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Arzneimittelvorräte und Co.
Brexit: Hersteller sollen hamstern, Apotheken nicht
Was soll passieren, wenn in einem guten halben Jahr Großbritannien ohne neue Abkommen mit der EU den Staatenverbund verlässt? Die britische Regierung fordert Arzneimittelhersteller auf, sechswöchige Vorräte im Land anzulegen – während Apotheken, Kliniken und Patienten nur normale Vorräte vorhalten sollen. Der Gesundheitsminister droht ihnen bei Hamsterkäufen sogar mit Konsequenzen.
Es ist ein Szenario, das die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, als „vollkommenes Desaster“ bezeichnete: Wenn die EU sich in den letzten sieben Monaten bis zum planmäßigen Brexit am 29. März 2019 nicht noch auf ein Abkommen einigt, das die schlimmsten Folgen etwa per Übergangsregelungen abfedert, kommt es zum „harten Brexit“. „Die Minister bemühen sich zwar nach Kräften darum, dass der Worst Case nicht eintritt, tun aber gut daran, sich trotzdem darauf vorzubereiten“, erklärte Niall Dickson – er ist Vizechef der Brexit Health Alliance, in der sich der staatliche Gesundheitsdienst NHS, die medizinische Forschung, die Pharmaindustrie sowie Organisationen für die öffentliche Gesundheit und von Patienten zusammengeschlossen haben. Denn ansonsten drohen durch fehlende Regelungen Arzneimittelengpässe.
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Briten planen Notvorräte von Arzneimitteln
Die öffentliche Gesundheit und die Koordinierung der Seuchenbekämpfung könnten leiden, Krankenhäuser könnten ohne Arzneimittel dastehen, erklärten NHS-Unterorganisationen in einem internen Brief, der von britischen Medien zitiert wurde. Sie sehen die komplette Lieferkette von Arzneimitteln in Gefahr. Die „Britisch Medical Association“ hatte gewarnt, dass ein harter Brexit das Land anfälliger für Ausbrüche gefährlicher Infektionskrankheiten mache und das Risiko für europaweite Pandemien erhöhe.
Nachdem Gesundheitsminister Matt Hancock zuvor bereits öffentlich darüber nachgedacht hat, Arzneimittel mit kurzer Haltbarkeit beim Kollaps der Häfen notfalls einzufliegen, hat er sich vergangene Woche mit detaillierteren Plänen an Apotheken, Ärzte und Patienten gewandt. Patienten, Apotheken und Mediziner sollten Arzneimittel nicht horten, betonte Hancock – offenbar damit nicht zusätzliche Engpässe auftreten. „Mediziner sollten Patienten erklären, dass die Regierung Pläne entwickelt hat, die ab dem Moment des Verlassens der EU eine kontinuierliche Versorgung der Patienten sicherstellt“, erklärt der Minister. „Patienten müssen nicht versuchen, zusätzliche Arzneimittel zuhause zu lagern – und sie sollten es nicht.“
Ermittlungen drohen bei auffälligen Bestellungen
Auch Kliniken und Vor-Ort-Apotheken in ganz Großbritannien brauchen keine zusätzlichen Arzneimittelvorräte anlegen, „die über dem üblichen Niveau liegen“, erklärte der Minister. Auch sollten Ärzte Arzneimittel nicht für längere Zeiträume verschreiben. Gleichzeitig droht Hancock, dass exzessives Bevorraten Folgen haben könne: „Örtliche Lagerhaltung ist nicht notwendig und jeder Zwischenfall von unnötigen Arzneimittel-Bestellungen wird Ermittlungen nach sich ziehen“.
In Richtlinien der britischen Regierung ist hingegen vorgesehen, dass aus oder über die EU liefernde Pharmahersteller für den Fall eines harten Brexits sechswöchige Vorräte apothekenpflichtiger Arzneimittel aufbauen sollen. So will das Land Probleme bei der Einfuhr nach einem harten Brexit verhindern. „Dies ist die aktuelle Planungsgrundlage, aber angesichts möglicher zukünftiger Entwicklungen wird sie natürlich gegebenenfalls überarbeitet“, erklärt die Regierung.
Anbindung an EU-Datenbanken zur Arzneimittelsicherheit fiele weg
Falls es nicht zu Abkommen mit der EU kommt, soll die britische Arzneimittelbehörde MHRA ab dem 29. März 2019 in Großbritannien die Funktionen übernehmen, die die EMA bislang erfüllt hat. Arzneimittel-Zulassungen müssen dann in Großbritannien eigens erworben werden. Die zusätzlichen bürokratischen Hürden würden die Attraktivität Großbritanniens für Pharmahersteller verringern und „wahrscheinlich bedeuten, dass NHS-Patienten später als Patienten anderer Länder Zugang zu neuen Therapien bekommen“, erklärte Steve Bates, Geschäftsführer des britischen Industrieverbands „BioIndustry Association“.
Gleichzeitig fällt bei einem harten Brexit die Anbindung des
Landes an EU-Datenbanken zu klinischen Studien oder die Arzneimittelsicherheit
weg, neue Portale müssen programmiert werden. Die neue EU-Verordnung für
klinische Studien, die noch nicht in Kraft ist, soll in Großbritannien nicht in
nationales Recht umgewandelt werden, doch will das Land seine Gesetzgebung angleichen.
Bestehende zentrale EU-Zulassungen sollen nach den Plänen der britischen
Regierung in britische Zulassungen umgewandelt werden, ausländische Firmen
müssen innerhalb einer Übergangsfrist bis Ende 2020 Zweigniederlassungen im
Vereinigten Königreich aufbauen. Medizinprodukte mit CE-Kennzeichnung sollen
jedoch auch für den britischen Markt zugelassen werden.
1 Kommentar
Brexit - dann Land unter
von ratatosk am 12.11.2019 um 18:39 Uhr
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