin - anästhetisch, analgetisch, antidepressiv
Der Wirkstoff Ketamin greift im Gehirn unter anderem antagonistisch am NMDA-Glutamatrezeptor an, wodurch die dissoziativ-narkotische Wirkung zustande kommt. Worauf der antidepressive Effekt beruht, ist noch nicht vollständig geklärt. Neueren Erkenntnissen zufolge soll diese ein Metabolit ((2R,6R)-Hydroxynorketamin) verursachen, der im Gehirn einen weiteren Gluatamt-Rezeptor, den AMPA-Rezeptor, aktiviert.
Auf der klinischen Ebene wurde
der antidepressive Effekt in den neunziger Jahren zufällig entdeckt und zwar
von Professor John Krystal am Connecticut Mental Health Center, der
eigentlich die Ursachen der Schizophrenie erkunden wollte. Mehrere kleinere
Studien zur intravenösen Applikation folgten. Große therapeutische Hoffnungen
weckt vor allem der schnelle Wirkeintritt. Beispielsweise reduzierten sich in einer US-Studie bei
neun von 16 bipolaren Patienten mit schweren Depressionen die Symptome nach
intravenöser Gabe von Ketamin-Hydrochlorid (0,5 mg/kg) schon nach 40
Minuten. Zwei berichteten sogar von einem beinahe vollständigen Verschwinden
der Symptome. Dagegen brauchen klassische Antidepressiva mehrere Wochen, bis der stimmungsaufhellende Effekt eintritt. Doch nicht alle Patienten sprechen auf Ketamin gleich gut an.
Sprühen unter Aufsicht
Die Weiterentwicklung als Nasenspray könnte die Behandlung
vereinfachen. Dass sich Patienten ihre Sprühdosis künftig aus der Apotheke
abholen können, ist aufgrund der psychotropen Wirkungen unwahrscheinlich. In
den Nasenspray-Studien fand die
Anwendung unter ärztlicher Aufsicht statt. Nach Angaben des
Unternehmens traten unter anderem folgende Nebenwirkungen bei mehr als fünf Prozent der Patienten auf: Schwindel, Schläfrigkeit, Müdigkeit, erhöhter
Blutdruck, Wahrnehmungsveränderungen und Dissoziation. In einer zuvor
publizierten Phase-II-Studie wurde zudem ein kurzfristiger Blutdruckanstieg bis zu 199/115 mmHg beschrieben. Sollte es zu einer Arzneimittelzulassung kommen, soll die Anwendung dem Vernehmen nach in Kliniken und
Praxen erfolgen.
Berauschende Nebenwirkungen
Die dissoziative
Nebenwirkung gehört bei der Anwendung von Ketamin als Narkotikum zur Hauptwirkung.
Bei einer Ketamin-Narkose ist der Patient zwar schmerzfrei und verliert
je nach Dosierung das Bewusstsein. Schluck- und Atemreflexe bleiben jedoch
erhalten, der Kreislauf wird aktiviert und die Augen können offen sein. Patienten
berichten nach dem Aufwachen von lebhaften Träumen und dem Gefühl, „neben sich“
zu stehen.
In der Partyszene ist Ketamin als Rauschdroge unter dem Namen „Special K“ bekannt, die ihren Nutzern intensive Erlebnisse bis zur extrakorporalen Erfahrung verschaffen soll. Ketamin unterliegt derzeit nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Die zur Narkose bestimmten Infusionen müssen nicht in einem speziellen Tresor lagern. In Einzelfällen wurde über Missbrauch durch Krankenhausmitarbeiter berichtet. Die Verfügbarkeit als Nasenspray könnte die Hemmschwelle für einen Missbrauch senken.
Ob das Missbrauchspotenzial die Zulassungsbehörden davon abhalten wird, eine Marktzulassung zu gewähren, ist fraglich. Die Entscheidung hängt zum anderen von der Qualität der Studiendaten ab, die noch nicht vollständig veröffentlicht sind. Anderseits ist der schnelle Wirkeintritt im Vergleich zu anderen Antidepressiva für diejenigen, die auf Ketamin ansprechen, ein klinisch bedeutsamer Vorteil. Für schwere Fälle und wenn Suizidgefahr besteht, könnte das Esketaminspray daher eine therapeutische Lücke füllen.
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