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Die Zeiten, in denen China Produkte aus aller Welt ungeachtet eines bestehenden Patentschutzes nachmachte, gehen offenbar allmählich zu Ende. Zunehmend entwickelt das riesige Land aus eigener Kraft innovative Produkte – auch in der Pharmaindustrie. Chinaexperten prophezeien dem ostasiatischen Staat in diesem Sektor ein goldenes Innovationszeitalter – und zunehmende Konkurrenz für westliche und damit auch europäische Arzneimittelhersteller.
China strebt in vielen wirtschaftlichen Bereichen eine Führungsrolle an, das gilt auch für den Pharmasektor. In keinem Land werden mehr Arzneimittel produziert und verbraucht, in keinem fließt mehr Geld in neue Produktionsstandorte. Dabei hatten die Chinesen bislang vor allem den Ruf, gut im Nachahmen von Arzneimitteln zu sein und vor allem billige Generika auf den Markt zu werfen. Für seine mangelnde Achtung vor geistigen Eigentumsrechten ist der Staat immer wieder stark kritisiert worden.
Das ändert sich gerade. Zunehmend kommen innovative Arzneimittel aus China, auch die Pharmaforschung verschiebt sich verstärkt nach China und Asien. Der Anteil Chinas an international angemeldeten Patenten im Bereich Pharma und Chemie ist von 2015 auf 2016 von unter 2 auf fast 10 Prozent gestiegen. Bereits seit einigen Jahren kommen die meisten wissenschaftlichen Publikationen zu diesen Themen aus China.
Vor allem 2017 hat China einen großen Schritt voran getan und begonnen, einen systematischen Schutzmechanismus aufzubauen, mit dem die Rechte und Interessen von Patentinhabern wirksam gewahrt werden sollen. Gleichzeitig will das Land damit seine eigene Innovationskraft stärken. Nach Angaben des Wirtschaftsdienstes CNBC hat Präsident Xi Jinping persönlich den Pharmasektor als einen zentralen Wachstumstreiber identifiziert, in dem der Fokus künftig auf Innovationen sowie eigener Forschung und Entwicklung liegen soll.
Weltweit zweitgrößter Pharmamarkt
Nach einem Bericht des Magazin Nikkei Asian Review hat der chinesische Pharmamarkt aktuell ein Volumen von mehr als 120 Milliarden Dollar und ist damit der weltweit zweitgrößte nach den USA. China importiere jährlich Arzneimittel von mehr als 55 Milliarden Dollar. Angesicht der auch in China zunehmend älter werdenden Bevölkerung dürften diese Zahlen weiter steigen.
Jin Zhang, Projekt- und Kundenbetreuer bei dem US-Biotechunternehmen Lake Pharma, hat mehrere Schlüsselbereiche ausgemacht, die die neue Stärke der chinesischen Pharmaindustrie prägen. In einem Beitrag für das Branchenmedium Pharmaceutical Executive weist er darauf hin, dass aufgrund des stetig steigenden Bedarfs an Gesundheitsprodukten, einer zunehmend innovationsfreundlichen Politik und ausreichend Kapital die chinesische Pharmaindustrie vor einem goldenen Zeitalter der Innovation und Entwicklung stehen könnte.
Regierung fördert Innovationen
Ein
wesentlicher Grund sei, dass die Regierung Innovationen bei
Arzneimitteln und Medizinprodukten mittlerweile stark fördere. So sei die Zulassung dieser Produkte beschleunigt
worden, der Prozess der klinischen Entwicklung wurde reformiert und der Patentschutz
für innovative Arzneimittel verbessert. Erst vor wenigen Monaten verlängerte China
den Patentschutz für neue Arzneimittel von bislang 20 auf 25 Jahre.
Auch das Klima für Investments in innovative Arzneimittel aus chinesischer Entwicklung hat sich gewandelt. Laut Zhang würden immer mehr lokale und internationale Investmentgesellschaften auf China fokussierte medizinische und pharmazeutische Fonds auflegen. Allein 2017 habe es dort 1008 Investitionen in die Biotech- und Pharmaindustrie gegeben. Gemessen an der Investitionszahl stehe Biopharma nach dem Internet- und IT-Sektor an zweiter Stelle; gemessen am Investitionsvolumen liege es mit insgesamt elf Milliarden Dollar an fünfter Stelle unter allen Branchen. China gilt damit als der am schnellsten wachsende Emerging Market im Pharmabereich.
Verstärkter Einsatz von künstlicher Intelligenz
Auch der Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) begünstigt laut Zhang die zunehmende Reife und Innovationskraft der chinesischen Pharmaindustrie. Angesichts der bislang langen Entwicklungszyklen, hoher Investitionen und der großen Misserfolgsrate bei der Entwicklung neuer Medikamente fordere die Pharmaindustrie in China seit langem einen effizienteren Ansatz in der Forschung. KI fülle diese Lücke und werde zunehmend eingesetzt, um neue Medikamente zu entwickeln oder die Nebenwirkungen älterer Medikamente zu erforschen. Laut Prognosen dürfte die Anwendung von KI in diesem Sektor in China weiter zunehmen und in den kommenden Jahren einen Marktwert von mehreren hundert Milliarden erreichen.
Die Künstliche Intelligenz kommt nach den Worten Zhangs zunehmend auch im Gesundheitsmanagement, bei tragbaren Geräten, der persönlichen Risikoeinschätzung und dem Informations- und Datenmanagement zum Einsatz. Diese Bereiche dürften sich zur treibenden Kraft für die Anwendung von KI in der chinesischen Gesundheits- und Pharmaindustrie entwickeln. Insgesamt, so Zhang, werde die Anwendung von KI die Qualität der Gesundheitsversorgung in China verbessern, die medizinische Effizienz steigern und zu einer besseren Versorgung der Patienten beitragen.
