Nasenspray mit Spezialeffekten

Esketamin: Von der Partydroge zum Antidepressivum?

Berlin - 19.07.2018, 09:00 Uhr

Mit einem Sprühstoß ins normale Leben - für schwer Depressive, die alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, eine Rettung. Ob das Esketamin-Nasenspray demnächst als Arzneimittel zur Verfügung steht, ist noch offen. (b / Foto: Imago images / teutopress)

Mit einem Sprühstoß ins normale Leben - für schwer Depressive, die alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, eine Rettung. Ob das Esketamin-Nasenspray demnächst als Arzneimittel zur Verfügung steht, ist noch offen. (b / Foto: Imago images / teutopress)


Multitalent Ketamin - anästhetisch, analgetisch, antidepressiv

Der Wirkstoff Ketamin greift im Gehirn unter anderem antagonistisch am NMDA-Glutamatrezeptor an, wodurch die dissoziativ-narkotische Wirkung zustande kommt. Worauf der antidepressive Effekt beruht, ist noch nicht vollständig geklärt. Neueren Erkenntnissen zufolge soll diese ein Metabolit ((2R,6R)-Hydroxynorketamin) verursachen, der im Gehirn einen weiteren Gluatamt-Rezeptor, den AMPA-Rezeptor, aktiviert.  

Auf der klinischen Ebene wurde der antidepressive Effekt in den neunziger Jahren zufällig entdeckt und zwar von Professor John Krystal am Connecticut Mental Health Center, der eigentlich die Ursachen der Schizophrenie erkunden wollte. Mehrere kleinere Studien zur intravenösen Applikation folgten. Große therapeutische Hoffnungen weckt vor allem der schnelle Wirkeintritt. Beispielsweise reduzierten sich in einer US-Studie bei neun von 16 bipolaren Patienten mit schweren Depressionen die Symptome nach intravenöser Gabe von Ketamin-Hydrochlorid (0,5 mg/kg) schon nach 40 Minuten. Zwei berichteten sogar von einem beinahe vollständigen Verschwinden der Symptome. Dagegen brauchen klassische Antidepressiva mehrere Wochen, bis der stimmungsaufhellende Effekt eintritt. Doch nicht alle Patienten sprechen auf Ketamin gleich gut an.

Sprühen unter Aufsicht

Die Weiterentwicklung als Nasenspray könnte die Behandlung vereinfachen. Dass sich Patienten ihre Sprühdosis künftig aus der Apotheke abholen können, ist aufgrund der psychotropen Wirkungen unwahrscheinlich. In den Nasenspray-Studien fand die Anwendung unter ärztlicher Aufsicht statt. Nach Angaben des Unternehmens traten unter anderem folgende Nebenwirkungen bei mehr als fünf Prozent der Patienten auf: Schwindel, Schläfrigkeit, Müdigkeit, erhöhter Blutdruck, Wahrnehmungsveränderungen und Dissoziation. In einer zuvor publizierten Phase-II-Studie wurde zudem ein kurzfristiger Blutdruckanstieg bis zu 199/115 mmHg beschrieben. Sollte es zu einer Arzneimittelzulassung kommen, soll die Anwendung dem Vernehmen nach in Kliniken und Praxen erfolgen.  

Berauschende Nebenwirkungen

Die dissoziative Nebenwirkung gehört bei der Anwendung von Ketamin als Narkotikum zur Hauptwirkung. Bei einer Ketamin-Narkose ist der Patient zwar schmerzfrei und verliert je nach Dosierung das Bewusstsein. Schluck- und Atemreflexe bleiben jedoch erhalten, der Kreislauf wird aktiviert und die Augen können offen sein. Patienten berichten nach dem Aufwachen von lebhaften Träumen und dem Gefühl, „neben sich“ zu stehen.

In der Partyszene ist Ketamin als Rauschdroge unter dem Namen „Special K“ bekannt, die ihren Nutzern intensive Erlebnisse bis zur extrakorporalen Erfahrung verschaffen soll. Ketamin unterliegt derzeit nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Die zur Narkose bestimmten Infusionen müssen nicht in einem speziellen Tresor lagern. In Einzelfällen wurde über Missbrauch durch Krankenhausmitarbeiter berichtet. Die Verfügbarkeit als Nasenspray könnte die Hemmschwelle für einen Missbrauch senken.

Ob das Missbrauchspotenzial die Zulassungsbehörden davon abhalten wird, eine Marktzulassung zu gewähren, ist fraglich. Die Entscheidung hängt zum anderen von der Qualität der Studiendaten ab, die noch nicht vollständig veröffentlicht sind. Anderseits ist der schnelle Wirkeintritt im Vergleich zu anderen Antidepressiva für diejenigen, die auf Ketamin ansprechen, ein klinisch bedeutsamer Vorteil. Für schwere Fälle und wenn Suizidgefahr besteht, könnte das Esketaminspray daher eine therapeutische Lücke füllen.




Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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