Arzneimittelbehörde will Kosten senken
Darüber hinaus intensiviert die Regierung den Kampf gegen die auch in China steigenden Gesundheitsab- und ausgaben. So setzt sich die chinesische Arzneimittelzulassungsbehörde CFDA dafür ein, durch verschiedene Maßnahmen die Kosten für neue Medikamente zu senken. Zum anderen sei China dabei, den Einsatz von hochwertigen Generika und Biosimilars zu fördern.
Ritterschlag: Aufnahme in ICH
Dass die chinesische Pharmabranche im Wandel ist, zeigt auch die Tatsache, dass die CFDA im Juni 2017 offiziell Mitglied des International Council for Harmonization of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use (ICH) geworden ist, einer global tätigen Organisation, die die Zulassungsbehörden und die Pharmaindustrie zusammenbringt, um wissenschaftliche und technische Aspekte der Arzneimittelzulassung zu diskutieren. Dieser Schritt war nach Ansicht von Branchenexperten ein Meilenstein für die chinesische Pharmaindustrie und markierte die Integration ihres Arzneimittelzulassungssystems in die internationale Gemeinschaft.
Kurzfristig bedeutet dies, dass China seine Standards in allen Aspekten der Arzneimittelgesetzgebung anheben muss. Das wiederum dürfte laut Zhang für eine große Zahl von lokalen Pharmaunternehmen eine Herausforderung darstellen. Langfristig werde China davon jedoch profitieren. „ICH ist eine Tür, die China in die internationale Gemeinschaft hereinlässt und es dem Land ermöglicht, an die Entwicklung neuer Medikamente in Europa und den Vereinigten Staaten anzuschließen. Gleichzeitig ist es eine gute Nachricht für ausländische Pharmaunternehmen. Damit wird die Zeit, um Produkte auf den chinesischen Markt zu bringen, drastisch reduziert.“
Dennoch weisen Branchenkenner darauf hin, dass die lokalen chinesischen Pharmaunternehmen aus technischer Sicht der Entwicklung der europäischen und amerikanischen Pharmariesen noch hinterherhinken. Nach deren Einschätzung dürfte es für diese Firmen schwer sein, den Rückstand aufzuholen, indem sie sich allein auf ihre eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten- und kenntnisse verlassen. Internationale Akquisitionen seien daher eine Lösung. Damit könnten chinesische Pharmaunternehmen wichtiges Know-how, hochwertige medizinische Ressourcen und das Wissen um effiziente Geschäftsmodelle erwerben, um auf dieser Basis selbst international wettbewerbsfähige Arzneimittel erzeugen.
Chinesische Pharmafirmen kaufen im Ausland zu
Tatsächlich steigt mit der zunehmenden Stärke der chinesischen Pharmaindustrie deren Drang, jenseits der eigenen Grenzen aktiv zu werden. So weist Pharmaexperte Zhang darauf hin, dass im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von chinesischen Pharmaunternehmen und Investmentfirmen Fusionen und Übernahmen im Ausland umgesetzt hat, bei denen teilweise sehr hohe Summen bezahlt worden sind. Nach einer unvollständigen Statistik seien demnach 17 Übernahmen und Fusionen von chinesischen Pharmaunternehmen initiiert worden, von denen sieben ein Volumen von 500 Millionen Dollar überschritten hätten.
Zhang kommt zu dem Ergebnis, dass die chinesische Pharmaindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zwangsläufig drastische Strukturanpassungen und Veränderungen durchlaufen werde. Mit dieser Aufwertung werde sich die Position der chinesischen Pharmaindustrie auf dem Weltmarkt verändern und sich von einer reinen Produktionsstätte zu einem effizienten Forschungs- und Entwicklungszentrum entwickeln.
VCI ist besorgt
Der von China, aber auch von anderen Ländern ausgehende Innovationsdruck, wird natürlich auch in Europa und den USA registriert und ruft beispielsweise beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), der auch für die Pharmabranche spricht, Sorgen hervor: „Der Wettbewerbsvorsprung des Chemie-Forschungsstandorts Deutschland schmilzt. Staaten wie die USA, China und andere asiatische Länder nehmen viel Geld für die Forschung in die Hand, gestalten die Rahmenbedingungen für Innovationen günstig und verschaffen sich so Wettbewerbsvorteile“, sagte Thomas Wessel, Vorstandsmitglied der Evonik Industries AG und Mitglied des Ausschusses Forschung, Wissenschaft und Bildung im VCI, kürzlich auf einer Presseveranstaltung des Interessenverbandes.
Werner Cautreels, Vorstandschef von Selecta Biosciences, stellte auf der Fachveranstaltung Healthcare Capital Summit 2017 seinerseits fest: „China ist kein aufstrebender Markt mehr. Stattdessen ist China für alle Pharmaunternehmen, die sich im harten globalen Wettbewerb an die Spitze setzen wollen, eine wichtige strategische Priorität“.
Das sehen offenbar auch viele chinesische Pharmawissenschaftler so. Nach Erkenntnissen des Fachportals Drugpatentwatch kehren angesichts der gestiegenen Attraktivität des chinesischen Pharmamarktes mittlerweile viele Wissenschaftler, die bislang außerhalb ihres Landes tätig waren, in deren Heimat zurück, um dort eigene Biotech- und Pharmaunternehmen zu gründen.
1 Kommentar
nächster chinesischer Pharmaskandal
von Kritiker am 03.09.2018 um 7:28 Uhr
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